Eichstätt
"Es muss mehr Geld ins System"

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie über die Herausforderungen bei der Pflege alter und kranker Menschen in Deutschland

02.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:44 Uhr

Eichstätt (DK) Der Leistungsdruck in den sozialen Diensten - insbesondere im Bereich der Pflege - hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Diesem Thema widmet sich am kommenden Montag und Dienstag die Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht in Eichstätt. Das Eröffnungsreferat zum Thema "Immer schneller, besser, günstiger - Leistungsdruck in der Dienstgemeinschaft" hält der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie. Wir haben vorab mit dem evangelischen Pfarrer gesprochen.

Herr Lilie, an diesem Wochenende wird das Ergebnis der SPD-Abstimmung zum Koalitionsvertrag bekannt gegeben. Wie zufrieden sind Sie denn mit den Ergebnissen, die in der Pflege erzielt wurden?

Ulrich Lilie: Zunächst begrüßen wir, dass die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Pflege spürbar verbessert werden sollen. Das sehen wir als dringend notwendig an. Dabei sind uns zwei Dinge wichtig: Es muss sichergestellt werden, dass die Verbesserungen vollständig und dauerhaft aus den Mitteln der Pflegeversicherung finanziert werden und nicht zulasten des Eigenanteils des Pflegebedürftigen gehen. Insgesamt müssen wir dem teilweise ruinösen Preiswettbewerb dringend Einhalt gebieten.

 

Es gibt große Not in den Pflegeberufen. Ist das auch der oftmals schlechten Bezahlung geschuldet?

Lilie: Natürlich. Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass die Personalbemessungsgrenzen deutlich Luft nach oben haben. Die 8000 neuen Fachkraftstellen in den stationären Pflegebereichen sind nicht ausreichend. Sie sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen ein Personalsofortprogramm für stationäre und ambulante Pflege: Da sollte der höchste in den Ländern geltende Personalrichtwert für die gesamte Bundesrepublik festgeschrieben werden. Zudem brauchen wir dringend mehr Menschen, die bereit sind, diesen schönen Beruf zu ergreifen.

 

Wie kann das funktionieren?

Lilie: Wir brauchen eine Kampagne für diesen Beruf, der zu den sinnvollsten der Welt gehört, aber eben auch die entsprechenden Bedingungen: eine vernünftige Personalausstattung, eine attraktive Bezahlung. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr viel besser geregelt wird.

 

Gerade in der Pflege gibt es einen immensen Zeit- und Leistungsdruck. Dieser Aspekt wird auch bei der Tagung in Eichstätt, auf der Sie sprechen, thematisiert.

Lilie: Wir müssen gemeinsam mit anderen Verbänden, Organisationen und den Gewerkschaften deutlich für bessere Rahmenbedingungen in der Pflege eintreten. Wir haben uns sehr eingesetzt für die generalistische Ausbildung: Wir sagen, das ist eine Möglichkeit, den Beruf attraktiver zu machen. Man kann dann im Lauf einer Karriere auch einmal wechseln, kann sich qualifizieren. Es gibt eine größere Durchlässigkeit und Planung, übrigens auch eine, die europaweit anschlussfähig ist. In vielen Ländern ist die Ausbildung schon lange akademisiert, wir ziehen mit unserem deutschen Sonderweg schon lange hinterher. Und dann müssen wir werben, werben, werben.

 

Das klingt ja in der Theorie ganz gut . . .

Lilie: Es muss letztlich mehr Geld in das System. Und wir müssen entscheiden, was uns unsere Großmütter und -väter in diesem Land wert sind. Diese Frage müssen wir laut stellen: der Politik und der Gesellschaft.

 

Ist auch die Digitalisierung ein Problem?

Lilie: Die Digitalisierung ist ein Phänomen, das wie alle großen Trends zwei Seiten hat: Sie wird an vielen Stellen vereinfachen, aber sie wird auch dafür sorgen, dass Arbeitsplätze wegfallen. In der Pflege wird sie manches vielleicht einfacher machen. Trotzdem müssen wir die Pflege entbürokratisieren. Ich kenne viele Pflegekräfte, die sagen: "Ich sitze die ganze Zeit im Zimmer und komme überhaupt nicht mehr zu den Menschen." Das ist ein sehr deutsches Phänomen. Hier müssen wir sehen, dass wir die Arbeit mit den Bewohnern, mit den Klienten und Patienten wirklich in ein angemessenes Verhältnis zu den Dokumentationspflichten bringen.

 

Das Gespräch führte

Marco Schneider.

Foto: Burg/dpa