Hongkong/Ingolstadt
Vom Ende einer Utopie

Ein Kommentar von Christian Tamm

12.06.2019 | Stand 02.12.2020, 13:45 Uhr
Polizisten stehen in der Nähe des Legislativrates Demonstranten gegenüber. −Foto: Foto: Vincent Yu/AP

Keine andere Stadt Chinas ist derart frei und zugleich so unter Druck. In Hongkong ist Pressefreiheit kein Fremdwort. Und das Versammlungsrecht wird in aller Regel geachtet. Zudem herrscht echte Marktwirtschaft, welche die Sonderverwaltungszone reich gemacht hat. Großzügig gestand China der ehemaligen britischen Kolonie bei dessen Rückkehr ins Reich der Mitte 1997 erhebliche Freiheiten zu. Eine Utopie.

Denn tatsächlich musste die Metropole diese Rechte auch dazu nutzen, um ihre Bewohner vor den Augen und dem Griff Pekings zu bewahren. Es ist nicht so, als sei die chinesische Führung erfreut, dass im Land zwei Systeme bestehen. Spätestens die pro-demokratischen Proteste 2014 - die leicht auf ganz China hätten ausstrahlen können - haben Peking aufgeschreckt. Seither ist Hongkong unter Beobachtung.

Es muss bitter für die Bürger Hongkongs sein, wie ihre Rechte nun quasi von innen heraus abgeschafft werden. Denn Regierungschefin Carrie Lam bastelt trotz erbitterter Gegenwehr ihres Volkes an einem Auslieferungsgesetz, das es den Behörden erlauben würde, von Peking beschuldigte Menschen an die Volksrepublik auszuliefern. Das würde bedeuten, dass auch in Hongkong die chinesische Justiz durchgreifen könnte.

Dagegen gehen die Menschen schon seit Tagen auf die Straße und demonstrieren für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Es ist aber zu befürchten, dass durch die Blockade des Parlaments und die so erzwungene Verschiebung der gestrigen Debatte lediglich Zeit gewonnen wurde. Die nicht frei gewählte Peking-treue Mehrheit im Hongkonger Legislativrat wird die Novelle früher oder später beschließen. Der Westen muss akzeptieren, dass Peking mächtiger ist denn je - und er muss fürchten, dass es seinen Blick nun nach Taiwan richtet.