Ingolstadt
Rückzug einer Weltmacht

Ein Kommentar von Christian Tamm

20.12.2018 | Stand 02.12.2020, 14:59 Uhr

Ingolstadt (DK) Weihnachten ist eine Zeit, zu der sich viele darauf besinnen, dass Geben seliger ist denn Nehmen. Besonders großherzig zeigt sich der US-Präsident: Er schenkt Kremlchef Wladimir Putin die Oberhand in Syrien. Die US-Truppen holen die Fahnen ein. In dem Krisenland hat Russland ohnehin an Einfluss gewonnen, was an einer unausgegorenen Strategie Washingtons liegt. Das geopolitische Parkett ist einfach nicht Trumps bevorzugter Untergrund.

Für Putin wird indes ein Wintermärchen wahr. Nun kann er ungestört vom lästigen Klassenfeind die Zukunft Syriens entwerfen - samt wachsendem Einfluss für Moskau. Auch Trump könnte profitieren, denn seine Entscheidung zielt gar nicht auf die große Weltpolitik ab. Für ihn zählt nur Amerika und sein persönlicher Erfolg. Die Nation ist kriegsmüde. Seit Jahrzehnten müssen Tausende US-Soldaten in Nahost ihren gefährlichen Dienst verrichten. Rund 2000 von ihnen erhalten nun kurz vor den Feiertagen die Botschaft, bald ihre Liebsten wiederzusehen. Gepaart mit der innenpolitisch cleveren Aussage, dass die USA nicht länger der "Polizist des Nahen Ostens" sein wollen, könnte ihm das zum Fest neue Sympathien bescheren. Insgesamt ist der US-Kurs, nicht mehr in jedem Krieg mitmischen zu wollen, eigentlich zu begrüßen - er wird nur im Zusammenhang mit dem falschen Konflikt eingeschlagen. Die USA haben sich immer gerne als "Polizist des Nahen Ostens" verstanden, sich aber selten mit Ruhm bekleckert. Der Feldzug gegen Saddam Hussein im Irak war sogar unnötig und völkerrechtlich bedenklich.

Der vorschnelle Abzug der US-Armee aus Syrien hingegen ist falsch und könnte verheerende Auswirkungen haben. Das gebeutelte Land, aufgerieben zwischen Machthaber Assad, russischen Begehrlichkeiten, iranischen und türkischen Interessen sowie dem Terror des "Islamischen Staates" (IS), ist noch lange nicht über den Berg. Vor allem die Terrormiliz liegt keinesfalls so geschlagen darnieder, wie man meinen könnte.

Die USA verlieren durch die vorweihnachtliche Entscheidung Trumps weiter dramatisch an Bedeutung auf der internationalen Bühne. Ob Klimaschutz, Flüchtlingspolitik oder nun die Terrorbekämpfung: Die Welt muss sich endgültig eingestehen, dass auf Washington kein Verlass mehr ist.