Nach COP27
Forscher zweifeln an Durchschlagskraft von Klimagipfeln

25.11.2022 | Stand 25.11.2022, 8:01 Uhr

Johan Rockström - Johan Rockström ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgen-Forschung. - Foto: Christoph Soeder/dpa

Minimalkonsens statt Tempo: Im Kampf gegen die sich zuspitzende Erderwärmung hat die Weltklimakonferenz in Ägypten kaum Fortschritte gemacht. Dabei schlägt die Wissenschaft klar und deutlich Alarm.

Angesichts der wenigen Fortschritte im Kampf gegen den drohenden Klimakollaps zweifeln Wissenschaftler an der Durchschlagskraft von Klimakonferenzen in ihrer derzeitigen Form.

Eine Allianz der größten Verursacher von Treibhausgasen sei möglicherweise effizienter, als mit so vielen Ländern wie möglich um Einigungen zu ringen, sagte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström, nach dem Ende des Mammuttreffens im ägyptischen Scharm el Scheich der Deutschen Presse-Agentur. Rockström beklagte zudem, dass die Wissenschaft eine «viel zu schwache Stimme» in den Verhandlungen habe.

Die zweiwöchigen Verhandlungen in Ägypten hatten lediglich bei den Finanzhilfen für ärmere Staaten einen echten Fortschritt gebracht. Bei der dringend notwendigen Senkung klimaschädlicher Treibhausgase dagegen kamen die etwa 200 Staaten nicht voran. Nicht nur Wissenschaftler und Umweltorganisationen äußerten sich darüber enttäuscht, sondern auch die EU-Kommission und die Bundesregierung.

Ergebnisse «einfach nicht gut genug»

«Bei dem, was auf dem Spiel steht, sind die Ergebnisse des Gipfels einfach nicht gut genug», bilanzierte der Forscher. Deutschland und die EU müssten nun versuchen, mit den USA und China zusammenzuarbeiten, um Fortschritte zu erzielen. Mit so vielen Ländern wie möglich um Einigungen zu ringen, wie es auf den Klimakonferenzen geschehe, sei zwar gut, aber eine Allianz der größten Verursacher von Treibhausgasen möglicherweise effizienter.

«Ich denke, dass wir den ganzen Prozess der Klimakonferenzen reformieren müssten, um gehaltvollere Ergebnisse in den Verhandlungen zu bekommen.» Vielen Diplomaten sei nicht klar, wann welche Klimafolgen in welchem Ausmaß zu erwarten seien, beklagte Rockström. «Die Entscheider brauchen vermutlich eher mehr Wissenschaft am Verhandlungstisch, nicht weniger», sagte Rockström.

Seine Vision: Die Verhandler der Staaten sollten anders als bisher tägliche Briefings zum aktuellen Forschungsstand zu Klimarisiken, Kipppunkten und anderen wichtigen Feldern bekommen - und vor diesem Hintergrund die Maßnahmen und Ziele ihrer Staaten verteidigen müssen. Außerdem sei in den Arbeitsgruppen ein engerer Austausch zwischen Verhandlern und Wissenschaftlern vonnöten.

Klimaforscher Latif: Brauchen «Allianz der Willigen»

Auch der Klimaexperte Mojib Latif hält Klimakonferenzen in ihrer derzeitigen Form nicht für zielführend. Weil bei UN-Verhandlungen stets das Prinzip der Einstimmigkeit gelte, könne man sich immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, beklagte Latif, der am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (Geomar) forscht. Länder wie Deutschland oder die USA, die wirklich Klimaschutz betreiben wollten, müssten sich zu einer «Allianz der Willigen» zusammentun und Maßnahmen umsetzen, forderte er im Deutschlandfunk.

«Gemischte Gefühle» in der deutschen Politik

Die Bundesregierung zog eine gemischte Bilanz der Klimakonferenz. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) bezeichneten die Einigung auf einen neuen Fonds zum Ausgleich für Klimaschäden in ärmeren Staaten als Durchbruch, bedauerten aber den mangelnden Fortschritt beim Klimaschutz.

«Ich bin noch nie mit so gemischten Gefühlen von einer Klimakonferenz zurückgekommen», sagte Entwicklungsstaatssekretär Jochen Flasbarth im ARD-«Morgenmagazin». Einerseits sei es mit Blick auf den Fonds für Klimaschäden und Verluste «ein Klimagipfel der Solidarität». «Andererseits ein Klimakipfel der Kleinmütigkeit, was die Klimaschutzfortschritte im Verhandlungsprozess angeht», sagte Flasbarth.

Zudem kritisierte er eine «große Verantwortungslücke» Chinas und der USA. China, das beim Ausstoß klimaschädlicher Emissionen den ersten Platz belegt, will im internationalen Klimaschutz weiter als Entwicklungsland behandelt werden. «China wird es nicht mehr gelingen (...) sich sozusagen auf der Augenhöhe von Südsudan oder Burundi zu präsentieren», sagte Flasbarth. Peking müsse ganz klar einer der Financiers für die Klimaschäden und Verluste in anderen Ländern sein.

Ein negatives Fazit zog der Präsident des Naturschutzbundes (Nabu), Jörg-Andreas Krüger. «Mit der Einigung zur Finanzierung von Schäden und Verlusten wurde ganz am Ende noch ein großer Schritt nach vorn gemacht. Allerdings ohne Raumgewinn», erklärte er. Es sei zunehmend unwahrscheinlich, dass das 1,5-Grad-Limit noch zu halten ist. «Die Staaten konnten und wollten sich nicht auf einen einigen. Auch Deutschland hat sich hier mit seiner aktuellen Gas-Einkaufstour als schlechtes Vorbild präsentiert», kritisierte Krüger.

© dpa-infocom, dpa:221121-99-597503/6