„Jahrhunderthochwasser“ treten mittlerweile in Deutschland alle paar Jahre auf, doch viele Hausbesitzer sind nicht gegen die Fluten versichert. Ist eine Pflichtversicherung die Lösung?
Die deutschen Versicherer erwarten wegen des Hochwassers in Süddeutschland überdurchschnittlich hohe Schäden. „Die Bilder aus Bayern und Baden-Württemberg lassen Schlimmes erahnen“, sagte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen in Berlin. „Eine Prognose können wir erst geben, wenn die Pegel überall gesunken sind.“ Die großen Fluten 2013 und 2021 hatten jeweils Milliardenschäden verursacht.
Die neuerliche Flut befeuert nun die Debatte um die von den Bundesländern geforderte Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Doch was wäre eine solche Pflichtversicherung überhaupt - und warum wird darum gestritten?
Was ist eine Elementarschadenpolice und welche Schäden deckt sie ab?
Die reguläre Gebäudeversicherung zahlt für Sturm und Hagelschäden, nicht jedoch bei Hochwasser. Elementarpolicen sind ein Zusatzbaustein zur Gebäudeversicherung, der weitere von den Naturelementen verursachte Gefahren abdeckt - daher der Name. Aber Achtung: Auch eine Elementarpolice deckt nicht alle denkbaren Wasserschäden ab.
Strömt etwa Grundwasser durch den Abfluss im Waschkeller nach oben ins Wohnhaus, zählt das in der Regel als Baumangel. Eine Versicherungspflicht für Elementarschäden gibt es nicht. In extrem hochwassergefährdeten Gebieten finden Hauseigentümer in der Regel auch keinen Versicherer, bei dem sie eine Elementarpolice abschließen könnten.
Warum wird über eine Pflichtversicherung diskutiert?
Nur etwa die Hälfte der in Deutschland stehenden privaten Gebäude ist elementarversichert. Bisher sprangen nach Flutkatastrophen regelmäßig Bund und Länder ein, mit Milliardenkosten für die Allgemeinheit.
Die Bundesländer wollen für die Versicherungslücken nicht länger gerade stehen und fordern daher den Bund auf, eine Versicherungspflicht einzuführen. „Der Kanzler muss jetzt endlich ins Handeln kommen und Verantwortung übernehmen“, sagt etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU).
Was spricht pro und kontra?
Es gibt zwei Sichtweisen: Ohne finanzielle Hilfe würde etlichen bisher nicht versicherten privaten Hauseigentümern im Falle einer schweren Überschwemmung der Ruin drohen. Da dies für den Staat allein extrem teuer ist, wollen die Länder die Versicherer in die Pflicht nehmen.
Das Gegenargument läuft im Kern darauf hinaus, dass es der Allgemeinheit nicht zuzumuten sei, wenn eine Vielzahl von Hauseigentümern ihre Risiken auf die Allgemeinheit abwälzt - und die Kosten damit für Millionen Menschen in die Höhe treibt. Außerdem fürchtet die Versicherungsbranche, dass Staat und Bürger nach Einführung einer Pflichtversicherung am Hochwasserschutz sparen würden, denn es müsste ja immer die Versicherung zahlen. „Dabei bleiben staatlicher und individueller Hochwasserschutz auf der Strecke“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Asmussen.
Was würde das für Hausbesitzer und Mieter bedeuten?
Eine Pflichtversicherung für sämtliche privaten Hausbesitzer würde bedeuten, dass sich auch diejenigen an den Kosten beteiligen müssen, deren Häuser weit entfernt von jedem Gewässer auf einem sicheren Hügel stehen. Eigentümer von Mietshäusern würden das mutmaßlich auf ihre Mieter umlegen wollen, auch diejenigen im siebten Stock. Wie hoch die Kosten insgesamt wären, ist schwer abzuschätzen.
Wer ist gegen die Versicherungspflicht?
In erster Linie die Versicherer, Hauseigentümerverbände und Justizminister Marco Buschmann (FDP). „Aus Sicht der Allianz ist eine Pflichtversicherung keine sinnvolle Alternative“, heißt es etwa beim Münchner Dax-Konzern.
„Ohne deutliche größere Anstrengungen in Präventionsmaßnahmen sind die Auswirkungen des Klimawandels künftig nicht in den Griff zu bekommen“, sagt ein Allianz-Sprecher. Das Justizministerium warnt, dass eine Versicherungspflicht für viele Haushalte „mit drastischen finanziellen Mehrbelastungen verbunden wäre“, wie eine Sprecherin Buschmanns sagte.
Und was soll „bessere Prävention“ bedeuten?
Manche in engen Tälern gebauten Städte haben seit jeher mit häufigem Hochwasser zu kämpfen. Ein bekanntes Beispiel ist Passau, dessen historisches Rathaus direkt am Donauufer erbaut wurde. Doch bis ins 19. Jahrhundert hielten viele Gemeinden sicheren Abstand vom Wasser, Flüsse und Bäche konnten sich in breiten Becken natürlich ausbreiten.
Heutzutage sind sämtliche großen Flüsse in Deutschland begradigt und kanalisiert, ebenso viele kleinere Gewässer. Einstige natürliche Überschwemmungsflächen wurden für die Landwirtschaft nutzbar gemacht oder bebaut. „Bessere Prävention“ bedeutet eine Vielzahl möglicher Maßnahmen: Der GDV fordert beispielsweise ein Bauverbot in Überschwemmungsgebieten. Vorbeugend gegen Hochwasser helfen können auch Rückverlegungen von Deichen, die Renaturierung ehemaliger Auwälder und Flutpolder.
Wie geht es weiter?
Die Länder forderten den Bund im Frühjahr 2023 im Bundesrat auf, eine Pflichtversicherung einzuführen. Wie in solchen Streitfällen üblich wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese soll ihre Ergebnisse am 20. Juni bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz vorstellen. Die derzeitigen Indizien deuten nicht auf eine Einigung hin - siehe die Haltung des Bundesjustizministeriums.
Bereits an diesem Donnerstag (6. Juni) soll der Bundestag über einen Antrag der Unionsfraktion abstimmen. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach die Wohngebäudeversicherung künftig nur noch mit einer Elementarschadenabsicherung angeboten wird, die nach Belehrung über die Konsequenzen abgewählt werden kann (Opt-out). Bestehende Wohngebäudeversicherungen sollen zu einem Stichtag um eine Elementarschadenversicherung erweitert werden, die innerhalb einer gewissen Frist abgewählt werden kann.
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