London
Die Spur führt nach Birmingham

Polizei sucht Hintermänner des Londoner Täters in islamistischer Hochburg Großbritanniens

23.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:26 Uhr

London (DK) Die Polizei greift durch. Eine Wohnung über einem persischen Restaurant in Birmingham wird zum Ziel einer Razzia. "Dort hat der Mann von London gelebt", sagt ein Augenzeuge. Mit dem Mann von London meint er den Attentäter, der am Mittwoch mit einem Anschlag auf das Parlament drei Menschen in den Tod riss. Zuerst hatte er einen Geländewagen als Waffe benutzt, um Passanten niederzumähen. Dann drang er in den Parlamentskomplex ein und erstach einen Wachpolizisten, bevor er selbst erschossen und zum vierten Opfer wurde. Noch wurde offiziell nicht bestätigt, ob der Täter tatsächlich hier gewohnt hat. Doch drei Männer soll die Polizei bei ihrer Razzia verhaftet haben.

An weiteren fünf Adressen in Birmingham und in London werden Razzien durchgeführt. Insgesamt seien laut Polizeiangaben acht Personen "von unterschiedlicher Nationalität" festgenommen worden. Man weiß um die Identität des Attentäters, will den Namen aber erst nicht nennen. Mark Rowley, Chef der Terror-Abwehr von Scotland Yard, appelliert an die Medien, nicht zu spekulieren. Am Nachmittag dann lüften die Beamten das Geheimnis: Beim Attentäter handelt es sich um einen 52-jährigen Mann namens Khalid Masood aus Mittelengland. "Es ist immer noch unsere Überzeugung, dass dieser Angreifer allein agiert hat und durch internationalen Terrorismus inspiriert wurde", so Rowley. Ein "einsamer Wolf" also. Aber auch Einzeltäter haben ein Umfeld. Komplizen und mögliche Mitwisser gelte es nun, ausfindig zu machen.

Noch etwas mehr über die Identität des Terroristen verrät die Premierministerin in ihrer gestrigen Ansprache. Theresa May sagt: "Ich kann bestätigen, dass dieser Mann in Großbritannien geboren wurde und er vor einigen Jahren einmal vom Inlandsgeheimdienst MI 5 untersucht wurde in Verbindung mit Sorgen über gewalttätigen Extremismus." Jedoch sei der Fall historisch und der Mann in der jüngeren Vergangenheit nicht auffällig geworden. Laut May könne der Angreifer durch islamistische Ideologie inspiriert worden sein. Damit hat sie ausgesprochen, was sich viele Briten gedacht hatten, nachdem sie Bilder des dunkelhäutigen, bärtigen Mannes gesehen hatten, der für einen Terrorangriff verantwortlich ist, der perfekt in das Schema der Attentate von Nizza oder Berlin passte. Gestern reklamiert der "Islamische Staat" (IS) den Angriff schließlich für sich.

Die Spur, die die Sicherheitskräfte nach Birmingham geführt hat, ist der Geländewagen, der zur Waffe umfunktioniert wurde. Es handelt sich um ein Mietfahrzeug, welches die Firma Enterprise in Birmingham als einen ihrer Wagen erkannt hatte. Birmingham ist für britische Sicherheitskräfte kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um islamistischen Extremismus geht. Die zweitgrößte Stadt des Königreichs ist auch eines der größten Ballungsgebiete für britische Muslime, in einigen Stadtteilen stellen sie die Mehrheit. Mehrere verurteilte Terroristen kommen aus dieser Stadt. Vor drei Jahren kam es zu einem nationalen Aufschrei, als bekannt wurde, dass Islamisten versucht hatten, Schulen in Birmingham zu unterwandern: Moderate Schulleiter würden durch muslimische Elternvertreter hinausgedrängt, um Einrichtungen fundamental-islamisch auszurichten. Bei mindestens dreizehn Schulen in der Stadt hatte das funktioniert.

Dass die Ermittler den Attentäter vom Mittwoch letztlich aus dem Blick verloren hatten, ist peinlich, aber verständlich. Es gibt einfach zu viele Verdächtige auf der Insel, die man überwachen müsste. Von den Hunderten britischen Muslimen, die aus dem Krieg in Syrien wieder zurückgekehrt sind, sind aber nicht alle als Gefährder eingestuft. Seit 2013 hat man dreizehn islamistische Attentate durch rechtzeitige Zugriffe verhindern können. Andere Gefährder fallen durchs Netz, wie jetzt der Attentäter von London. Das ist umso verständlicher, weil er mit den einfachsten Waffen wie einem Auto die Sicherheitsvorkehrungen des bestbewachten Schutzobjektes in London unterlaufen konnte. Gegen so etwas lässt sich schlecht sichern.

Die Briten entschließen sich gestern zum stoischen Weitermachen. Mit einer Gedenkminute eröffnet das Unterhaus seine Sitzung, um zu demonstrieren, dass man trotz Terror nicht daran denkt, den Gang der Dinge zu unterbrechen. "Am Mittwoch versuchte ein Akt des Terrorismus unsere Demokratie zum Schweigen zu bringen", sagt Theresa May mit starker Stimme vor den Abgeordneten, "aber heute treffen wir uns wie sonst." ‹ŒKommentar Seite 2