Audi-Vertriebschefin über Corona, E-Autos und Zukunftsmodelle

Hildegard Wortmann:"Wir wollen Digitalisierung stärker erlebbar machen"

07.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:48 Uhr
Hildegard Wortmann mit Audi-Rennfahrer René Rast. −Foto: Audi

Hildegard Wortmann ist seit einem guten Jahr im Audi-Vorstand für den Vertrieb und das Marketing zuständig. Im Interview erzählt sie von den Herausforderungen der Corona-Pandemie, ihrer Liebe zum Auto und neuen Wegen beim Sponsoring.

 

Frau Wortmann, Sie sind jetzt ein gutes Jahr bei Audi. Was war die größte Überraschung?

Hildegard Wortmann: Für mich war es eine besonders angenehme Erfahrung, wie ich bei Audi und auch in der Volkswagen-Familie aufgenommen worden bin. Man macht sich bei solch einem Wechsel seine Gedanken, und natürlich habe das auch ich getan. Die Herzlichkeit und Offenheit war beeindruckend. Das hat mir den Start sehr leicht gemacht. Doch nicht alles war angenehm. Das Ausmaß der Corona-Pandemie war nicht vorherzusehen und die Folgen - nicht nur für unsere Autoindustrie, sondern auch für unsere Gesellschaft und das internationale Gefüge - sind bisher nicht abzusehen.

Was hat sich in Ihrem Bereich im letzten Jahr getan?

Wortmann: Ich habe mein Team inzwischen komplett neu aufgestellt. Mir geht es darum, dass alle ihre höchst unterschiedlichen Erfahrungen einbringen und dadurch eine ideale Mischung entsteht, denn das ist für den Vertrieb wichtiger denn je. Wir leben nicht von den Fahrzeugen, die wir in Deutschland oder Europa vertreiben, sondern von denen, die wir weltweit zu den Kunden bringen, um neue Audi-Fans zu gewinnen. Ich muss dafür sorgen, dass wir viele Outside-In-Sichtweisen bekommen. Diese Perspektive von außen ist essenziell, um die enorm unterschiedlichen Märkte und ihre Potenziale besser verstehen zu können. Dabei geht es nicht nur um die Zentrale, sondern auch darum, wie wir die Teams in den Märkten näher an uns binden und ein reger Austausch entsteht.

Die Pandemie hat für eine Vollbremsung auf dem Automarkt gesorgt. Viele Autos stehen auf Halde. Wie ist die aktuelle Lage?

Wortmann: Das muss man differenziert sehen. Fakt ist: Wir haben große Lager, die wir auch brauchen. In den USA zum Bespiel geht der Kunde zum Händler und will direkt mit seinem neuen Audi nach Hause fahren. Das heißt, man muss ein variantenreiches Lager vorhalten, um diese Märkte bedienen zu können. Nicht alles, was Sie auf Parkplätzen sehen, steht da, weil man es nicht verkauft, sondern weil man es oftmals zwischenlagern muss, um die Modelle genau zum richtigen Zeitpunkt in die jeweiligen Märkte zu bringen, die Autos ab Lager verkaufen. Nehmen wir das Beispiel Korea oder Japan - da brauchen wir ebenso wie in den USA entsprechende Puffer. Unsere Lagersituation ist hervorragend, da bin ich sehr stolz auf mein Team.

Wie sieht es inzwischen beim Absatz aus?

Wortmann: Ich arbeite seit dem Beginn der Krise sehr eng mit unserem Produktionsvorstand Peter Kössler zusammen. Wir haben wöchentlich oder, wenn es sein musste, in noch kürzeren Intervallen eine höchst flexible Programmplanung erarbeitet und tun dies nach wie vor. Das war extrem gutes Teamwork, um die Produktion schnell und geordnet runterzufahren und dann zum richtigen Zeitpunkt wieder hochzufahren. Die Monate April, Mai, Juni und Juli haben wir bereits über unseren internen Erwartungen abgeschlossen. Das sieht man auch an den Schichtmodellen und den einzelnen Werken, die alle wieder produzieren können. So haben wir uns im 1. Halbjahr mit einem Minus von 22 Prozent bei den Auslieferungen deutlich besser entwickelt als der Gesamtmarkt, dessen Rückgang bei 28 Prozent liegt. Die aktuellen Bestelleingänge liegen fast wieder auf dem Vor-Corona-Niveau. Das kann sich allemal sehen lassen, wenn man die schwierigen Rahmenbedingungen bedenkt.

