Berlin
"Der Höhepunkt der Politikverachtung ist überschritten"

Studie über Freiheitsempfinden der Bürger sieht angesichts des rechten Populismus keinen Grund zum Alarmismus

12.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:30 Uhr

Berlin (DK) Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekommt den Wut-Wahlkampf der AfD-Anhänger fast täglich zu spüren. In Buhrufen, Pfeifkonzerten und hetzerischen Plakaten entlädt sich der Frust über die Flüchtlingskanzlerin. Doch wie stark ist der Unmut in der Bevölkerung wirklich? Sind die feindseligen Störmanöver Ausrufezeichen einer "schweigenden Minderheit"? Braut sich eine neue Populismus-Welle zusammen

Im Gegenteil, so lautet die zentrale Botschaft des "Freiheitsindex", den das John-Stuart-Mill-Institut für Freiheitsforschung gestern in Berlin präsentierte. "Der Höhepunkt der Eliten- und Politikverachtung ist überschritten, es ist zu einer deutlichen Trendwende gekommen", erklärte Instituts-Direktorin Ulrike Ackermann gestern, gab eine Teil-Entwarnung. Für den "Freiheitsindex" wurde in diesem Jahr besonders die Herausforderung durch den Populismus erforscht. Während der Wut-Wahlkampf der AfD für viele Schlagzeilen sorgt und nicht nur in der Union die Unruhe über ein starkes Abschneiden der Rechtspopulisten wächst, sehen die Meinungsforscher keinen Grund zum Alarmismus: "Die Stimmungslage hat sich nach der Finanz-, Schulden- und Flüchtlingskrise wieder normalisiert", so Instituts-Direktorin Ackermann weiter. Die Befürchtung, die AfD erhalte durch die Flüchtlingsproblematik kontinuierlich starken Zulauf, "hat sich nicht bestätigt".

In Umfragen liegt die "Alternative für Deutschland" zwischen 8 und 11 Prozent, sie könnte nach der Bundestagswahl am 24. September als drittstärkste Kraft ins Parlament einziehen. Wird sich die Partei im Bund nicht doch dauerhaft etablieren, Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus salonfähig machen? Die These, die Partei stehe für die Meinung einer überwältigenden, aber unterdrückten und deswegen schweigenden Mehrheit, sei "falsch", legt sich Studien-Autor Thomas Petersen in Berlin fest. "Die AfD ist heute die Partei einer kleinen, isolierten Minderheit, deren Isolation in den vergangenen Jahren noch zugenommen hat." Der Anteil derjenigen, die die AfD nicht für eine normale demokratische Partei halten, ist gegenüber 2015 von 62 auf 74 gestiegen. Der Wissenschaftler stützt sich auf 1450 Einzelinterviews, die das Institut für Demoskopie Allensbach für das John-Stuart-Mill-Institut geführt hat.

Neben der Herausforderung durch den Populismus verzeichnet die Studie mit Blick auf das Freiheitsempfinden und die Wertschätzung von Freiheit positive Entwicklungen. Der Gesamtindex, in dem der Stellenwert von Freiheit für den Einzelnen und in den Medien sowie das subjektive Gefühl zusammengefasst werden, legte auf plus 2,7 zu und erreichte damit den höchsten Wert seit 2011.

Hatten im vergangenen Jahr noch 28 Prozent der Befragten Angst, ihre politische Meinung frei zu äußern, zeigt sich auch hier eine Trendwende. Erstmals seit Beginn des Jahrzehnts stieg die Zahl derer, die sich nicht sorgen, ihre Meinung frei äußern zu können, und zwar von 57 auf 63 Prozent. "Der Glaube an die Freiheit in der politischen Meinungsäußerung kehrt zurück", zieht Instituts-Direktorin Ackermann ein positives Fazit. Die Sorge, die Freiheit werde etwa durch Video-Überwachung oder eine Ausweitung von Abhörmöglichkeiten bedroht, sei "nicht mehr relevant", so ein weiteres Ergebnis.

Mit 67 Punkten ist die Angst vor Terror, Extremismus und Islamismus weit stärker als die vor einer Einschränkung der Bürgerrechte. "Die Bürger wünschen sich eine wehrhafte Demokratie, die offensiv Sicherheitsprobleme angeht", heißt es dazu im "Freiheitsindex".

Das Vertrauen in die politischen Institutionen insgesamt hat mit dem Abklingen der Flüchtlingskrise wieder deutlich zugenommen. Grund zu Erleichterung und Selbstzufriedenheit in der politischen Klasse gibt es hingegen nach Ansicht der Studien-Autoren nicht: Nur 25 Prozent der Befragten glauben demnach, dass die Abgeordneten in Berlin die Sorgen der Menschen kennen und ernst nehmen. Für die Spitzenkräfte der Wirtschaft fällt der Wert mit 11 Prozent noch deutlich schlechter aus. "Die Skepsis der Gesellschaft gegenüber den Eliten reicht weit hinein ins bürgerliche Lager", konstatiert Studien-Autor Petersen und setzt damit doch noch ein Warnsignal.