Berlin
Ankaras Spitzel am Pranger

Deutsche Politiker empört über türkische Geheimdienst-Aktivitäten in der Bundesrepublik

28.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:24 Uhr

Berlin (DK) "Spionageaktivitäten auf deutschem Boden sind strafbar und werden von uns nicht geduldet." Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gibt sich entschlossen, kündigt nach den Enthüllungen über die massenhafte Bespitzelung von Gegnern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland ein konsequentes Vorgehen an. Doch ganz überraschend kommt die Nachricht nicht, gibt es doch seit Langem Hinweise auf Versuche aus Ankara, Oppositionelle hierzulande auszuspionieren und einzuschüchtern.

Jetzt ist es offenkundig: Der türkische Auslandsgeheimdienst MIT hat Hunderte mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung, die Erdogan für den Putschversuch im Sommer verantwortlich macht, beschattet, gefilmt, fotografiert. Doch nicht nur das: Der MIT verlangte von den deutschen Behörden auch noch die Mithilfe beim Ausspionieren von Bürgern in der Bundesrepublik, die nach Einschätzung hiesiger Stellen völlig unbescholten sind.

"Das hat eine neue Qualität", sieht SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann eine weitere Eskalation der Spannungen nach Erdogans Nazi-Vergleichen und dem erbitterten Streit über Wahlkampfauftritte für das Verfassungsreferendum. Auch die Union macht Druck auf die Regierung, Konsequenzen zu ziehen: Wenn Erdogans Spitzel identifiziert werden könnten, sollten diese ausgewiesen werde, forderte CDU-Innenpolitiker Armin Schuster gestern. Der Abgeordnete beschrieb die Affäre als "schwerwiegenden diplomatischen Störfall".

Der Hergang ist kurios und wird für Ankara zum Fiasko: MIT-Chef Kakan Fidan hatte BND-Chef Bruno Kahl im Februar am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz eine Liste mit mehr als 300 Namen sowie 200 Vereinen, Unternehmen und Schulen überreicht. Sie alle sollen in Verbindung zur Gülen-Bewegung stehen. Erdogan macht Fethullah Gülen für den Putschversuch vom vergangenen Sommer verantwortlich, wofür die deutschen Geheimdienste aber keinerlei Anhaltspunkte sehen. Statt sich zum Helfershelfer des MIT bei der Jagd auf Oppositionelle zu machen, drehte BND-Chef Kahl den Spieß um, gab die Liste mit teils detaillierten Angaben und Kontaktdaten an die Sicherheitsbehörden in sämtlichen Bundesländern weiter, damit diese die betroffenen Bürgerinnen und Bürger warnen: Bei Reisen in die Türkei drohe ihnen womöglich die Festnahme, selbst beim Betreten türkischer Konsulate in Deutschland, etwa zur Stimmabgabe für das Verfassungsreferendum, könnten sie den türkischen Behörden ins Netz gehen.

Die Empörung in Deutschland ist groß. "Erdogan richtet einen ungeheuren Schaden an", sagte SPD-Fraktionschef Oppermann. Zumal es nicht der erste Vorwurf ist, der türkische Präsident lasse Gülen-Anhänger in Deutschland bespitzeln. Auch Imame des Moscheevereins Ditib sollen dafür mobilisiert worden sein. Die nun bekannt gewordene massive Bespitzelung ist auch eine Blamage für die deutsche Gegenspionage, hatte sie doch davon offenbar nichts mitbekommen. "Die Bundesregierung muss endlich für ernsthafte Ermittlungen gegen die Verantwortlichen sorgen", forderte Volker Beck, migrationspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. Bisher hätten die Auftraggeber der Bespitzelungen "ungestört und unbefragt in Deutschland ein- und ausreisen" können.

Zur Identifizierung der Erdogan-Spione hat der MIT den deutschen Sicherheitsbehörden ungewollt wertvolle Informationen gegeben. Schließlich könnte die von ihm übergebene Liste Aufschluss geben, wer an den Überwachungsaktionen beteiligt war. Experten schätzen die Zahl der türkischen Schnüffler in Deutschland auf 6000. "Die Bundesregierung muss endlich das Spitzelnetzwerk Erdogans in Deutschland zerschlagen", pochte die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen gestern auf ein entschiedenes Durchgreifen.