Wo sehen Sie die Märkte mit dem größten Wachstumspotenzial?

Wortmann: In China haben wir mit jeweils mehr als 65000 verkauften Autos in den Monaten Mai und Juni die stärksten Audi-Monate aller Zeiten verbucht. Auch in Europa gewinnen wir in vielen Ländern Marktanteile - Großbritannien etwa läuft aktuell sehr gut. Auch Korea und Japan sind Länder, in denen wir noch viel bewegen können. Gerade auch hier bringe ich meine umfangreichen Asien-Erfahrungen ein.

Was ist mit Rabatten?

Wortmann: Wie Sie sich denken können, wollen wir Rabatte möglichst vermeiden und den Kunden einen deutlichen Mehrwert mit dem Audi-Produkt mitgeben. Dabei kann es sich um ein kostenloses Servicepaket oder den kostenlosen Ratenschutz handeln, wenn jemand in die Arbeitslosigkeit gerät. Ich finde diese Sachen sind wirkungsvoller und zeigen Haltung und Anspruch an die Marke. Wir sind premium und wollen begehrlich sein.

Wie geht es den Händlern?

Wortmann: Ich habe einen riesigen Respekt vor unseren Händlern, denn das sind eigenständige Unternehmer, die Tag für Tag Verantwortung tragen und unsere Marke nach außen repräsentieren. Mir ist wichtig, als Vertriebsvorstand regelmäßig in den einzelnen Regionen vor Ort zu sein und mich hierbei ganz offen mit den Händlern auszutauschen. Corona hat alle extrem gebeutelt. Wir haben daher gleich zu Beginn der Krise einen noch engeren Kontakt gepflegt, schnell reagiert und vielfältige Maßnahmen aufgesetzt, um die Liquidität unserer Partner sicherzustellen und ihren Absatz anzukurbeln. Realistischerweise muss man aber sehen, dass es an der ein oder anderen Stelle zu Konsolidierungen kommen kann, je nachdem wie sich die Pandemie weiterentwickelt. Jedoch gilt das für alle Branchen. Durch Corona erleben wir bei der Digitalisierung gerade einen regelrechten Boom. Da ist es wichtiger denn je, jeden Händler mitzunehmen. Das hat während des Lockdowns etwa mit unseren Live-Beratungen per Datenbrille sehr gut funktioniert. Auch der e-Commerce nimmt stetig zu. Doch am Ende des Tages ist es der persönliche Kontakt mit den Händlern, der für jeden Kunden wichtig ist. Für mich ist die Zukunft daher ebenso physisch wie digital. Es wird das eine nicht ohne das andere geben.

Was sind die Modelle der Zukunft?

Wortmann: Man muss immer sehen, was die Legenden der Vergangenheit waren und wie man sie in die Zukunft transferiert. Was hat Audi groß und stark gemacht - und was könnte perspektivisch eine Ikone der Zukunft sein? Elektroautos sind eine zentrale Säule, denn die Zukunft ist elektrisch. Wir werden daher bis 2025 rund 30 elektrifizierte Modelle haben. Grundsätzlich ist es unser Anspruch, dass wir die besten Premiumautos anbieten - egal ob Verbrenner oder Elektroauto. Auch unsere SUVs der Q-Familie sind elementar - das sagen die Kunden und nicht wir. Rund 45 Prozent unserer in 2020 ausgelieferten Autos sind SUVs. Zudem beschäftigen wir uns intensiv damit, wie das Interieur der Zukunft aussieht. Mit dem zunehmend automatisierten Fahren wird sich die Bedeutsamkeit und Gestaltung des Interieurs grundlegend wandeln. Wir wollen hier die Digitalisierung stärker erlebbar machen. Wenn wir ganz konkret von begehrlichen Zukunftsmodellen sprechen: Schauen Sie sich einen e-tron GT an - das ist für mich eine Ikone der Zukunft. Den fertigen wir auch lokal in Deutschland.

