Frankfurt/Main
Ein politischer Kirchentag: Corona, Klima und Rassismus

15.05.2021 | Stand 24.05.2021, 3:33 Uhr
Der Buchstabe "n", der zum Motto des 3. Ökumenischen Kirchentags "Schau hin" gehört, steht am zweiten Tag des Kirchentags vor der Europäischen Zentralbank (EZB). −Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Es gibt nicht nur Psalmen und Bibelstunden: Auf dem 3. Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt werden auch ohne volle Zelte viele aktuelle Themen diskutiert. Am Samstag beteiligten sich zahlreiche Politiker.

Politische Prominenz und viele aktuelle Themen standen am Samstag im Zentrum des Ökumenischen Kirchentags in Frankfurt.

Nachdem der Kirchentag wegen der Corona-Pandemie überwiegend digital und dezentral stattfinden musste, ballte sich die Mehrheit der mehr als 100 Veranstaltungen auf einen Tag anstatt wie sonst üblich auf mehrere Tage. Neben Bibelarbeit und geistigen Impulsen ging es in den Diskussionen um Klimaschutz, globale Gerechtigkeit, Zivilcourage und den Kampf gegen Extremismus, aber auch um Konsens und Solidarität.

So betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass sich weitgehende Klimaschutzmaßnahmen nur mit entsprechenden politischen Mehrheiten durchsetzen ließen. In einer Diskussion mit Klimaaktivistin Luisa Neubauer sagte Merkel am Samstag: „Ich verstehe auch - und das macht mich auch ein bisschen betrübt natürlich - dass junge Leute sagen: "Mann, mussten wir erst zum Gericht gehen, ehe die uns da mal in der Regierung wirklich das geben, was uns zusteht".“ Allerdings gelte auch: „In einer Demokratie muss ich auch immer Mehrheiten für etwas bekommen.“ Das Bundesverfassungsgericht hatte den Gesetzgeber verpflichtet, das Klimaschutzgesetz für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch daraufhin eine neue Fassung.

Neubauer sagte dazu: „Ich finde es ehrlich gesagt sehr schwierig, sozusagen Klimaschutz mit einem "Aber wir sind in einer Demokratie"-Nebensatz einzurahmen, denn es impliziert, es würde die Demokratie sein, die uns im Weg steht.“ Die Frage sei für sie nicht, wie viel Klimaschutz man sich leisten könne, bevor die Demokratie überstrapaziert werde. „Sondern: Was brauchen denn Demokratien im 21. Jahrhundert, um uns durch diese Krisen zu bringen, wie müssen sie ausgerüstet sein? Denn offensichtlich ist ja das: Mehr Klimakrise wird unseren Demokratien auch nicht gut tun.“

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erteilte bei einer Diskussion über internationale Gesundheitspolitik der „Impfstoffdiplomatie“ eine Absage. Sie orientiere sich eher an „den Interessen von Ländern, die Impfstoffe zur Verfügung stellen als an denen von Ländern, die dringen auf Impfstoffe angewiesen sind“, sagte er.

„Impfstoffnationalismus ist nicht der richtige Weg“, betonte Maas. Der Kampf gegen die Pandemie könne nur global gewonnen werden. „Langfristig werden wir das nur hinbekommen, wenn auch alle um uns herum das hinbekommen“, verteidigte er die Entscheidung, bei der Impfstoffbestellung einen gemeinsamen europäischen Weg zu gehen.

Die Pandemie wirke wie ein Brennglas und zeige Schwächen im globalen Gesundheitssystem, sagte Gisela Schneider, Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission in Tübingen. „Die Antwort muss über Impfstoffe hinaus gehen.“ Nötig sei es, resiliente Gesundheitssysteme etwa in unterentwickelten oder finanziell schwachen Ländern zu schaffen. Um die Weltbevölkerung impfen zu können, müsse auch über die Aussetzung von Patenten geredet werden, ähnlich wie bei Medikamenten gegen HIV und Aids. „Es dient der globalen Sicherheit.“

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hob auf dem Kirchentag im Gespräch mit Friedensforscherinnen die Bedeutung militärischer Abschreckung hervor. Je glaubwürdiger die militärische Abschreckung, desto besser könne auch über Rüstungskontrolle verhandelt werden, sagte er. So lange es militärische Bedrohung gebe, „müssen wir glaubwürdige Abschreckung erst mal haben“, sagte er bei Nachfragen zu Militärausgaben und ziviler Friedenssicherung.

Als Beispiel für die Balance von Druck und Dialog nannte Stoltenberg das Verhältnis zu Russland. „Wir bieten Dialog an, aber Russland verhält sich weiterhin aggressiv, sowohl zu Hause als auch international“, sagte er mit Blick auf die Ukraine, Georgien und den Umgang mit Kremlkritiker Alexej Nawalny. „Wir müssen den wirtschaftlichen Druck und die Sanktionen aufrechterhalten, während wir gleichzeitig ein Gesprächsangebot machen.“

Um Zusammenhalt in der Gesellschaft und den Widerstand gegen rassistische Bedrohungen ging es in einer anderen Diskussion. Der Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, der im Münchner NSU-Prozess Hinterbliebene der Opfer der rechtsterroristischen Mordserie als Nebenkläger vertrat, warnte dabei vor Bagatellisierung. „Wir müssen anerkennen, dass wir ein rechtsextremistisches Problem haben“, sagte er. Hinschauen sei nicht erst nach rassistischen und rechtsextremistischen Morden gefragt, sondern bei rassistischen Beleidigungen im Alltag. „Wir leben in einem Land, wo 99 Prozent der Leute was sagen, wenn sich jemand an der Supermarktkasse vordrängelt und 99 Prozent schweigen, wenn die Würde eines anderen Menschen verletzt wird“, sagte der Jurist. „Der Kampf gegen Rechtsextremismus muss mit dem Kampf gegen den eigenen inneren Schweinehund beginnen.“

Caro Keller von der NSU-Watch sprach sich für mehr Aufmerksamkeit für Hetze im Netz aus. Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Anschlag von Hanau hätten gezeigt, dass die Opfer zuvor durch Hetze im Netz markiert worden seien: „Es gab massive Hetze gegen Walter Lübcke, und es gab massive Hetze gegen Shisha-Bars.“ Es sei wichtig, dass die Gesellschaft den Hass zurückdränge und Täter nicht das Gefühl entwickeln könnten, gewissermaßen in gesellschaftlichem Auftrag zu handeln.

Die Diskussionen waren wegen Corona ohne Publikum aufgezeichnet worden. Der noch bis Sonntag laufende Kirchentag findet großenteils digital statt.

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Ökumenischer Kirchentag

dpa