Schrobenhausen
Anknüpfen an die Anfänge

Ein Zusammentreffen mit Horst Seehofer am Rande einer Fernsehaufzeichnung

20.08.2013 | Stand 02.12.2020, 23:46 Uhr

Schrobenhausen (SZ) Horst Seehofer aus Gerolfing kommt mal wieder ins Fernsehen. Für die meisten wäre das eine Ausnahmesituation, für ihn ist das längst Alltag. Wie so vieles, das für andere eben nicht Alltag ist.

„In den vergangenen fünf Jahren war vieles nicht mehr möglich.“ Dieser Satz beschreibt den Ist-Zustand seines Lebens. Wenn er ihn ausspricht, stöhnt er nicht dabei, denn er hat es sich ja selbst so ausgesucht. Abends mal in den Biergarten gehen. Nicht mehr möglich. Einfach ins Kino. Nicht möglich. Immerhin kann er sich daheim, in Gerolfing, noch frei bewegen. Sagt er. Oft kommt das aber nicht vor. Fast jeden Abend hat er irgendwelche Termine.

Ein Auftritt in einem Fernsehstudio, das ist heute viel mehr seine Normalität. Diesmal ist er in der Heimat zu Gast, die „Redezeit“ bei INTV. Gerade wird das Set ausgeleuchtet, die Kameras sind bereits positioniert. Seehofer ist ein paar Minuten eher gekommen, er hat noch die Zeit für ein Interview.

Einer seiner TV-Auftritte ist inzwischen Legende. Der bei Claus Kleber im ZDF. „Das können Sie alles senden“, hatte er damals gesagt, nachdem er seine Meinung zu Norbert Röttgens karrieristischem Schlingerkurs geäußert hatte – im Klartext, ohne die gängigen diplomatischen Politiker-Verklausulierungen. Röttgen war damals nicht mit Haut und Haaren für seine Kandidatur bereit gewesen. „Das war ein dramatischer Fehler – der erforderte eine Reaktion“, sagt Seehofer heute in der Rückschau. Dass diese seine Reaktion tatsächlich gesendet würde, damit hatte er damals allerdings nicht gerechnet.

Seehofer macht das ja bisweilen gern, dass er Leute verblüfft, indem er eine Salve abfeuert, mit der man nicht rechnen würde. Vielleicht hat ihm ja dieses Interview im ZDF wieder einmal gezeigt, wie gut das manchmal geht.

Finanzminister Söder hat jedenfalls auch mal so eine Ladung abbekommen. Im Gegensatz zu Röttgen musste der aber nicht gehen. War das damals auch spontan, als er ihm im Plausch mit Journalisten Charakterschwäche unterstellte? Seehofer grinst. „Ach wissen Sie, das dient alles der Persönlichkeitsbildung“, sagt er nur.

Regelrecht tiefenentspannt wirkt der Ministerpräsident in diesen Tagen der heißen Wahlkampfphase. Das Leben und auch das Amt haben ihn Gelassenheit gelehrt. Sogar, wenn mal jemand übers Ziel hinaus schießt, und wohl auch, wenn dieser Jemand womöglich er selbst ist. „Stellen Sie sich vor, man würde bei jedem Menschen reinstochern, was er denn vor 20, 30 Jahren mal gemacht hat“, sagt er, „irgendeinen Blödsinn gab es doch fast bei jedem.“

Nebenan gehen die Vorbereitungen fürs Fernsehinterview in die Schlussphase. Er kennt das. Früher, als Gesundheitsminister war er bisweilen in Talkshows aufgetreten, um sich zu erklären. „Oh ja, da bin ich verprügelt worden“, sagt er und lacht. Dieses Lachen, diese Stimme, das kennt man. Erst recht, seit Kabarettisten wie Wolfgang Krebs die Eigenheiten seiner Art zu sprechen herausgearbeitet haben. Manchmal schlägt das zurück. „Es kommt schon vor, dass ich Leute anrufe, und die dann zurückfragen: ,Sind Sie’s wirklich’“, erzählt er. Wenn er beispielsweise sonntags einem Bürgermeister einer kleineren Gemeinde zur Wahl gratuliere. ,Ja, ich bin’s wirklich“, sagt er dann. „Das löst sich aber immer sehr nett auf.“

Zurzeit ist er wieder öfter in kleinen Gemeinden unterwegs. In Weichenried, in Gachenbach, in Berg im Gau, in seinem Stimmkreis Neuburg-Schrobenhausen nämlich, wo er Landtagskandidat ist. Warum nimmt das einer, der schon – zumindest vertretungsweise – Bundespräsident war, auf sich, eine Landtagskandidatur? Die Rente aufbessern kann er sich damit jedenfalls nicht.

„Wenn ich so materialistisch denken würde, dann hätte ich gar nicht Ministerpräsident werden dürfen“, sagt Seehofer. „Wenn Sie so etwas zum Abschluss einer langen politischen Laufbahn machen können, dann geht es um andere Dinge.“ CSU-Kreischef Alfred Lengler habe ihn regelrecht bekniet. „Es zerreißt uns zwischen Neuburg, Donaumoos, Schrobenhausen und den neuen Gemeinden“, das habe er gesagt. Unter Seehofer soll der neue Stimmkreis zusammenwachsen. Dafür muss er sich jetzt anhören, er habe sich den Stimmkreis zurechtgezimmert. „Und? Welche Auswirkungen hat das“ Seehofer zuckt die Schultern. Tiefenentspannt, eben.

Dafür nimmt er zur Flut seiner Abendtermine noch ein paar mehr in Kauf. Seine Frau habe ihn schon mal gefragt, ob das denn wirklich sein müsse, diese Abende in den kleinen Stimmkreisgemeinden. Ja, muss sein. „Ich will den Menschen zeigen, dass man an sie noch denkt, auch wenn man in einer herausgehobenen Position ist.“

Und es hat auch etwas Sentimentales. „Diese Kandidatur ist das Anknüpfen an die Anfänge“, sagt er. Mit 29 war er hier schon unterwegs, all die Namen haben ihn sein Leben lang begleitet: Asam, Roßkopf, Flammensböck, Keßler, der Bitscher Jakob, der Märkl Sepp, Josef Plöckl. Und längst ist er auch mit der nächsten Generation vertraut.

Wie soll das eigentlich in der Praxis laufen? Wie kommt man als Bürger an den Abgeordneten Seehofer heran? „Dann würde ich jemanden einstellen, der direkter Ansprechpartner ist. Aber jetzt muss man erst mal gewählt werden. Ich hab schon so viel erlebt.“

Unter anderem, wie er als Ministerpräsident vereidigt wurde, im Kreise der Familie. „Für uns war das ein epochales Ereignis“, sagt er. Seither lebt er mit großen Erwartungshaltungen. „Das Häufigste, was ich an Silvester höre ist: ,Herr Ministerpräsident, schaun’s, dass das so bleibt’.“ Damit es so gut bleibt, müsse man „immer wieder etwas ändern“, sagt Seehofer. An allem festzuhalten, das wäre „der sicherste Weg, dass es nicht so bleibt, wie es ist“.

Nicht leicht, diese Botschaft zu vermitteln. Jetzt, im TV-Interview, wird er die nächste Gelegenheit dazu nutzen. Noch kurz in die Maske, dann Platz nehmen im Sessel. Kamera läuft. Alltag im Leben eines Ministerpräsidenten.