Olaf
Die blau-gelbe Dauerbaustelle

21.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:16 Uhr

Olaf Koch stehen die Schweißperlen auf der Stirn. Seit knapp einer Stunde referiert der 44-Jährige nun schon im „Umspannwerk“ – einer schicken Berliner Veranstaltungslokalität nahe des Alexanderplatzes. Einer Schar internationaler Journalisten will Koch erklären, wie er den Metro-Konzern umbauen und wieder auf Kurs bringen will. Seit 2012 leitet er nun den Düsseldorfer Handelsriesen, zu dem die Töchter Metro Cash & Carry, Media-Saturn, Real, Galeria Kaufhof und eine Menge Probleme gehören. Dem Top-Manager sitzt ein Haufen unzufriedener Aktionäre im Nacken, allen voran der Großaktionär: die Familie Haniel. Letztere verkaufte erst kürzlich ein großes Aktienpaket, die Beteiligung sank von mehr als 30 auf 25 Prozent. Man verliert die Geduld – und vor allem die Hoffnung auf baldige hohe Gewinne.

Einer der Metro-Tiefpunkte datiert auf dasselbe Jahr wie Kochs Amtsantritt: der Abstieg aus dem Dax – nach 16 Jahren musste das Unternehmen zwangsweise die erste Börsenliga verlassen. Das Ziel ist also klar formuliert: der Wiederaufstieg.

Richten soll es Koch, der Mann mit der markanten Glatze. Dem Diplom-Betriebswirt, geboren im hessischen Bad Soden, kann eine gewisse optische Ähnlichkeit zum Komiker Rüdiger Hoffmann nur schwer abgesprochen werden. Ansonsten haben die beiden nicht viel gemein: Erstens – behaupten böse Zungen – haben Kochs Aktionäre nicht so viel zu lachen. Zweitens – und das ist ernst gemeint – ist Koch das genaue Gegenteil eines in die Rolle des behäbigen Meckerers schlüpfenden Comedian. Koch gilt als Macher.

Wenn der Metro-Chef vor internationalem Publikum über seinen Konzern referiert – dann tut er das in perfektem Englisch. Absolut souverän, keine Hänger, keine Versprecher. Und das, obwohl er im Gegensatz zu vielen Top-Manager-Kollegen nicht von einem Teleprompter abliest oder auf Spick-Kärtchen linst. Koch redet in der Geschwindigkeit eines Shopping-Sender-Verkäufers, fixiert dabei intensiv einzelne Zuhörer, auch ein spontanes Späßchen ist mal drin. Vielleicht ist Koch deshalb so ein exzellenter Redner, weil er damit die Zeit überbrücken muss, bis seine Arbeit Früchte trägt. Ein Konzern von der Größe der Metro ist schließlich ähnlich schnell manövrierbar wie ein Öltanker.

Kochs Vorgänger als Metro-Chef hieß Eckhard Cordes, und der hatte im Kampf gegen schlechte Zahlen eine klare Strategie: Er setzte auf ein rigoroses Spar- und Verschlankungsprogramm. Dessen Name „Shape 2012“ (Deutsch: fit machen) wurde von frustrierten Mitarbeitern bald als „Shave“ (Deutsch: rasieren) verballhornt, weil viele Metro-Angestellte ihren Job verloren. Cordes festigte seinen Ruf als gnadenloser Aufräumer.

Derartige Effizienzprogramme haben kurzfristig oft Erfolg: Findige Finanzer pressen schnell Millionensummen aus einem Unternehmen und zahlenmäßig steht man wieder gut da. Doch die vermeintliche Medizin ist genauso häufig ein tödliches Gift, am Ende steht dann die Katastrophe: die Pleite. Bei Praktiker war das so. Ähnlich bei Schlecker. „Kuh gemolken, Kuh tot“, sagen Insider. Koch war damals als Metro-Finanzvorstand am Sparprogramm „Shape 2012“ beteiligt – nun, so hat man den Eindruck, will er einen anderen Weg gehen. Er will langfristige Perspektiven schaffen.

Dafür hat sich der 44-Jährige keinen einfachen Zeitpunkt herausgesucht, denn es brennt an allen Ecken und Enden. Zu lange hatte man auf das Jahrzehnte erfolgreiche Prinzip der Expansion gesetzt. Es reichte, wieder einen neuen Laden aufzumachen, die Kunden kamen und kauften. Doch die Welt hat sich gewandelt. Den Handel hat vor allem das Online-Geschäft revolutioniert. Vertriebsformen wie das Warenhaus à la Galeria Kaufhof scheinen nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Konkurrenz-Ketten wie beispielsweise die Mode-Spezialisten Zara und H&M ziehen vor allem junge Kunden ab. Noch steht Kaufhof sehr solide da: Die operative Umsatzrendite lag im Geschäftsjahr 2013/2014 bei ordentlichen 6,2 Prozent. Trotzdem: Der Verkauf der Tochter Kaufhof an Karstadt-Eigner René Benko scheint immer näher zu rücken.

