Neue Tarifstruktur im Nahverkehr

Eisenbahnunternehmen haben Preise zuletzt deutlich erhöht - Im Juni soll Bahnfahren teils billiger werden

24.03.2020 | Stand 23.09.2023, 11:21 Uhr
Moderne Geräte, neue Tarife: Wer in Deutschland in Nahverkehrszügen unterwegs ist, zahlt jetzt kilometergenau. −Foto: Tschauner, dpa

Ingolstadt - Der öffentliche Nahverkehr erlebte in den vergangenen Jahren einen Boom. Busse und Bahnen wurden nicht nur bei Pendlern immer beliebter. Im gleichen Maß stiegen aber auf vielen Strecken die Fahrpreise zum Teil überdurchschnittlich an.

 

So verteuerte sich die Fahrt zwischen Schrobenhausen und Ingolstadt allein von 2014 bis 2019 von 5,90 auf 7,30 Euro. In diesem Zeitraum stiegen die Preise jährlich zwischen 1,6 und 6,3 Prozent - im Bundesdurchschnitt verteuerte sich der Nahverkehr aber nur zwischen 1,5 und 2,3 Prozent.

Hintergrund der überdurchschnittlichen Preissteigerungen ist nach Angaben der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG), die in Bayern für die Bestellung und die Organisation des Öffentlichen Schienennahverkehrs zuständig ist, eine Änderung in der Tarifstruktur, auf die sich alle deutschen Eisenbahnen geeinigt hätten: Zwischen 2015 und 2019 wurde der sogenannte Stufentarif, bei dem der Fahrpreis alle paar Kilometer stufenweise anstieg, durch einen linearen Tarif ersetzt, bei dem der Preis nun Kilometer für Kilometer ansteigt. Das treffe im Übrigen nicht nur die Strecke Ingolstadt-Schrobenhausen, sondern deutschlandweit alle Verbindungen außerhalb von Verkehrsverbindungen, erklärt die BEG dazu.

Für die Deutsche Bahn ist das auch eine Frage der Gerechtigkeit: "Der Stufentarif war unfair, weil jemand, der 21 Kilometer weit gefahren ist, genauso viel zahlte, wie jemand, der 30 Kilometer weit fuhr", sagt ein Bahnsprecher unserer Zeitung. So kostete zum Beispiel eine Einzelfahrt von 21 bis 30 Kilometer 6,20 Euro, ab einer Fahrtstrecke von 31 Kilometern erhöhte sich der Preis auf 8,30 Euro.

Dieses Tarifmodell stammt noch aus der Frühzeit der Deutschen Bundesbahn. Bernd Rössner, Geschäftsführer des Tarifverbandes der Bundeseigenen und Nichtbundeseigenen Eisenbahnen in Deutschland (TBNE), nennt als wichtigen Grund für die Einführung den Verkauf der sogenannten Notfahrkarten durch das Zugbegleitpersonal. Die waren auch unter dem Begriff "Abreißer" bekannt, weil sie von einem Fahrkartenblock in der jeweils zutreffenden Entfernungsstufe "abgerissen" wurden. Durch die Zusammenfassung von Entfernungen in einer Stufe konnte man natürlich mehr Verbindungen in dieser Form verkaufen, als wenn man für jede Kilometerstufe einen eigenen Preis gehabt hätte. "Welche Abmessungen solche Fahrkarten haben konnten, erkennt man daran, dass sie im Fachjargon auch unter dem Begriff ,Hosenträger-Fahrkarten' bekannt waren, weil sie so dünn und beinahe so lang wie Hosenträger waren", erinnert sich der Geschäftsführer.

Ein zweiter Grund sei die Aufstellung von Fahrkartenautomaten gewesen. Diese hatten insbesondere in der Anfangszeit nur eine begrenzte Anzahl von Tasten zur Wahl des Fahrtziels. Wenn man durch die Zusammenfassung in Preisstufen mehrere Ziele mit der gleichen Taste verkaufen konnte, bedeutete dies natürlich ein wesentlich größeres Angebot von Fahrkarten aus dem Automaten. "Die letzten dieser Geräte haben wir zum Beispiel in Frankfurt am Main erst Ende 1999 abgebaut - weil sie das Jahr 2000 nicht mehr erfassen konnten", sagt Rössner.

Diese Einschränkungen gebe es jetzt nicht mehr, so Rössner. Im Gegenteil: Durch die moderne elektronische Ausstattung könne auch ein Zugbegleiter Tickets in kilometergenauer Abstufung verkaufen. Das führe, so der Tarifexperte, zu einer "gerechteren" Preisgestaltung.

Der Fahrgastverband ProBahn sieht die Preisanpassungen dagegen kritisch: Im Zuge der Umstellung auf den linearen Tarif seien die Preise nie nach unten, sondern ausschließlich nach oben korrigiert worden, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende Lukas Iffländer. Dabei seien Preiserhöhungen auf kurzen Strecken im Nahverkehr generell kontraproduktiv: Iffländer bemängelt, dass sie in Zeiten, in denen sich die Politik bemühe, mehr Menschen für den öffentlichen Nahverkehr zu begeistern, eher zum Gegenteil führten, da für viele das Auto plötzlich wieder eine attraktive Alternative sei. Außerdem gibt es nach den Informationen von ProBahn bundesweit zum Teil deutliche Unterschiede bei den Nahverkehrstarifen: So seien 2.-Klasse-Tickets in Bayern zum Teil sogar teurer als die 1. Klasse in Baden-Württemberg.

Allerdings kommt auf die Fahrgäste im Juni eine leichte Preissenkung zu: Mit einem halben Jahr Verzögerung will die TBNE damit auf die Mehrwertsteuersenkung für Bahntickets von 19 auf 7 Prozent im Zuge des Klimapaktes der Bundesregierung reagieren. Denn auch Nahverkehrstickets ab 50 Kilometer Entfernung mussten bis Ende 2019 mit dem höheren Mehrwertsteuersatz abgerechnet werden. Während die Bahn die Umstellung für die Fernverkehrstickets bereits vor Monaten vollzogen hat, steht die Anpassung im Nahverkehr noch aus. ProBahn beklagt die Verzögerung und fordert ein Konzept, wie die Verkehrsunternehmen den Fahrgäste die zu viel gezahlte Summe erstatten wollen.

DK

 

Christian Fahn