109. Frankreich-Rundfahrt
Politt, Kämna & Co.: Kleines deutsches Aufgebot zur Tour

28.06.2022 | Stand 11.07.2022, 20:04 Uhr

Nils Politt - Einer von drei deutschen Bora-Profis bei der Tour de France: Straßenmeister Nils Politt. - Foto: Bernd Thissen/dpa

Maximal neun deutsche Fahrer werden an der Tour de France teilnehmen. Weniger waren es zuletzt vor 20 Jahren. Die Sorge um den Nachwuchs ist groß, die Hoffnung auf einen zweiten Jan Ullrich kaum da.

Die großen Namen sind in Rente, die neuen Hoffnungsträger gehen auf Etappenjagd. Nach den Rücktritten von Tony Martin und André Greipel sind Nils Politt, Lennard Kämna und Co. endgültig zu den Protagonisten im deutschen Radsport aufgestiegen.

Bei der am Freitag in Kopenhagen beginnenden 109. Tour de France stehen allerdings maximal neun deutsche Radprofis am Start und damit so wenige wie noch nie in den vergangenen 20 Jahren. Qualität statt Quantität.

«Wir fahren mit unseren besten acht Rennfahrern zur Tour. Ob das dann ein Deutscher ist oder drei sind, das ist egal. Es gibt keine Vorgaben der Sponsoren», sagt Ralph Denk, Chef des besten deutschen Teams Bora-hansgrohe. Im deutschen Meister Politt, Kämna und Maximilian Schachmann hat der Oberbayer drei Profis an Bord, die jeweils eine Etappe gewinnen können.

Und mit einer nur einstelligen Zahl an Fahrern ist Deutschland nicht unbedingt in schlechter Gesellschaft. Eine Radsport-Nation wie die Niederlande ist auf demselben Niveau, einst boomende Länder wie Großbritannien und die USA wohl noch darunter. Und Denk möchte von der Anzahl der Tour-Starter nicht zwingend auf den Status quo im deutschen Radsport schließen.

Denk sorgt sich um Zukunft

Doch der Manager sorgt sich massiv um die Zukunft. «Was das Volumen betrifft, ist der deutsche Radsport nicht gesegnet. Im Nachwuchs haben wir in Straßenrennen sehr kleine Starterfelder», sagt der 48-Jährige. Vereinen werde es durch behördliche Auflagen immer schwerer gemacht, Rennen zu veranstalten. «Wenn wir Hochleistungssport und irgendwann mal wieder einen Tour-Sieger haben wollen, sind bessere Regularien gefragt. Belgien oder Italien zeigen, wie es besser geht», betont Denk. Bora selbst scoutet im Nachwuchs mittlerweile beim Mountainbike, weil dort mehr Talente am Start stehen.

Die Öffentlichkeit nimmt solche Entwicklungen meistens erst wahr, wenn es zu spät ist. Wenn nämlich eines Tages wie in den 1980er Jahren weniger als fünf Deutsche bei der Tour starten. Um das zu verhindern, müssen Kräfte gebündelt werden. Behörden und Vereine müssen die Rahmenbedingungen schaffen, die aktuellen Tour-Starter mit Erfolgen für die nötige Begeisterung beim Nachwuchs sorgen. Dann könnte das System erst einmal grundlegend funktionieren.

Hoffnungsträger Kämna

Prädestiniert dafür, mit seiner Fahrweise zu begeistern, ist vor allem Kämna. Er soll bei der Tour wie schon beim Giro, als er die Etappe auf dem Ätna in herausragender Manier gewann, viele Freiheiten bekommen. Der sensible Norddeutsche hat nach seinem Sabbatjahr die Freude am Radsport wiedergefunden und liefert beständig und beeindruckend Ergebnisse ab.

Das ist in normalen Zeiten auch Schachmann zuzuschreiben. Doch dem Berliner haftet das Corona-Pech an. Von einer Infektion im Winter erholte er sich lange nicht. Als bei der Tour de Suisse die Form mit Platz zehn in der Gesamtwertung endlich wieder stimmte, kam der nächste positive Test. Unklar ist, wie fit Schachmann an den Start geht.

Ein bisschen weiter ist John Degenkolb. Den früheren Roubaix-Sieger erwischte das Coronavirus eine Woche früher, sodass er gut zehn Tage vor Tour-Beginn schon wieder auf dem Rad saß. «Ich habe mich wirklich gut erholt und konnte wieder hart trainieren. Ich bin sehr glücklich, zum Tour-Aufgebot zu gehören», sagte der 33-Jährige. Für Degenkolb hat die Rückkehr zur großen Schleife eine immense Bedeutung. Vor zwei Jahren schied er nach einem Sturz schon nach der ersten Etappe aus, vergangenes Jahr verzichtete sein Team auf ihn. Natürlich schaut er besonders auf die Kopfsteinpflaster-Etappe am Mittwoch, zumal er auf fast identischem Terrain 2018 einen Tagessieg holte.

Mit großen Gedankenspielen hält sich Simon Geschke zurück. Gerade wegen des Kopfsteinpflasters. «Es ist meine zehnte Tour und ich sage immer, die erste Woche muss man erst einmal unbeschadet überstehen. Dann kann man Pläne machen», sagte der 36-Jährige. Dass die Tour-Organisatoren das Peloton über das brutale Kopfsteinpflaster Nordfrankreichs jagen, amüsiert Geschke keineswegs. Für ihn ist das nur ein unnötiges Spektakel. Seine Zeit kommt in der Bergen und er hofft noch einmal auf einen Tag mit Diamentenbeinen wie bei seinem Etappensieg 2015.

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