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Das Weiße Haus ein Narrenschiff?

07.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:59 Uhr

Washington (dpa) Dieses Buch ist eine Sensation. Ob sich in Trumps Weißem Haus wirklich alles so unfassbar zugetragen hat, wie es in "Fire and Fury" steht, ist nicht gewiss. Aber die Reaktion des US-Präsidenten zeigt, dass das Werk ihn mitten ins Mark getroffen hat.

Dass es in dem ersten echten Enthüllungsbuch der Ära Donald Trump heftig kommen würde, heißt es, habe das Weiße Haus gewusst. Dass es aber so schlimm werden würde, nicht. "Fire and Fury" (Feuer und Zorn): Das ist auch eine passende Zusammenfassung dessen, was dieser Tage in Washington jäh aufbrach und nun hell lodert: Hitze satt für den Präsidenten - und Trumps heiliger Furor.

"Ich versuche, das Leben in Trumps Weißem Haus durch die Augen derer zu sehen, die ihm am nächsten sind", beginnt Autor und Journalist Michael Wolff sein Buch. Sein Werk, schreibt Wolff, basiere auf 18 Monaten Gesprächen, auch mit Trump selbst - was der vehement bestreitet - und auf etwa 200 Interviews mit Trumps Umfeld.

"Fire and Fury" ist extrem süffig geschrieben, dicht, spannend, oft elegant, im lässigen Stil angelsächsischer Historiker. Man sitzt mit Trump am Tisch, streift durch dunkle Gänge des Hauses, das er angeblich so wenig leiden kann, duckt sich mit anderen vor dem Gebrüll des Präsidenten.

Aber - stimmt das alles? Wolff beharrt darauf, andere verweisen auf sachliche Fehler. Eine journalistische Grundregel kommt beim Lesen in den Sinn: Sei misstrauisch, wenn etwas einfach zu gut klingt, um wahr zu sein. Beispiel: Trump um 18.30 Uhr im Bett mit ein paar Cheeseburgern, fröhlich telefonierend, seine Hemden auf den Boden werfend, damit ein Bediensteter sie aufhebe: Das mag für den, der Mensch wie Präsident nicht mag, prächtig ins Bild passen. Aber ist es wahr? Und sind diese Details wichtig, oder sind sie vor allem die endgültige Verwischung von Politik, Entertainment, Gerüchten und Geschwätz?

Der Journalist Wolff hat keinen tadellosen Ruf, auch wenn manche Sicht auf ihn nicht neidlos sein mag angesichts des ungeheuren Erfolgs. "Politico" beschreibt ihn als eitlen Geck, rücksichtlos im Umgang mit Quellen. Ernst zu nehmende Kritiker beschuldigen Wolff denn auch, für "Fire and Fury" Quellen verbrannt zu haben: Niemals könne all das, was er zitiert habe, für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sein.

Das führt zu einem Kern dieser Sensation. Vieles war schon bekannt, wurde über Monate berichtet. Wolffs Verdichtung und Trumps jähe Reaktion machen die gesamthafte Darstellung nun so unglaublich, als würde man ein weit verstreutes Mosaik eines Schlachtgetümmels zu einer Dystopie zusammenschieben.

Trumps Jähzorn, seine emotionalen Achterbahnfahrten, seine vollkommene Beratungsresistenz, sein Unwille zu lesen, das stand auch schon andernorts. Wolff spricht ihm die Lesefähigkeit sogar ab, sei der Präsident doch ganz Fernsehen. Donald Trumps Wortschatz habe sich über Jahre signifikant verringert.

Mit Blick auf Macht, Rolle, Verantwortung und Ausstattung eines Präsidenten der USA ist manche Schilderung allerdings nicht deswegen weniger beängstigend, weil man es schon vorher wusste. Beispiele aus dem Buch: "Trump geht jede Fähigkeit ab, Informationen von dritter Seite aufzunehmen. Er reagiert fast phobisch auf alle formalen Anforderungen an seine Aufmerksamkeit." "Er vertraut seiner eigenen Einschätzung mehr als jeder anderen, wie irrelevant sie auch immer ist und wie vollständig er sie auch ständig ändert." "Für Trumps Weißes Haus ist alle Expertise, diese Tugend der Liberalen, überschätzt."

Trumps Sicht der Außenpolitik, so Wolff, sei völlig wahllos, uninformiert und offensichtlich launenhaft. Er liebe es, von Generälen umgeben zu sein, aber er hasse es auch, wenn sie ihm sagten, was er tun solle. Politik im Weißen Haus werde seit Längerem so gemacht, dass sein Stab irgendetwas an die Wand werfe und sehe, was davon des Präsidenten Gefallen finde. "Sie hoffen dann, dass Trump sich erinnert, dass er einen Vorschlag gut fand." Immer wieder müsse sein Stab Trump beruhigen, auf eine Bahn zurückführen, irrlichternde Ausführungen einá †hegen. "In manchen dunklen Stunden sagen sie einfach Ja."

Wer und was Trump ist, schrieb der "Atlantic" mit einiger Verzweiflung, sei doch ein offenes Geheimnis. "Alle wissen es. Und sie könnten etwas tun: Ermittlungen, Anhörungen, Vorladungen - Amtsenthebung", doch es geschehe nichts.

Heikel und in dieser Form neu ist der Part, in dem Wolff - gestützt auf Trumps engstes Umfeld - darlegt, dass alle den Präsidenten für amtsunfähig halten. Wolff beschreibt den US-Präsidenten als einen verrückten König, umgeben von Narren, auf einem Schiff ohne Kurs oder Kapitän. Dass Trump sich ständig wiederhole, sich nichts mehr merken könne, Freunde nicht mehr erkenne. Was würden Ärzte diagnostizieren?

Trump macht seine eigene Diagnose - und scheint damit zumindest jenen Teil des Mosaiks zu bestätigen, das ihn als undiszipliniert, selbstbezogen und eitel beschreibt. Unfähig, sich zu zügeln, auch wenn Schweigen vielleicht die beste Antwort wäre. Er sei nicht nur "wirklich klug", sondern sogar ein "geistig sehr stabiles Genie", findet Trump selber.

Die 336 Seiten "Feuer und Zorn" sind randvoll mit unglaublichsten Geschichten, Anekdoten und Details. Dass Trumps Tochter Ivanka und ihr Mann Jared Kushner einen Plan hatten, wer erste Präsidentin der USA werde. Die schweren Anwürfe von Stephen Bannon an Kushner, dessen Verbindungen zur Deutschen Bank wohl der Sargnagel für den Schwiegervater würden. Bannons Äußerungen waren einer der Gründe, warum Trump über Nacht mit seinem Ex-Chefstrategen brach und sich reiche Gönner abwenden.

Emsig befeuert von der Skandalisierungslust der US-Medien wird dieses Buch das Weiße Haus und seinen Präsidenten wohl über Wochen beschäftigen. Die Auswirkungen könnten bis in die Kongresswahlen im November reichen. Folgt der schwer gekränkte Trump seinem üblichen Muster, wird er alles tun, um von Werk, Details, Zitaten und all den schwer zu vergessenden Bildern abzulenken - alles.