Von den Anlegern ist immer wieder die Forderung zu hören, die Metro solle ihr Geschäft stärker fokussieren. Mit dem Verkauf von Kaufhof hätte Koch eine Baustelle weniger. Noch viel lieber wäre der Metro-Chef aber wohl das derzeit größte Sorgenkind im Konzern los: Real. Die Supermarkt-kette wirft nicht die erwarteten Gewinne ab. Die operative Umsatzrendite lag 2013/2014 nur bei mageren 1,1 Prozent. Bereits seit einiger Zeit läuft der Umbau durch die Metro. Die Düsseldorfer mussten die Restrukturierung offenbar zwangsweise selbst anpacken, weil sich für das Deutschland-Geschäft von Real kein Käufer fand. Das Auslandsgeschäft wurde bereits veräußert.

Dass sich im Handel aber tatsächlich neue Wege finden lassen, zeigt derzeit Media-Saturn. Eine Zeit lang glaubte man, die Kunden würden Elektronik nur noch Online bestellen – der Ingolstädter Elektronikriese versuchte aber den Spagat und verzahnte Internet-Geschäft und stationäre Märkte. Allen Unkenrufen zum Trotz scheint die Kombination im Moment gut anzukommen.

Doch auch im ursprünglichen Kerngeschäft, dem Großhandel in den Metro-Cash-&-Carry-Märkten, läuft es nicht rund. Koch glaubt erkannt zu haben, was falsch lief: Man habe zu lange an der gleichen Strategie festgehalten. „Stolz führt manchmal auf den falschen Weg“, sagt Koch. Jetzt will er das Ruder mit neuen Ideen herumreißen. Zum Beispiel will er verstärkt in Start-Up-Unternehmen mit cleveren Geschäftsmodellen investieren. Damit, erklärt Koch, könne man neue Strategien im kleinen Rahmen ausprobieren. Sozusagen eine Art Testballon, ohne die Gefahr im Falle eines Misserfolgs gleich einen gesamten Konzern vor die Wand zu fahren.

Natürlich beteilige man sich nicht wahllos an Start-Ups, erklärt der Metro-Chef. Im Falle von Cash & Carry etwa sollen es Neuerwerbungen auf dem Gastronomie-Sektor sein. In dieser Branche, da ist sich Koch sicher, könne man viele Kunden gewinnen. Denn gerade hier hätte sich Online noch nicht viel getan. Viele Restaurants hätten beispielsweise zwar eine Homepage, aber nach einer Online-Tischreservierung etwa suche man oft vergebens.

Wie erfolgreich so ein Start-Up sein kann, zeigt die Online-Plattform Open-Table, mit der man Tische in Restaurants reservieren kann. In Deutschland ist die Seite noch wenig populär, in den USA dagegen umso mehr. 2,6 Milliarden Dollar zahlte der US-Konzern Priceline-Group, zu dem vor allem Reiseportale gehören, im Juni 2014 für das Unternehmen.

Doch es gibt auch Baustellen, die zum Dauerproblem werden. Und was für Berlin der Pannenflughafen BER ist, das ist für Koch der Streit mit Media-Saturn-Mitgründer und Minderheitsgesellschafter Erich Kellerhals um die Macht beim Ingolstädter Elektronikriesen. Mittlerweile ist es etwas ruhiger geworden, Kellerhals grantelt aktuell vor allem auf seiner Homepage in Richtung Metro. Denn nach zahllosen Gerichtsgefechten wendet sich das Blatt zusehends zugunsten der Düsseldorfer.

Unter anderem stellte sich Kellerhals selbst ein Bein, indem er im vergangenen Jahr Media-Saturn-Chef Horst Norberg mehrfach attackierte. Diesen wähnte Kellerhals nämlich zu sehr von Metro beeinflusst. Norberg trat schließlich zurück. Daraufhin gelang dem Düsseldorfer Handelsriesen ein geschickter Schachzug: Wie vertraglich vereinbart, entsandten sie ihr Vorstandsmitglied Pieter Haas als Stellvertreter nach Ingolstadt, der seitdem die Geschicke von Media-Saturn lenkt. Haas bleibt so lange am Drücker, bis ein neuer Chef gefunden ist – was aufgrund des Dauerzwists noch ewig dauern kann.

Auch hier unterscheidet sich Koch von seinem Vorgänger Cordes – der leidenschaftlich gerne öffentlich mit Kellerhals in den Ring stieg. Koch dagegen vermeidet die persönliche Konfrontation. Interviews mit Sticheleien in Richtung des Minderheitseigner sind seine Sache nicht. Eine Strategie, die inzwischen erste Früchte trägt – in der Öffentlichkeit rückt Kellerhals immer mehr in die Rolle des Querulanten.

Als Philanthropie sollte man Kochs Strategie deswegen aber nicht auslegen. „Wir sind nicht nur da, um die Leute glücklich zu machen“, sagt er. „Wir müssen auch Geld verdienen.“