Washington
Der geschmuggelte Onkel

Warum ein US-Amerikaner seinen verstorbenen Angehörigen heimlich aus Deutschland schafft

13.01.2013 | Stand 03.12.2020, 0:37 Uhr

Das deutsche Bestattungsrecht ist recht streng: Auch Urnen müssen auf dem Friedhof beigesetzt werden. In den USA hingegen dürfen Angehörige die Asche auch mit nach Hause nehmen. - Foto: Thinkstock

Washington (DK) Mein amerikanischer Korrespondenten-Kollege, nennen wir ihn vorsichtshalber „Fred“, ist in Deutschland straffällig geworden. Nein, er ist nicht mit einem Schießeisen eingereist, er hat keine Bank überfallen und auch niemanden umgebracht.

Denn Fred ist ein ansonsten gesetzestreuer Mensch, er hat deutsche Vorfahren und er mag die Deutschen. „Ich konnte nicht anders“, erklärt Fred keineswegs zerknirscht. „Ich habe eine Leiche geklaut und aus dem Land geschmuggelt.“

Die Straftat ereignete sich nach dem plötzlichen Herzschlagtod seines Onkels, der in Deutschland Urlaub machte. „Er war 74, er hatte sonst keine Verwandten und er wollte einfach mal über deutsche Weihnachtsmärkte bummeln.“ Glücklicherweise hatte der Onkel im Reisebüro Freds Adresse und Telefonnummer als „Notfalladresse“ angegeben. Fred flog nach Deutschland, um den lieben Verwandten heimzuholen. „Mann, haben die Deutschen einen Aufstand gemacht. Erst wollten sie mich wegen angeblich fehlender Urkunden nicht als Verwandten anerkennen, und meine Genehmigung zur Feuerbestattung haben sie auch nicht akzeptiert.“

Nach mehr als zwei Wochen hatte sich Fred durchgesetzt, doch als er die Urne beim Bestatter abholen wollte, gab es neuen Ärger. „Die kriegen Sie nicht. In Deutschland herrscht Beisetzungspflicht auf dem Friedhof“, sagte der Bestatter. Notgedrungen musste Fred zustimmen – was nach eigenen Angaben fast 2000 Euro kostete und ihm einiges Kopfzerbrechen bescherte: „Was soll denn mein Onkel auf einem deutschen Friedhof, wo ihn niemand besuchen kann“ Am Tag nach der Zwangsbeisetzung marschierte Fred auf den Friedhof, um die Urne zu holen. Nicht klammheimlich in der Nacht, sondern mitten am Tag mit mehreren Topfblumen und einer Schaufel. „Das sollte so aussehen wie eine Grabverschönerung, doch tatsächlich habe ich die Urne ausgebuddelt.“

Im Hotelzimmer schüttete Fred den Urneninhalt in einen luftdicht verschließbaren kleinen „Urnenpappkarton“, den er sich bei der amerikanischen Fluggesellschaft besorgt hatte. Mit dem Karton im Koffer trat er die Heimreise an. „Vor dem Durchleuchten des Gepäcks hat mich ein Sicherheitsmensch gefragt, ob ich auch nichts Verbotenes im Koffer habe. Natürlich nicht, habe ich gesagt. Da ist nur ein toter Onkel drin.“ Die Sicherheitsleute hätten ihn erst streng angesehen und seien dann in ungläubiges Gelächter ausgebrochen.

Auf dem Washingtoner Dulles-Flughafen kam Fred unbehelligt durch die Kontrollen: „Bei uns darf man zwar nicht mit einer Wurst einreisen, aber gegen eine Urne mit den sterblichen Überresten von lieben Verwandten hat niemand etwas. Alles legal“, sagt er. Und weil es in den USA auch keine Friedhofspflicht gibt, nahm Fred die Urne mit heim und stellte sie in sein Bücherregal. In der nächsten Zeit will Fred vorsichtshalber einen großen Bogen um Deutschland machen: „Wenn die Sache rauskommt, wollen die mich bestimmt einlochen.“

Fred fürchtet noch Schlimmeres: „Wenn mich bei der Verurteilung der Schlag trifft, würden mich die Deutschen bestimmt auf einem deutschen Friedhof beerdigen.“ Und das will er bei aller Deutschfreundlichkeit auf jeden Fall vermeiden: „Wenn’s mal soweit ist, sollen meine Frau und die Kinder meine Urne ins Bücherregal verfrachten. Direkt neben meinen geretteten Onkel.“ Was auch einen großen Vorteil habe: „Wenn die mal umziehen, nehmen sie mich und den Onkel einfach mit.“