„Nur der übliche Theaterdonner“

FDP-Chef Christian Lindner über den Asylstreit und die Zukunft Horst Seehofers

17.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:13 Uhr
Christian Lindner und seine FDP stehen im Falle eines Scheiterns der großen Koalition nicht als Regierungspartei zur Verfügung, wie er unserem Berliner Korrespondenten sagte. −Foto: Kappeler/dpa-Archiv

FDP-Chef Christian Lindner über den Asylstreit und die Zukunft Horst Seehofers.

Herr Lindner,  der  Unionsstreit spitzt sich zu. Wenn  heute  die Fraktionsgemeinschaft der Union und die schwarz-rote Regierung auseinander brechen würden  – stünde  die FDP dann als Regierungspartnerin bereit?
Christian Lindner: Nein, wir sind kein Notnagel. Ich wüsste auch nicht, was das für eine Koalition von wem mit wem werden könnte. Sollte die Regierung scheitern, müssten die Wählerinnen und Wähler bei Neuwahlen das Wort haben. Erst mit neu legitimierten Inhalten und Persönlichkeiten würden wir über eine Regierungsbeteiligung sprechen. Aber weder rechne ich damit, noch wäre das damit verbundene Chaos über Monate wünschenswert. Bei aller Freude am Wahlkampf sollte der Blick nach Europa und in die Welt alle schnell zur Vernunft kommen lassen. Deutschland befindet sich in einem Drift, weil die Regierung und ihre Chefin eine eklatante Entscheidungsschwäche haben. Die jetzige Zuspitzung hängt doch damit zusammen, dass Frau Merkel Fehler nicht einräumen und Fehlentscheidungen der Vergangenheit nicht korrigieren will. Im Interesse des Landes wäre ein Kurswechsel.

Die CSU will der Kanzlerin jetzt womöglich doch Zeit bis zum EU-Gipfel in zwei Wochen geben, um noch eine europäische Lösung zu erreichen. Sollte es aber kein Ergebnis geben, sollen dann Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen werden, die  in einem anderen EU-Land bereits  registriert worden sind?
Lindner: Die CSU wollte mit dem Kopf durch die Wand und wird nun realistischer. Warum Herr Seehofer nach fast drei Jahren diese zwei Wochen für problematisch gehalten hat, hing wohl mit dem bayerischen Wahlkampf zusammen. In der Sache ist es richtig, die übergangsweise Rückkehr zu den bis Sommer 2015 gültigen Regeln anzukündigen, wenn es keine europäische Lösung gibt. Stillschweigend macht es Macron in Frankreich jetzt schon so.

Die Kanzlerin pocht auf eine europäische Lösung in der Flüchtlings- und Asylpolitik, die CSU will einen nationalen Alleingang. Was  ist der bessere Weg?
Lindner: Natürlich ist nur eine europäische Politik auf Dauer tragfähig. Die FDP macht sich daher für eine gemeinsame Einwanderungs- und Asylpolitik sowie die Kontrolle der Außengrenze der EU stark. Wir dürfen Italien nicht allein lassen. Und wir wollen keine Schlagbäume an europäischen Binnengrenzen. Die CSU hat sich in eine rein nationale Lösung verrannt. Die übergangsweise Rückkehr zu den Dublin-Regeln würde aber den Einigungsdruck nach fast drei verlorenen Jahren erhöhen. Frau Merkel hat ihre Entscheidung von 2015, das Dublin-Abkommen nicht mehr anzuwenden, inzwischen zum Erbe ihrer Kanzlerschaft stilisiert. Sie hat das  seinerzeit eben nicht europäisch abgestimmt, sondern im Alleingang beschlossen. Das hat Deutschland isoliert und muss nun korrigiert werden.

Seehofer soll im kleinen Kreis erklärt haben, er könne mit der Kanzlerin nicht mehr arbeiten. Hat  dieser Streit auch persönliche und psychologische Ursachen?
Lindner: Dieser Machtkampf bestätigt im Nachhinein, dass mit Frau Merkel und den Unionsparteien plus Grüne keine tragfähige Regierung möglich war. Die CDU ist zu keinem Kurswechsel bereit, und die CSU ist panisch wegen der bayerischen Landtagswahl. Der Erneuerungsbedarf in beiden Unionsparteien ist im Jahr 13 der Ära Merkel  mit Händen zu greifen.

Die Bundeskanzlerin setzt in der Flüchtlingspolitik und im Streit um Zurückweisung an den Grenzen weiter auf eine europäische Lösung, bittet um Aufschub bis zum EU-Gipfel Ende Juni. Was spricht dagegen?
Lindner: Nichts. Man sollte den EU-Gipfel Ende Juni abwarten. Natürlich wäre eine europäische Lösung sinnvoll. Dafür wünschen wir Frau Merkel Erfolg. Es wird aber ein anderes Auftreten und eine andere Politik Deutschlands nötig sein. Denn nicht nur die Ost-Europäer, sondern auch Frankreich, Schweden und Dänemark sehen es seit langer Zeit ganz anders als Frau Merkel. Die innenpolitische Debatte in Deutschland steht Kopf, denn die hierzulande als große Europäerin gehandelte Angela Merkel ist in nicht wenigen Fragen in Europa isoliert. Wenn es kein Ergebnis beim Gipfel gibt, müssen die unvollkommenen Regeln von Dublin mit der Zurückweisung an der Grenze übergangsweise wieder angewendet werden. Das wäre ein Signal für eine politische Wende unseres Landes, ein Anreiz für eine Einigung in der EU und im Interesse Deutschlands.

Wenn der CSU-Chef und Bundesinnenminister seinen Plan zur Zurückweisung von bereits registrierten Asylbewerbern im Alleingang durchsetzt, müsste ihn die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin dann nicht zwingend  entlassen?
Lindner: Wenn sich Minister Seehofer über die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin hinwegsetzt, kann Frau Merkel nicht mehr anders als ihn zu entlassen. Sonst wäre ihre Autorität dahin. Deshalb zeichnet sich ja schon ab, dass Herr Seehofer nicht im Alleingang handeln wird. Das war nur der übliche Theaterdonner.
 
Das Interview führte Andreas Herholz.