"Jede Menge Gemeinsamkeiten"

28.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:01 Uhr

Entwicklungsminister Gerd Müller über die große Koalition und den Familiennachzug:

Herr Minister, sollten Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz nicht ihre engsten Angehörigen nach Deutschland holen dürfen?

Gerd Müller: Zurzeit haben in Deutschland mehr als 500 000 anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge bereits das Recht, ihre Familie zu sich zu holen. Es werden in diesem Jahr voraussichtlich bis zu 120 000 Visaanträge zum Familiennachzug ausgestellt. 270 000 Flüchtlinge haben lediglich den sogenannten subsidiären Schutzstatus in Deutschland. Für diesen Personenkreis sollte der Familiennachzug ein weiteres Jahr ausgesetzt bleiben. Es gibt derzeit in Deutschland enorme Integrationsprobleme in den Gemeinden mit fehlenden Wohnungen und Arbeitsplätzen. Wir sollten jedoch klare Kriterien für Härtefälle haben.

 

Das reicht der SPD aber nicht . . .

Müller: Für absolut dringlich halte ich die Verstärkung unserer Hilfsmaßnahmen in den Krisengebieten vor Ort. Im Irak ist beispielsweise eine Rückkehr in viele Gegenden wieder möglich. So sind allein in den letzten drei Wochen allein 200 000 Binnenvertriebene nach Mossul zurückgekehrt. Wir können jetzt Wege und Möglichkeiten aufzeigen, auch aus Deutschland in den Irak zurückzukehren. Uns muss in Deutschland klar sein, dass wir die Probleme nicht hier, sondern nur vor Ort lösen können. Es ist unsäglich, dass viele Hilfsprogramme in und um Syrien immer noch unterfinanziert sind. Dafür würde ich mir mehr Unterstützung aller Parteien in Deutschland wünschen.

 

Sehen Sie sonst ausreichend Gemeinsamkeiten von Union und SPD für eine neue Koalition?

Müller: Es gibt jede Menge Gemeinsamkeiten für eine schwarz-rote Regierungsagenda. Die Stärkung der Familien, Verbesserungen in der Pflege, die Gestaltung einer sozialen Marktwirtschaft 2.0 mit Steuersenkungen für die Leistungsträger und einer ausreichenden Grundversorgung im Alter. Die Durchschnittsrente der Frauen in Bayern liegt bei 600 Euro. Die Grundsicherung muss deutlich verbessert, der soziale Wohnungsbau gestärkt werden. Hier können wir mit der SPD einen gemeinsamen Weg beschreiten. Das gilt auch für die großen Zukunftsaufgaben der Digitalisierung, der Globalisierung und des demografischen Wandels. Wir sind gemeinsam gefordert, den Menschen überzeugende Antworten zu geben. Die große und stolze SPD sollte sich der Verantwortung stellen.

 

Europa ist beim Aufbau einer solidarischen Flüchtlingspolitik dieses Jahr nicht vorangekommen. Zerreißt der Streit die EU?

Müller: Europa ist mit dem Versuch gescheitert, zu einer solidarischen Verteilung der Flüchtlinge zu kommen. Das große Ziel für das neue Jahr muss sein: Eine gemeinsame Asylpolitik, an der sich alle Länder beteiligen. Noch wichtiger ist es, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Auch da muss wesentlich mehr geleistet werden. Die Flüchtlingskrise ist noch längst nicht beendet. Viele Hilfsprogramme der Vereinten Nationen sind um bis zu 50 Prozent unterfinanziert! Deutschland ist eines der wenigen Länder, das seine Unterstützung ausgeweitet hat und pünktlich bezahlt.

 

Sehen Sie angesichts der Haltung der osteuropäischen Staaten überhaupt noch Chancen?

Müller: Wir dürfen die Staaten nicht überfordern. Zwangsquoten für die Aufnahme von Flüchtlingen wurden nicht akzeptiert. Und die Flüchtlinge wollen ja auch nicht nach Polen oder Ungarn, der Großteil will nach Deutschland. Nach zwei Jahren müssen wir das einsehen und einen neuen Ansatz finden. Das kann eine finanzielle Unterstützung für die besonders betroffenen Länder Griechenland und Italien von den Staaten sein, die sich der Aufnahme von Flüchtlingen verweigern. Und alle Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, sollten dafür Geld aus dem EU-Haushalt bekommen. Vor allem aber brauchen wir sichere Außengrenzen. Nicht die Schlepper dürfen bestimmen, wer nach Europa kommt.

 

Welche Instrumente sind aus Ihrer Sicht noch notwendig?

Müller: Wir brauchen Anreize für Investitionen, die deutschen Unternehmen den Schritt in Entwicklungsländer steuerlich erleichtern und Risiken mindern. Ich schlage dazu ein Entwicklungsinvestitionsgesetz vor, denn für mittelständische Firmen gibt es riesige Chancen in Afrika, etwa in der Lebensmittelindustrie. 30 Prozent der Ernte in Afrika und Indien verrotten, weil es keine Lagerhallen, Kühlhäuser oder verarbeitende Industrie gibt - wie etwa Saftfabriken für Mangos. Und wir müssen Arbeitsplätze für die afrikanische Jugend schaffen. Das ist für Europa zentral. Das Bevölkerungswachstum in Afrika ist dramatisch. Jährlich kommen 20 Millionen Arbeitssuchende dazu. Die Bevölkerung wird sich bis 2050 verdoppeln. Lösungsansätze zeigt das von mir vorgelegte Konzept eines Marshallplans mit Afrika. Die neue Bundesregierung sollte zur Umsetzung dem französischen Beispiel folgen und ebenso eine Milliarde Euro für einen Investitionsfonds bereitstellen. Damit können wir Privatinvestitionen für Ausbildung, Landwirtschaft und erneuerbare Energien in einer Größenordnung von zehn Milliarden Euro mobilisieren. Investitionen wirken aber nur, wenn wir faire Handelsbeziehungen schaffen. Produkte aus Afrika müssen den europäischen Markt auch erreichen können.

 

Das Interview führte

Tobias Schmidt.