Wie erreichen Sie die junge Generation, die Autos oft skeptisch gegenübersteht?

Wortmann: Auch in der jungen Zielgruppe gibt es viele, die sich für Autos begeistern, sich mit Autodesign auseinandersetzen, aber nicht unbedingt den Anspruch haben, mit 18 Jahren einen Führerschein und ein eigenes Auto zu haben. Aber sie haben trotzdem eine Begeisterung für das Thema Auto. Sie interessieren sich jedoch weniger für die Qualitäten, die in der Vergangenheit gefragt waren, sondern mehr für Digitalisierung und automatisiertes Fahren. Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Faszination aus Innovation und Technik treiben. Unser Slogan "Vorsprung durch Technik" ist zeitgemäßer, als er je war. Wir werden ihn auf keinen Fall abschaffen. Jedoch werden wir neu definieren, was Vorsprung bedeutet, um junge Zielgruppen zu erreichen.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf den Fortschritt aus?

Wortmann: Die Pandemie verstärkt und beschleunigt vieles. Die Menschen erwarten eine Haltung von einer Marke; sie wollen sehen, wofür diese Marke steht. Dabei nur klassisches Autoquartett zu spielen - also höher, schneller, weiter - das reicht nicht. Da liegt in der Krise eine große Chance für uns, um Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu pushen. Denn wir sind jetzt mitten in der Neuausrichtung und haben die entsprechende Markenstrategie verabschiedet. Wir können mit unserem Produktportfolio inklusive den Elektromodellen, den dynamischen wie effizienten Plug-in-Hybriden oder unserer Nachhaltigkeitsstrategie einiges vorweisen und belegen, dass wir es sehr ernst meinen. Wir wollen und werden nachhaltig wirtschaften. Diese Verantwortung haben wir - Corona hin oder her. Wegen des Klimawandels haben wir keine Zeit zu trödeln oder abzuwarten. Wir müssen die Maßnahmen jetzt ergreifen und tun das. Die Gesellschaft hat jetzt die Chance - und Audi hat eine Verantwortung, der wir uns stellen. Das wiederum müssen wir in einer Sprache rüberbringen, die die junge Zielgruppe versteht und mitträgt. Ich habe es lange von extern beobachtet und Audi hatte für mich immer so etwas Freches - fast Trotziges. Das dürfen wir nicht verlieren, denn auch davon lebt diese Marke. Nehmen Sie zum Beispiel den e-tron: Er gewinnt zwei Drittel aller Vergleichstests; das hätte uns kaum jemand zugetraut. Wir sind Weltmarktführer in diesem Segment, denn wir haben seit Marktstart bereits knapp 50000 e-trons an Kunden übergeben.

Ist auch ein E-Auto für den kleineren Geldbeutel in Planung?

Wortmann: Ich finde, der VW ID.3 ist hier ein hervorragendes Beispiel. Wir haben den Konzernverbund und da bin ich sehr froh. Denn eine Marke allein kann so eine große Bandbreite in der Produktpalette heutzutage nur sehr schwierig betriebswirtschaftlich stemmen. Wir haben Elektro- und Verbrennerplattformen und das Prinzip, auf beiden das Beste zu bieten. Damit können wir die Synergien und Kostenpotenziale im Konzern nutzen.

Welche Rolle spielen die RS-Modelle, die für die Klimaziele nicht die besten sind?

Wortmann: Sie sind superemotional und elementar für uns. Ich bin selbst begeistert. Unser Ziel ist es, über das ganze Portfolio CO2-Compliance zu erreichen. Bei jeder Produktentscheidung berücksichtigen wir die CO2-Emissionen. Gleichzeitig müssen wir die Balance halten und die Marke mit den vier Ringen von beiden Seiten aufladen - nachhaltig und emotional. Wir waren im Übrigen mit dem RS6, RS7 und RS Q8 die ersten auf dem Markt, die die 48-Volt-Technik in diesem Segment verwenden, also eine milde Hybridisierung, die sich nennenswert auf die Effizienz auswirkt und zudem noch den Fahrspaß beflügelt. Der Audi RS6 etwa ist aktuell extrem beliebt - wir kommen kaum mit der Fertigung nach.

