Berlin
Die Nervosität wächst stündlich

SPD fällt auf 18 Prozent Fraktionschefin Nahles wirft Juso-Chef Kühnert Falschinformation vor

18.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:56 Uhr

Berlin (DK) "Aus Hasenfüßigkeit immer wieder in die Groko zu gehen, das wird die SPD immer weiter verzwergen." Juso-Chef Kevin Kühnert (Foto) legt gestern im Kampf gegen Schwarz-Rot nochmal kräftig nach und bringt auf den Punkt, was viele Sozialdemokraten denken. Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus, große Bühne vor der Hauptstadtpresse drei Tage vor dem Showdown, dem SPD-Parteitag.

Geht es nach Kühnert, scheitert Parteichef Martin Schulz mit seinem Werben für die Neuauflage von Schwarz-Rot, sucht die SPD ihr Heil in der Opposition und zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel die kalte Schulter. Der 28-Jährige strotzt vor Selbstbewusstsein und sieht "eine echte, reale Chance", den Parteitag auf seine Seite zu ziehen und damit Koalitionsverhandlungen mit der Union doch noch zu verhindern.

Als "Zwergenaufstand" hatte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Kampagne schlicht und einfach abgetan. In der SPD-Spitze läuft längst niemand mehr Gefahr, die Juso-Kampfansage zu unterschätzen, im Gegenteil: Die Nerven liegen blank, die Wut über die Frontalopposition des Parteinachwuchses ist groß. Fraktionschefin Andrea Nahles wirft Kühnert gestern sogar die Verbreitung von Fake News vor: Dass der Juso-Chef die Rentenvereinbarung als "Scheineinigung" kritisiert habe, "ist schlichtweg falsch". Gezielte Falschmeldungen, um das Sondierungsergebnis schlechtzureden? Kühnert ist getroffen, wehrt sich gegen den Vorwurf. "Ich kann für mich und für uns ganz beruhigt festhalten, dass wir mit uns im Reinen sind", sieht er sich zu Unrecht beschuldigt und bleibt dabei: Der Rentenkompromiss von Schwarz-Rot lasse wesentliche Fragen zur Zukunft der Rente unbeantwortet und sei "kein großer Wurf" und gehe zulasten der jüngeren Generationen.

Bis zu 90 der 600 Delegierten stellen die Jusos in Bonn. Aber auch unter den übrigen Delegierten gibt es viele, die der Neuauflage von Schwarz-Rot nur mit geballter Faust in der Tasche zustimmen werden, wenn überhaupt. Auf 18 Prozent ist die Partei in einer aktuellen Umfrage abgestürzt. 15 Prozent habe seine Partei in den beiden letzten großen Koalitionen verloren, sagt Kühnert. "Es gibt keinen Ewigkeitsbestand" für die Sozialdemokratie, sagt er mit Blick auf den Niedergang vieler Arbeiterparteien in europäischen Nachbarländern und hält das Überleben der Partei nur durch eine Erneuerung in der Opposition eindeutig für gesichert.

Steht Martin Schulz vor dem Scheitern, vor dem eigenen politischen Aus? Auch der Parteichef gibt sich gestern kämpferisch, zeigt sich bester Laune: "Heute ist ein richtig guter Tag", sagt er nach einem Treffen mit dem Gewerkschaftsrat, in dem die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer versammelt sind. Und von denen kommt gestern auch Rückendeckung. "Viel Substanz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" habe Schulz in die Sondierungsergebnisse hineinverhandelt, lobt DGB-Boss Reiner Hoffmann, der mit Schulz vor die Presse tritt. "Die können wir nicht auf der Straße liegen lassen." Er lobt die Rentenschritte, die Rückkehr zur Parität bei den Beitragssätzen zur Krankenversicherung, die Stärkung der Tarifbindung. Martin Schulz schlägt ein und stellt dazu klar: Kommt es zu Verhandlungen über die Regierungsbildung, dann werden zahlreiche Dinge "nochmal aufgerufen". So werde etwa die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen "eine Rolle spielen".

Schulz ködert seine Genossen. Und auch wenn die Jusos und viele an der Basis nichts von Schwarz-Rot wissen wollen, werden die Groko-Skeptiker unter den Funktionären und Strippenziehern in Berlin inzwischen weich. So verkündete Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken im Bundestag, der lange für eine Regierungskooperation statt einer Koalition kämpfte: 90 Prozent der linken SPD-Abgeordneten stünden jetzt hinter der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Und Parteivize Ralf Stegner - auch er ein großer Skeptiker - warnt die Jusos: Das Ergebnis einer "Sturzneuwahl" könnte leicht zum Albtraum für die SPD werden.

Am Sonntag beim Parteitag in Bonn wird Klarheit herrschen, ob die Reise weitergeht, Verhandlungen mit der Union aufgenommen werden können. Zu Beginn der Woche hieß es im Willy-Brandt-Haus, es gebe einen dicken Puffer, das Ja zu Koalitionsverhandlungen stehe nicht infrage. Sicher ist sich aber niemand. ‹ŒFoto: Kappeler/dpa