Was soll das bringen?

05.07.2011 | Stand 03.12.2020, 2:39 Uhr

Viele offene Fragen bei der Vorratsdatenspeicherung: Der Regensburger Professor für Medieninformatik Christian Wolff.

Regensburg (DK) 35 000 Bürger hatten geklagt – mit Erfolg: Im März 2010 kippten die Karlsruher Richter das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung.

Sie erklärten die Speicherung von Verbindungsdaten für verfassungswidrig. Nun machen Sicherheitsexperten Druck und sprechen von Lücken im Kampf gegen Terror und Kriminalität. Hilft die Vorratsdatenspeicherung bei der Verbrechensbekämpfung? Das wollte unsere Redakteurin Gabriele Ingenthron von Christian Wolff wissen. Er ist Professor für Medieninformatik an der Universität Regensburg.

Herr Wolff, das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist ein ständiger Zankapfel zwischen Union und FDP. Wie ist momentan der Stand der Dinge?

Christian Wolff: Es gibt noch keine tatsächliche Lösung des Problems, weil die Union davon ausgeht, dass die Vorratsdatenspeicherung realisiert werden sollte, die FDP und die Grünen davon ausgehen, dass es sehr schwierig bis unmöglich sein dürfte, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2010 auch nur annähernd an die Vorgaben auf europäischer Ebene heranzukommen. Das ist aber umstritten.

Da hat sich ja nicht viel verändert. Neu aber ist, dass der Bundesinnenminister versucht, Angst zu schüren, nach dem Motto: Ohne Vorratsdatenspeicherung gibt es keine innere Sicherheit.

Wolff: Das ist natürlich ein sehr problematischer Punkt. Man muss da im Einzelnen schon abwägen. Ich würde davon ausgehen, dass ein Terrorist, der einen Anschlag plant und technisch versiert ist, keinerlei Probleme hat, die Vorratsdatenspeicherung dadurch zu umgehen, dass er sich mit entsprechender Software versorgt und insofern seinen Informationsaustausch so verschleiert, dass auch bei gegebener Vorratsdatenspeicherung die Polizei nicht mehr viel machen kann. Das ist die eine Perspektive.

Und die andere Perspektive?

Wolff: Die andere Sache ist, die kann ich durchaus nachvollziehen, dass die Verfolgungsbehörden, also Polizei und Justiz sagen, früher hatten wir Einzelverbindungsnachweise, also wann und mit wem einer telefoniert hat. Dadurch, dass aber jetzt Flatrates genutzt werden, kann ich das nicht mehr nachvollziehen, wenn ich keine Vorratsdatenspeicherung mehr habe. Die Behauptung lautet, dass es bestimmte Formen von Kriminalität wie Kinderpornografie gibt, die dadurch wesentlich schwerer nachzuvollziehen sind. Man kann also nicht einfach sagen, das ist gut oder schlecht. Man muss es nach den unterschiedlichen Kriminalitätsformen differenziert betrachten.

Sie sprachen von einer bestimmten Software, die es gibt, um Kommunikationsdaten zu anonymisieren. Wie muss man sich das vorstellen?

Wolff: Die funktioniert im Prinzip so, dass man zum Beispiel Zwischenstationen beim Surfen im Web einschaltet, die den Weg von mir zu Hause, wenn ich vor meinem Browser sitze und zur Internetseite gehe, verschleiern, sodass es von außen nicht mehr nachvollziehbar ist. Diese Software ist in der einfachen Version für jeden frei verfügbar, mit drei Arbeitsschritten kann sich das jeder auf seinem Rechner installieren.

Aber umso weniger ist es doch nachvollziehbar, dass sie so vehement von den Unionspolitikern gefordert wird . . .

Wolff: Das kann ich auch nicht ganz nachvollziehen. Denn gerade da, wo es um Schwerstkriminalität geht, also dort, wo die kriminelle Energie so hoch ist, dass man auch technisches Know-how investiert, kann ich mir nicht erklären, was die Vorratsdatenspeicherung bringen sollte.

Wie gehen eigentlich die anderen europäischen Mitgliedsstaaten mit der Vorratsdatenspeicherung um?

Wolff: Ich betreue gerade eine Abschlussarbeit, die untersucht, wie die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung europaweit aussieht. Dabei muss man eingestehen, dass fast alle Länder diese europäische Richtlinie umgesetzt haben, in vielen Fällen sogar mit weitaus längeren Speicherzeiträumen, bei uns wäre es ja nur ein halbes Jahr gewesen. Es gibt eine Reihe von Ländern die speichern zwei, manche sogar drei Jahre. Das ändert natürlich nichts daran, dass man sich fragen muss, was ist eigentlich die Motivation dafür.

Fairerweise müsste man jetzt aber sagen, dass Inhalte nicht gespeichert werden.

Wolff: Ja, das ist richtig. Es wird nicht gespeichert, was der Inhalt der Webside ist oder des Telefongesprächs. Aber es werden eben die Verbindungsdaten mit Zeit und Ort festgehalten, daraus lassen sich sehr präzise Bewegungsprofile erstellen. Es kann sehr kleinteilig nachvollzogen werden, wo eine Person zu welchem Zeitpunkt gewesen ist, wie sie sich bewegt hat und welche Kommunikation sie mit wem geführt hat. Das ist natürlich schon eine sehr weitreichende Information.

Erst Google, jetzt Microsoft: Der nächste Internet-Kartendienst schickt sich an, ganze Häuserzeilen und Städte abzulichten. Was halten Sie davon?

Wolff: Keine einfache Antwort. Es gibt den öffentlich Raum, der sich dadurch konstituiert, dass er öffentlich zugänglich ist. In Zukunft könnte öffentliche Zugänglichkeit bedeuten, dass ich mir diesen Raum im Internet ansehen kann. Heutzutage heißt öffentlich vielleicht dann, dass man auch auf Google Street-View zu sehen sein darf, dass es kein natürliches Anrecht auf Ausschluss aus der öffentlichen Sphäre gibt. Das würde aber heißen, wie man es aus den USA kennt, dass nur die, die es sich leisten können, weil sie eine Mauer um ihre Villenviertel bauen können, sich dem öffentlichen Raum entziehen können. Umgekehrt muss man sagen: Wird da wirklich alles angemessen entfernt, was nicht zu sehen sein soll? Muss das sein, dass ich fotografiert werde, wie ich gerade zum Fenster rausschaue. Aber da versichern die Firmen ja, dass sie das technisch im Griff haben. Das muss natürlich strikt überprüft werden.

Sind denn die Deutschen besonders kritisch, was ihre informationelle Selbstbestimmung angeht?

Wolff: Schon bei der ersten Volkszählung in den 1980er Jahren hat man gesehen, dass die Deutschen eine andere Sensibilität haben – aus gutem historischen Grund. Wenn man die Nazi-Diktatur oder die DDR ansieht, hat man auch allen Anlass, gegenüber dem Zugriff auf eigene Informationen besonders empfindlich zu sein.