Fragilität des Lebens - Endlichkeit des Seins

23.06.2021 | Stand 02.07.2021, 3:33 Uhr
Das Kuratorenteam Marion Ruisinger und Georg Laue −Foto: Eberl

Die Ausstellung "Vergänglichkeit - Die Wunderkammer Olbricht zu Gast im Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt" zeigt, wie die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance und des Barock zur Keimzelle heutiger Museen wurden.

Ingolstadt -"Du mußt vom Ehrenthrone, Weil keine Macht noch Krone /Kann unvergänglich sein...", dichtete Andreas Gryphius, Lyriker und Dramatiker des Barock. Diese Mahnung, dass alles Irdische vergänglich ist, steht an einer Wand des Sonderausstellungsraumes im Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt (DMMI) geschrieben. Dort erzählen 41 Objekte - Gemälde, ein wenige Zentimeter kleiner Sarg mit Skelett oder Totenköpflein - von fürstlicher und bischöflicher Sammelleidenschaft im Barock und in der Renaissance. Und von der Sammelleidenschaft des Arztes Thomas Olbricht, der vor 20 Jahren damit begann, sich eine ähnliche Kunst- und Wunderkammer zusammenzutragen wie sie im 15. bis 17. Jahrhundert nördlich der Alpen entstanden. Zehn Jahre lang waren seine 400 Objekte im "me Collectors Room Berlin" zu sehen. Im Herbst wandern sie als Leihgabe ans Folkwang Museum Essen. Bis 12. September zeigt die exklusive Auswahl in Ingolstadt, wie die früheren Wunderkammern der Erkenntnis und Erbauung dienten und damit zur Keimzelle für heutige Museen wurden.

"Vergänglichkeit. Die Wunderkammer Olbricht zu Gast im Deutschen Medizinhistorischen Museum" heißt die Ausstellung, die auch das 50-jährige Bestehen der Gesellschaft der Freunde und Förderer des DMMI feiert. Umso mehr, da sie durch die Vermittlung eines Mitglieds, des Arztes Heiner Meininghaus, zustande kam. Die Schau dieser aus kostbaren Materialien gearbeiteten Objekte zeigt, dass die Menschen einst vertraut damit waren, dass der Tod allgegenwärtiger Begleiter des Lebens ist.

Marion Ruisinger, Direktorin des DMMI, und Georg Laue, Kurator der Olbricht-Sammlung und Kunsthistoriker, haben die Skulptur "Mönch und Tod" (1740) nah an Gryphius' Mahnung platziert: Die beiden Figuren aus farbig gefasstem Lindenholz nämlich gehen vertraut miteinander spazieren. Kunstvoll gearbeitet wie sie sind auch die anderen Objekte der Vanitas und des Memento mori: Schädel und Skelette, Sanduhren, Skulpturen wie die des Chronos, des Vaters der Zeit, die auch mahnen, ein im christlichen Sinne gutes Leben zu führen, um nach dem Tod in die himmlische Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Gleichzeitig erzählen sie vom Wunsch, Krankheiten zu vermeiden, zu behandeln und das Leben zu verlängern.

Es gehe ihm bei den ausgewählten Stücken nicht nur um ihre Materialität und kunstvolle Bearbeitung, schreibt Leihgeber Thomas Olbricht im Grußwort, "sondern hauptsächlich um die Thematik des Memento mori. Möglicherweise hat dies etwas mit meinem Arztberuf, dem damit verbundenen spezifischen Umgang mit Menschen und auch der Berührung de Frage nach der Endlichkeit des Lebens zu tun."

Zu fünf Themen, die mit Zitaten an den Wänden angezeigt werden, haben Ruisinger und Laue die Objekte geordnet. Davor sind die Objekte im warmen Licht zu sehen. Ohne Erklärtexte. Diese sind in einem Begleitheft und im Katalog nachzulesen. Wie einst in den Kunst- und Wunderkammern sollen die Menschen "in Dialog mit den Dingen treten". In der Raummitte sind auf einem großen Tisch typische Objekte einer Wunderkammer versammelt. Ein Kabinettschrank mit integriertem Hausaltar und Apotheke zeigt, dass Glaube und naturwissenschaftliches Interesse Hand in Hand gingen. Ein Serpentinkelch (Dresden, 1600) steht dafür, dass nicht nur gestaunt wurde über Kunst und Exotisches, sondern auch gefragt, wie Pflanzen, Mineralien und Tiere nützlich sein könnten. Weil es hieß, der Serpentinstein "schwitze" beim Kontakt mit giftigen Substanzen, wurde er im 16. und 17. Jahrhundert zu Kelchen verarbeitet. In eine Wunderkammer gehörten auch medizinische Geräte und Bücher als "Wissensspeicher". Sie dienten bei gegenseitigen Besuchen von Fürsten und Forschern als Diskussionsgrundlage.

Auch die Kunstobjekte selbst zeigen die Verbindung von Natur- und Geisteswissenschaft. Der Verlauf der (Lebens-)Zeit, symbolisiert durch eine filigran gearbeitete Klappsonnenuhr (Nürnberg, 1565)) und eine venezianische Sanduhr aus Silberfiligran, wird am menschlichen Körper konkretisiert. Eine schlafende Mutter mit Kind hat der Künstler Leonhard Kern aus Elfenbein geschnitten (um 1650), Meister "IP" aus Birnenholz eine sitzende alte Frau geschaffen (um 1530). Ihr Körper zeigt das Altern schonungslos, die harmonischen Züge des Gesichtes aber strahlen Ruhe aus. Realistisch ist der dürre Leichnam eines Mannes.

Die Personifikationen des Todes wie jene eingangs erwähnte Statue des Mönches und des Todes, mehr noch das Paar Tödlein - zwei Skelette aus Buchsbaum und auf Sockeln mit Spiegelglas, in dem sich der Besucher sehen kann - verbinden trotz Realismus Tod und Vergänglichkeit fast heiter-tröstlich. Umso mehr, da die Tödlein sich auf Knopfdruck drehen und durch die Lichtgestaltung ihre Schatten an der Wand tanzen.

Nicht nur durch "die kollektive Pandemie-Erfahrung haben die Kunstobjekte etwas von ihrer historischen Distanz verloren und berühren uns auf eine ganz andere Art und Weise", sagt Museumsleiterin Ruisinger. Die exquisite Schau, die "so auch in New York und Paris ihren Platz hätte" (Kurator Laue), ist eine "Augenweide" und bietet überdies etwas zum Anfassen - ein 2,5 Meter langes "Ainkhürn", ein Einhorn (Narwal-Stoßzahn). Bis ins 18. Jahrhundert galt: Wer es berührt, dem bringt es Glück. Und wer kann das nicht brauchen!

DK