Wird es ihn mit E-Antrieb geben?

Wortmann: RS steht für High Performance. Das kann man genauso auf ein Elektroauto übertragen. Daher setzen wir auch in diesem Segment auf eine konsequente Elektrifizierungsstrategie - aus unserer Sicht die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit der RS-Modelle.

Welches Auto fahren Sie zurzeit?

Wortmann: Ich fahre derzeit einen A8 Plug-in-Hybrid, denn mir ist es wichtig, zu wissen: Wie klappt das mit dem Laden? Wo sind die Ladesäulen? Vorher bin ich einen e-tron gefahren. Ich fahre leidenschaftlich gerne Auto, liebe Klassiker und nicht zuletzt bin ich auch mehrfach Oldtimerrallyes wie die Mille Miglia gefahren. Zudem fahre ich auch gerne mit unseren Entwicklungskollegen zusammen, die die Details noch mal anders als ich erspüren. Daraus entstehen viele Ideen, wie man die Fahrzeuge später positionieren kann.

Sie waren also schon immer so autobegeistert?

Wortmann: Ja, und das ist in den letzten Jahren noch stärker geworden. Unsere Branche hat sich so gewandelt wie kaum eine andere Industrie. Die Autobauer werden jetzt zu großen Tech-Companies. Wenn ich mir anschaue, wie wir mit Partnern im Silicon Valley, Israel, China oder auch anderen Regionen an Innovationen arbeiten, ist die Welt in der Automobilbranche wirklich spannender denn je. Ich finde das sehr begeisternd. Mir hat es auch einen Kick gegeben, bei Audi noch einmal neu anzufangen. Das ist ja in meinem Alter vielleicht nicht mehr so selbstverständlich. Für mich war das persönlich die größte Herausforderung.

Wie geht es denn mit dem Sponsoring weiter? Bei der Berlinale ist Audi ausgestiegen, beim FC Bayern wurde das Engagement ausgeweitet.

Wortmann: Die Richtlinie ist die neue Markenstrategie. Darauf basiert jede weitere Entscheidung beim Sponsoring. Ich finde, wir haben ein paar wirklich tolle Engagements über die Jahre, teilweise Jahrzehnte, aufgebaut, die wir nicht mehr hergeben sollten. Das sind zum Beispiel der FC Bayern oder der FC Ingolstadt. Wintersport hat schon immer eine zentrale Rolle gespielt - gerade auch wegen Quattro. Aber es kommen neue Plattformen dazu, die wir bisher nicht bedient haben, die ganze Tech-Welt etwa. Wir entwickeln uns weiter und sehen uns an, was die jungen Zielgruppen interessiert. Zum Beispiel E-Gaming oder E-Sports. Wir prüfen, wie das in unsere Strategie passt und welche Rolle wir dabei spielen wollen. Wir brauchen ein gut balanciertes Portfolio - und was wir machen, muss einen starken Signalcharakter haben, damit sich unsere Kunden darin wiederfinden. Ein FC Bayern hat 650 Millionen Fans weltweit, 135 Millionen davon in China. Das sind alles potenzielle Käufer. Dann haben wir digitale Formate, mit denen wir spielen können. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir 50 Prozent unseres Marketingbudgets in Aktivitäten stecken wollen, die die Nachhaltigkeit fördern. Die Entscheidung, das Berlinale-Engagement zu beenden, hängt damit zusammen. Auf diese Weise kann ich das Budget dafür freischaufeln, um in neue Partnerschaften zu investieren, die besser passen. Etwa die Kooperation mit dem Greentech Festival. Das hat für mich Zukunftsfähigkeit. Dass da auch regionales Engagement dazu gehört - ja natürlich. Das ist unsere soziale Verantwortung am Standort. Zum Beispiel die digitalen Formate bei den Sommerkonzerten. Wie cool war das! Und darüber hat es im Vorstand nicht eine Minute Diskussion gegeben.

DK

Das Interview führten Sandra Mönius und Stefan König.