Eichstätt
Kandidatur als Selbstversuch

SPD-Bewerber Stefan Schieren schätzt seine Chancen realistisch ein – "Warum tun Sie sich das an"

25.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:52 Uhr

Auf seinem Fahrrad ist Stefan Schieren häufig in Eichstätt anzutreffen: Damit radelt er gewöhnlich an seinen Arbeitsplatz, die Katholische Universität. Helm ist immer Pflicht, schon als Vorbild für seine fünf Kinder. Der 49-Jährige bewirbt sich für die SPD im Wahlkreis Ingolstadt, Eichstätt, Neuburg-Schrobenhausen um ein Bundestagsmandat - Foto: kno

Eichstätt (EK) Natürlich sei die meistgestellte Frage an ihn: „Warum tun Sie sich das an“ Stefan Schieren ist Bundestagskandidat der SPD und weiß nur allzu gut, dass er eigentlich auf verlorenem Posten kämpft. Anders ausgedrückt: „Es wäre vermessen oder naiv zu glauben, dass ich hier abräume.“

Nein, Jammern und Wehklagen bricht beim Eichstätter Politikprofessor deswegen nicht aus: „Es hat mich ja niemand gezwungen“, sagt er mit tiefer, sonorer Stimme und einer großen Portion Gelassenheit. Schieren sitzt in seinem Büro im ehemaligen Kapuzinerkloster mit „einem angenehmen und schönen“ Blick auf den Friedhof. Neben den unvermeidlichen Aktenbergen: „Das Maß aller Dinge“ – ein grüner Meterstab mit der Raute „seiner“ Borussia. In Mönchengladbach ist der mittlerweile 49-jährige „Rheinländer vom Niederrhein“ geboren. Kommt ein Kollege, ein ausgewiesener Nürnberg-Fan, ins Zimmer, begrüßt Schieren ihn per Knopfdruck mit der schnarrenden Gladbach-Hymne „Ja, wir schwören Stein und Bein auf die Elf vom Niederrhein...“.

Eher sportlich sieht der Sozialdemokrat auch seine Kandidatur. Sie sei der „Selbstversuch eines Politikwissenschaftlers und politisch interessierten Staatsbürgers“. Er wollte mal die Seiten wechseln, so Schieren: „Nicht immer nur Beobachter sein, sondern Teilnehmer mit Blick hinter die Kulissen.“ Außerdem lebe die Demokratie davon, dass man sich beteilige: „Das predige ich auch immer meinen Studenten“, sagt Schieren, der als Direktkandidat für den Bundestagswahlkreis 217 (Ingolstadt, Eichstätt, Neuburg-Schrobenhausen) antritt und auf der SPD-Liste auf einem als aussichtslos geltenden Platz 45 geführt wird. Ursula Engelen-Kefer hatte 2009 15,4 Prozent geholt.

Seit zehn Jahren lebt Schieren mit seiner Familie in Eichstätt und unterrichtet und forscht an der Katholischen Universität. Fünf Kinder hat er mit Ehefrau Andrea – das jüngste zwei Jahre alt. Für eine solch große Familie sei Eichstätt als Wohnort nahezu ideal. Was aber weniger fürs Immobilienangebot gilt: Nach acht Jahren Suche sei es ihnen nun endlich gelungen, ein geeignetes Haus zu kaufen. „Das grenzt an ein Wunder“, meint Schieren, dem ein trockener Humor nachgesagt wird, ohne jeden Anflug von Ironie.

Kein bisschen spöttisch sieht Schieren auch jene Angelegenheit mit Karl-Theodor zu Guttenberg: Dieser hatte für seine Doktorarbeit auch bei ihm abgekupfert. Stefan Schieren kramt ein Entschuldigungsschreiben Guttenbergs hervor. „Entschuldigung angenommen. Ich habe ihm und seiner Familie noch alles Gute gewünscht. Thema erledigt.“

1988 ist Schieren der SPD beigetreten. Unter anderem war er Referent im Bundesvorstand der Partei. Jetzt leitet er die Eichstätter SPD mit rund 80 Genossen und einem gefühlten Altersdurchschnitt von über 70. Hauptquartier ist das Hinterzimmer der Bahnhofsgaststätte in Eichstätt. „Ich gehöre da schon zu den Jüngeren“, räumt Schieren ein. Die Artikulation der jungen Leute verlagere sich zusehends in soziale Netzwerke. Politik werde nicht mehr exklusiv bei den Parteien gemacht. Diese agierten künftig mehr und mehr als Vermittler und Andockstellen.

Schieren, der Schweinshaxe und Panhas (Knochenbrühe mit Schweineblut) schätzt, ist eingefleischter Sozialdemokrat. Auch wenn er und seine Partei sich „zeitweise voneinander wegbewegt“ hätten. Beispiel Agenda 2010: Hier seien handwerkliche Fehler gemacht worden. „Große Reformen brauchen viel Zeit“, aber die damalige Rot-Grüne Koalition habe die erste Legislaturperiode vertrödelt. Die Folge: „Es gab viele Dinge, die absehbar so nicht funktionieren konnten.“ Daher bedürfe es „dringender Korrekturen“, etwa im Zeitarbeits- und Niedriglohnsektor oder beim Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger. Als besorgniserregend empfindet Schieren es, wie die Gesellschaft auseinandergedriftet sei, was die Vermögensverteilung angehe: „Das Maß der Ungleichheit ist zu hoch.“ Er sei kein Freund einer Reichen- oder Vermögenssteuer, denn mit der Einkommenssteuer gebe es ja schon ein „wunderbares Instrument“, regulierend einzugreifen. Schieren plädiert ebenfalls für mehr Einfluss des Staates, der schließlich auch für die soziale Infrastruktur sorge: „Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Neubewertung dessen, was uns was wert ist.“ Mit diesen Aussagen zieht Schieren nun übers Land und versucht zu vermitteln, dass die „große Familie SPD politisch schon seit Langem nicht mehr so bei sich selbst stand wie aktuell“.

Ein wenig Ehrgeiz hat Schieren, der ein leidenschaftlicher Sänger und trotz seiner Herkunft „kein Jeck“ ist, natürlich schon: Sein persönliches Ergebnis solle über dem der Landes-SPD liegen. „Über Prozentzahlen reden wir nicht. Wie es auch ausgeht: Ich werde am 22. September sicher nicht in die Tischkante beißen.“