Berlin
Steinbrück setzt auf Risiko

Ausgerechnet der Agenda-Gegner Wiesehügel soll nach einem SPD-Wahlsieg Arbeitsminister werden

13.05.2013 | Stand 03.12.2020, 0:09 Uhr

Berlin (DK) Klaus Wiesehügels Karriereplanung steht. Im September, kurz vor der Bundestagswahl, kandidiert er nicht noch einmal für das Amt des Vorsitzenden der IG Bau. Der Gewerkschaftschef will Arbeitsminister unter Peer Steinbrück werden.

Das verrät der Gewerkschaftschef und bekennende Gegner der Agenda 2010 im Willy-Brandt-Haus, vor der lila Wand mit SPD-Logo. Und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bestätigt danach: „Wenn er sagt, dass er den Kabinettsposten haben will, wird er ihn bekommen.“ Es ist die erste Jobgarantie für ein Mitglied des Kompetenzteams – falls Rot-Grün die Wahl gewinnt. Um der bisher lahmen Kampagne etwas Schwung zu geben, präsentierte der Kanzlerkandidat gestern die ersten drei Mitglieder seines Kompetenzteams. Wiesehügel, den Steinbrück ein wenig zwiespältig als Mann mit der „notwendigen Wasserverdrängung“ und von „großer Durchschlagskraft“ beschrieb, stellte nicht nur wegen seiner Körpergröße den Rest des Kompetenzteams inklusive Kandidat in den Schatten.

In insgesamt drei Etappen sollen die zehn Mitglieder des Kompetenzteams präsentiert werden, gestern bei der Premiere der 60-jährige Gewerkschaftsboss, dazu die 39-jährige Designprofessorin Gesche Joost, die das Thema Netzwelt besetzen soll, sowie der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann als Mann für „law and order“, für Innen- und Rechtspolitik. „Wow, die Hütte ist ja voll“, sagt Professorin Joost, als sie sich vorstellt und über den Schutz geistigen Eigentums in Zeiten des Internets und den Schutz der Kinder vor Cybermobbing eine Art Kurzvorlesung hält. Netzpolitik sei kein „Nischenthema“, warb Steinbrücks Mitstreiterin, die die SPD für Jüngere attraktiv machen und so auch der Piratenpartei Paroli bieten soll. Eigentlich hätte die Quereinsteigerin die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen müssen, doch an sie richten sich fast so wenige Fragen wie an Politprofi Oppermann.

Ausgiebig examiniert wird das Duo Steinbrück/Wiesehügel. Schließlich ist Steinbrück als Verfechter der Schröder-Reformen der Agenda 2010 bekannt, der Gewerkschaftsboss als einer der vehementesten Gegner. Ob er seine Charakterisierung Kanzler Schröders als „asozialer Desperado“ noch aufrecht erhalte? Wiesehügel weicht aus. Seit der Agenda seien zehn Jahre vergangen, man müsse „ein Stück nach vorn schauen“. Und sich jeden einzelnen Reformpunkt anschauen, ob etwas korrigiert werden müsse. Steinbrück sagt, man müsse gar nicht „verschämt oder pikiert“ über unterschiedliche Auffassungen sein. Einig seien sich beide, dass es darum gehe, Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Mindestlöhne flächendeckend, ein Ende der prekären Arbeit – Wiesehügel liegt damit auch ganz auf aktueller SPD-Linie. Sein langer Kampf gegen die Rente mit 67 – die Steinbrück für notwendig hielt – ging aber gestern weiter: Angesichts zuletzt relativ hoher Zuwandererzahlen seien die Voraussetzungen für das Funktionieren des Rentensystems besser als zum Start der Reformen angenommen. Und überhaupt: Er habe „noch viele Ideen in meiner privaten Schublade“, sagt Wiesehügel gleich zweimal vor der Hauptstadtpresse. Steinbrück schaut dabei nicht wirklich beglückt, aber er verteidigt Wiesehügels Berufung: Mit den Gewerkschaften allein werde die SPD zwar keine Wahlen gewinnen, „aber ohne sie wird sie die Wahlen verlieren“.