Moskau
Russlands Janusgesicht

Putin unterdrückt die Opposition und verspricht zugleich mehr Demokratie: Ein Besuch bei Politikern in Moskau

23.03.2012 | Stand 03.12.2020, 1:41 Uhr

Alljährliche Siegesparade in Moskau: Die Modernisierung der russischen Armee hat in Wladimir Putins Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt. Er will das Land radikal aufrüsten. Die Opposition hofft derweil auf Reformen. Putin hat versprochen, mehr Parteien zuzulassen, hetzt jedoch zugleich gegen die Demokratiebewegung im Land - Foto: Ivan Sekretarev/dapd

Moskau (DK) Dmitri Medwedew packt hinter den Kremlmauern seine Koffer. So hat er es mit Wladimir Putin abgesprochen, so hat es das russische Wahlvolk entschieden. Zwei Wochen nach den Präsidentschaftswahlen ist es still geworden in Moskau. „Ich habe den Eindruck, dass die Proteste abgeflaut sind“, sagt Markus Ehm, der das Büro der CSU-nahen Hanns Seidel Stiftung in Moskau leitet.

Wenn es nach der Stadtregierung geht, kann das ruhig so bleiben. Sie hat schon einmal vorsorglich angekündigt, das Demonstrationsrecht zu verschärfen wegen der Kosten, wie es heißt, und weil viele Moskauer sich von den Demonstranten belästigt fühlen. Von einem modernen Demokratieverständnis sind viele Russen noch weit entfernt.

Die Putin-Gegner wollen erst im Mai wieder auf die Straße gehen. „Sonst werden die Menschen müde“, erklärt der bekannte Oppositionspolitiker Boris Nemzow und schnieft. Der 52-Jährige hat viele Demonstrationen hinter sich, bei eisiger Kälte. Nemzow gilt als Provokateur. Mal kommt er zu offiziellen Anlässen in Jeans, mal bringt er eine selbst verfasste Liste mit den angeblich größten russischen Verbrechern mit. Diesmal hat er seinen staatsmännischen Tag.

Wer mit ihm sprechen will, geht nicht in die Staatsduma, man trifft ihn im Hinterzimmer eines Hotels. Das war nicht immer so: Früher war Nemzow Gouverneur an der Wolga, dann Vize-Präsident unter Boris Jelzin. Ein alter Hase auf der politischen Bühne. Jetzt ist die Straße sein Podium, er führt eine Partei, die es, wenn es nach Putin ginge, eigentlich gar nicht geben dürfte. Parnas – auf Deutsch Volksfreiheit – ist nicht registriert, konnte sich nicht an den Dumawahlen im Dezember beteiligen und erst recht keinen eigenen Kandidaten für den Kreml stellen. Für Boris Nemzow blieb da nur der Straßenprotest. Sein Ziel: Mehr Demokratie, weg mit dem korrupten politischen System.

Doch das russische Volk hat den Mann, der seit Jahren eben dieses System verkörpert, gerade wieder in den Kreml gewählt. Wahlbetrug hin oder her, selbst Putin-Kritiker geben zu, dass er es wohl auch ohne Fälschungen geschafft hätte. „Es gibt keine Alternative zu Putin“ – diesen Satz hört man in Russland allzu oft. Putins Anhänger glauben, dass ihm die Demonstrationen sogar genützt haben. Denn das Putin-Lager konnte tief in die Mottenkiste alter Ressentiments greifen. Die Anführer der Demonstrationen gegen Putin seien alle von den USA bezahlt worden, ließ Putin in bester Sowjet-Rhetorik über das Staatsfernsehen verbreiten.

Wer seine Parteigenossen in der Staatsduma reden hört, könnte meinen, Russland befände sich wieder mitten im Krieg. „Wir brauchen die Waffen von übermorgen“, erklärt Felix Klinzewitsch mit finsterer Miene. Und fügt dann hinzu: „Aber wir sind absolut friedlich.“ Er sitzt für die Putin-Fraktion „Einiges Russland“ im Verteidigungsausschuss. Klinzewitsch kennt sich mit Kriegen aus: Früher kämpfte er als Kommandeur in Afghanistan. Von einem riesigen Aufrüstungsprogramm ist die Rede und von der Bedrohung durch die Nato, die USA und den neuen Raketenabwehrschild in Europa – Russlands Regime lässt seine alten Feindbilder wieder aufleben. Dass sich viele Russen eher vor dem großen kommunistischen Nachbarn China fürchten, darüber spricht man nicht. „China ist ein Tabu“, bestätigt Ulrich Brandenburg, Deutschlands Botschafter in Moskau.

Mit 23 Billionen Rubel (fast 600 Milliarden Euro) will Russland sein Militär in den nächsten zehn Jahren aufrüsten und die Armee zu einer Berufsarmee umbauen – selbst im eigenen Lager halten das viele für utopisch. Denn Russlands Rüstungsindustrie liegt am Boden. Nun will Putin dem einzigen Panzerhersteller im Land offenbar auf die Füße helfen und 2300 neue Panzer bestellen. Doch das Militär hat bereits signalisiert, dass es die minderwertigen russischen Kriegsgeräte nicht kaufen will. Und so dürfte wohl Alexander Petrow aus dem Außenministerium Recht behalten: Man müsse ja nicht alles wahr machen, was man so rede. Deutlicher darf er nicht werden.

Grigorij Jawlinskij hat nicht viel Zeit. Man trifft sich zu einem kurzen Gespräch im Tolstoi-Zimmer im altehrwürdigen Moskauer Hotel Metropol. Der Petersburger Abgeordnete war Präsidentschaftskandidat der liberalen Partei Jabloko. „Der Demokratisierungsprozess wird noch sehr lange dauern“, sagt Jawlinskij. Wie er abgeschnitten hätte, wenn er zur Präsidentschaftswahl zugelassen worden wäre? „Wie hoch mein Ergebnis gewesen wäre, hätte Putin definiert.“ Dann spricht er über sein Programm: Die Zulassung von Landeigentum, Bekämpfung von Korruption, enge Zusammenarbeit mit Europa und den USA. „Ich würde gerne das Programm von Alexander, dem Zweiten, fortführen“, sagt er. Es klingt ein wenig abgehoben. Das wirft ihm auch Oppositionskollege Nemzow vor. „Er war nie an der Macht, immer nur Kritiker.“

Nemzow selbst will Nägel mit Köpfen machen und im Herbst eine kommunale Partei anmelden. Denn Putin hat angekündigt, bald mehr Parteien zu zulassen. „Gerechtes Russland“ – Putins Vorzeige-Opposition in der Duma – versteigt sich gar zu der Aussage, dass es bald hunderte Parteien geben werde. Für das Putin-Lager wäre das eine elegante Lösung, die Gegner zu schwächen. Auch Nemzow weiß, dass nur der Widerstand gegen Putin die Opposition eint. Aus Angst vor Zersplitterung der Bewegung wolle er sich nicht zum Führer aufschwingen. Lieber setzt er auf ein „kollegiales Gremium“.

Aber ohne charismatische Führungsfigur wird es die Opposition weiter schwer haben. Manch ein Regimegegner setzt deshalb insgeheim auf ein anderes prominentes Gesicht: den Ölunternehmer Michail Chodorkowski. Seit der Kremlkritiker – angeblich wegen Geldwäsche und Unterschlagung – im Gefängnis sitzt, lieben ihn die Russen. Spätestens zu den nächsten Präsidentschaftswahlen in sechs Jahren soll er freikommen.