Es
Ein politisches Erdbeben

2008: Machtkampf in der CSU, Stimmungstief bei der SPD, Triumph der "Kleinen"

08.09.2013 | Stand 02.12.2020, 23:42 Uhr

 

Es wäre einen Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde wert: Günther Beckstein, der Mann, der am öftesten nicht bayerischer Ministerpräsident wurde. Dreimal stolperte der Nürnberger quasi an der offenen Tür des Amtszimmers. Das erste Mal 2002: In der legendären Nacht der Bundestagswahl zeigt Unionskandidat Edmund Stoiber schon stundenlang das Victory-Zeichen, ehe im Lauf der Stimmenauszählung Rot-Grün doch noch Schwarz-Gelb überholt.

Beckstein wird doch nicht Nachfolger Stoibers als bayerischer Ministerpräsident. Das zweite Mal 2005: Wieder soll Stoiber nach einer Bundestagswahl nach Berlin wechseln, diesmal als Superminister in einem schwarz-roten Kabinett. Wieder zerschlagen sich diese Pläne, wieder wird Beckstein nicht für Stoiber Ministerpräsident. Und das dritte Mal ist Beckstein bereits Ministerpräsident. Doch nach der Landtagswahl 2008, bei der er als CSU-Spitzenkandidat angetreten ist, erklärt er, sich im Landtag nicht mehr zur Wahl zu stellen, obwohl klar ist, dass die CSU den Ministerpräsidenten stellen wird.

Der Grund liegt in der Landtagswahl vom 28. September 2008: „Politisches Erdbeben in Bayern“ titelt unsere Zeitung. Am ersten Wiesn-Wochenende stürzt die CSU um über 17 Prozent ab und erreicht nur 43,4 Prozent der Stimmen. Nicht viel besser ergeht es der SPD, die weit entfernt von ihrem Wahlziel „25 plus x“ bei 18,6 Prozent landet.

Gewinner der Wahl sind die sogenannten kleinen Parteien. Die Freien Wähler (FW) holen über zehn Prozent, die Grünen bleiben mit 9,4 Prozent knapp unter dieser Marke. Beide Parteien können nicht nur mit ihrer Programmatik punkten, sondern auch mit ihren Spitzenkandidaten: Hubert Aiwanger (FW) und Sepp Daxenberger (Grüne) zeigen jeder auf seine Weise, dass es auch gestandene Bayern, tief verwurzelt im Land und im Landleben, gibt, die politische Konzepte jenseits der CSU zu bieten haben. Dass Daxenberger 2010 mit 48 Jahren an Krebs stirbt, ist ein herber Verlust für die politische Landschaft Bayerns. Und schließlich kehrt auch die FDP, die ihren Stimmenanteil mehr als verdreifachen kann, mit glatt acht Prozent ins Maximilianeum zurück. Und rettet die CSU: Vor der Wahl war ihr Spitzenkandidat Martin Zeil noch belächelt worden, als er in Interviews dezidiert erklärte: „Ich will Wirtschaftsminister werden.“; nach der Wahl wird er es – unter einem CSU-Ministerpräsidenten. Der Versuchung, wie schon 1954 eine Viererkoalition gegen die CSU zu schmieden, widerstehen die Liberalen 2008.

Der Ministerpräsident heißt dann Horst Seehofer. Mit der Wahl des Ingolstädters (der übrigens nicht mit abstimmen darf, weil er kein Landtagsmandat hat) am 27. Oktober 2008 endet eine der turbulentesten Phasen in der bayerischen Nachkriegsgeschichte. Was sich in dem Stimmenanteil der CSU bei der Landtagswahl niederschlug, war auch das Ergebnis von internen Querelen, die die Partei jahrelang nicht zur Ruhe kommen hatten lassen.

Begonnen hatte alles ganz oben: Zweidrittelmehrheit für Edmund Stoibers CSU nach der Landtagswahl 2003. Doch wie es vom Nordpol aus nur noch nach Süden geht, kann es vom Gipfel aus nur noch nach unten gehen. Beflügelt vom Wahlergebnis wollte Stoiber offensichtlich bester Ministerpräsident der Welt werden, einerseits modernisieren, investieren, andererseits den Haushalt radikal sanieren. Sein strikter Sparkurs kostete ihm viele Sympathien. Dazu kamen seine abgebrochenen Abwanderungsversuche nach Berlin und eine Abhör-Posse um die ehemalige CSU-Landrätin Gabriele Pauli, die Stoiber viel zu spät ernstnahm.

Drei Jahre nach dem glänzenden Wahlsieg in Bayern ist Edmund Stoiber politisch schwer angeschlagen. Zum Showdown kommt es auf der traditionellen Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion Mitte Januar 2007. Wer wie dort agierte, liegt immer noch nur schemenhaft sichtbar in einem Nebel aus Schweigen und widersprüchlichen Aussagen. Was das Ergebnis war, ist aber klar: Am 18. Januar, an dem Tag, an dem auch der Orkan Kyrill über Bayern tobt, erklärt Stoiber, im Herbst von seinen Ämtern als Ministerpräsident und Parteichef zurückzutreten. Ihm sollen Günther Beckstein als Ministerpräsident und Erwin Huber als Parteichef nachfolgen.

Doch die Zeit zwischen Januar und Oktober ist lang. Stoiber geht auf große Abschiedstour. Die lange Übergangsphase und die leicht vergiftete Atmosphäre zwischen den Protagonisten zermürben die Nachfolger, die Partei, die Wähler. Als Beckstein und Huber Anfang Oktober 2007 übernehmen, riecht es nicht gerade nach Aufbruch und Frische.

Diese beiden Attribute gestanden die Wähler 2008 auch der SPD nicht zu. Redlich und wacker mühte sich Franz Maget durch seinen zweiten Wahlkampf als SPD-Spitzenkandidat. Aber zu oft muss er ohne ausreichende Unterstützung kämpfen. Das Ergebnis ist bekannt: Die SPD erlebt bei der Wahl 2008 ein Debakel, das allerdings relativ wenig diskutiert wird; weil das Debakel der CSU alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Bei der Union kommt die Lösung aus Ingolstadt und heißt Horst Seehofer. Der damalige Bundesverbraucherminister, ein Jahr zuvor noch in einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz gegen Erwin Huber unterlegen, muss es nun richten.