Genf
Beben in der Medienwelt

Schweizer entscheiden am Sonntag über Abschaffung der Rundfunkgebühren

02.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:44 Uhr

Genf (AFP) Es sind keine leichten Zeiten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa. In Deutschland wird immer wieder über den Rundfunkbeitrag gestritten, die AfD zieht gegen einen mit "Zwangsgebühren" finanzierten "Staatsfunk" zu Felde. In Österreich unterstellt der rechtspopulistische Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache dem Sender ORF "Fake News, Lügen und Propaganda". Und die Schweizer stimmen am Sonntag darüber ab, ob die Radio- und Fernsehgebühren abgeschafft werden sollen.

Die Schweizer "No Billag"-Initiative - benannt nach dem Unternehmen Billag, das in der Schweiz die Rundfunkgebühren einzieht - wurde von der Jugendbewegung der Liberalen lanciert. Sie fordert die Abschaffung der Abgabe in Höhe von 451 Schweizer Franken, umgerechnet 392 Euro. Als einzige Partei hat sich die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) hinter die Initiative gestellt.

Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht es ums Überleben. Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG wird zu 75 Prozent durch die Abgaben finanziert. Auch 21 Lokalradios und 13 Regionalfernsehsender sind auf das Geld angewiesen. Offiziellen Angaben zufolge sind 13 500 direkte und indirekte Arbeitsplätze in Gefahr.

Sollte das "Ja" am Sonntag gewinnen, müsste die SRG sehr bald ihre Arbeit einstellen, sagt Rundfunksprecher Daniel Steiner. "Ohne die Gebühren wäre es für ein kleines Land mit vier Sprachen wie die Schweiz unmöglich, ein Rundfunkangebot zu haben, das auch nur teilweise den gleichen öffentlichen Auftrag erfüllt wie heute."

Die Regierung warnt, ohne den Rundfunkbeitrag würden zahlreiche Sendungen zu politischen und gesellschaftlichen Themen verschwinden. Werbung und Sponsoring alleine würden nicht ausreichen, um in der Schweiz ein qualitativ hochwertiges und abwechslungsreiches Programm anzubieten. Außerdem gilt der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Anhängern als Garant für seriöse und ausgewogene Berichterstattung, als Bollwerk gegen Stimmungsmache und Nachrichten-Manipulation.

Die Rundfunkgegner kritisieren das derzeitige System dagegen als veraltet und zu kostspielig. Die Abgabe "hat nichts mehr mit unserer Generation zu tun, ist zu teuer und entspricht einem staatlichen System, das wir nicht unterstützen wollen", sagt der 23-jährige Wirtschaftsstudent Nicolas Jutzet, der mit hinter der Volksinitiative steht. Die Initiatoren setzten auf den freien Markt und andere Bezahlmodelle. "Das ideale System ist ein Abonnement", sagt Louise Morand, die ebenfalls im "No Billag"-Komitee sitzt. "Wir wählen so viele anderen Sachen aus: unsere Kleidung, unser Essen, unsere Bildung.... Warum sollte das bei Medien anders sein"

Die Gegner der Rundfunkgebühr argumentieren zudem, mit der Abschaffung der Abgabe steige die Kaufkraft der Eidgenossen - insgesamt kommen durch die Rundfunkgebühr pro Jahr 1,37 Milliarden Franken zusammen.

In Umfragen lagen Gegner und Befürworter lange Kopf an Kopf. Drei Wochen vor der Abstimmung ging der Trend aber Richtung Ablehnung der Initiative. Bestimmt oder eher gegen die Abschaffung der Rundfunkgebühr waren 65 Prozent der Befragten. Doch die Verteidiger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wurden aufgeschreckt, Politiker, Sportler, Filmschaffende meldeten sich zu Wort. Der Politikwissenschaftler Pascal Sciarini von der Universität Genf spricht von einer "beispiellosen" Mobilisierung.

Eines steht bereits fest: Bleibt die Rundfunkgebühr bestehen, wird sie im kommenden Jahr deutlich gesenkt, von 451 auf 365 Franken (317 Euro). Dafür müssen, wie in Deutschland, künftig alle Haushalte zahlen - auch jene ohne Radio und Fernsehen. Allerdings ist der Rundfunkbeitrag in Deutschland mit derzeit 210 Euro im Jahr deutlich niedriger.