Zum Audi-Projekt "Artemis"
Raus aus dem Tal der Tränen

Ein Kommentar von Stefan König

29.05.2020 | Stand 02.12.2020, 11:16 Uhr
Ein Audi-Logo. −Foto: Uli Deck/dpa/Archivbild

Nun soll es also Artemis richten, die griechische Göttin der Jagd. Nachdem Tesla an der Börse mittlerweile höher gehandelt wird als Volkswagen, ist die Zeit vorbei, in der der Elektroautopionier aus den USA von der Konkurrenz aus Europa und speziell aus Deutschland nur müde belächelt wurde.

Der wirtschaftliche Wert ist das eine, Innovation und Technik sind das andere. Denn "Vorsprung durch Technik" war gestern. Tesla ist vielmehr drauf und dran, Volkswagen und auch die einstige Konzern-Perle Audi abzuhängen. Die Gründe sind hinlänglich bekannt: Der Rivale aus dem Silicon Valley produziert günstiger, liefert die leistungsstärkeren Batterien und verfügt über ein so innovatives wie verlässliches Softwarekonzept. Als wäre dies nicht genug, will Tesla ab dem nächsten Jahr in der Nähe von Berlin ein eigenes Werk in Betrieb nehmen.

Der Druck auf VW-Chef Herbert Diess wächst deshalb von Tag zu Tag, auch weil er die Probleme im Konzern nicht in den Griff bekommt. Der neue Golf 8 ist schon jetzt ein Fall für einen Rückruf - mittlerweile ist die Produktion sogar gestoppt - und auch beim ersten reinen Elektromodell ID3 spielt die Software nicht mit. Die Verunsicherung im Konzern ist groß. Diess hat trotz eines Rekordjahres Kredit verspielt und die Arbeitnehmervertreter gegen sich aufgebracht. Schon wird kolportiert, er sei nur noch ein Chef auf Abruf.

Eigentlich wäre er deshalb gut beraten, für Ordnung und Ruhe im eigenen Reich zu sorgen und Strukturen glatt zu ziehen. Wenn man Insidern glauben darf, dann gestaltet sich nämlich auch der Anlauf der hoch gehandelten konzerneigenen Softwareorganisation "car.Software.org" alles andere als harmonisch. Doch Diess geht volles Risiko und bläst mit Audi zum Angriff auf Tesla und die übrige Konkurrenz. Artemis soll in Rekordzeit das Auto der Zukunft hervorbringen, wie immer es auch aussehen mag. Damit stehen der neue Audi-Chef Markus Duesmann und die Mannschaft in Ingolstadt im Rampenlicht der gesamten Branche. Das Prestigeobjekt ist eine Riesenchance für Audi, das Tal der Tränen hinter sich zu lassen. Nur: Duesmann darf sich bei diesem Projekt nicht verzetteln und muss die Pannenserie des Konzerns stoppen. Dann könnten die Audi-Ringe wieder glänzen.