Interview
„In der Formel 1 hängen die Trauben hoch“

Formel-1-Experte Christian Danner über den Einstieg von Audi in die Königsklasse des Motorsports

07.05.2022 | Stand 23.09.2023, 1:34 Uhr

Eine einzige Partymeile: Beim Formel-1-Grand Prix von Miami steht an diesem Wochenende die Unterhaltung im Vordergrund. Foto: Bratic, dpa

Von Le Mans über die DTM und Formel E bis zur Rallye Dakar - Audi hat sich bereits in vielen verschiedenen Motorsportserien engagiert. Was glauben Sie, Herr Danner, versprechen sich die Ingolstädter nun von der Formel 1?
Christian Danner: Eine Firma wie Audi, die ja in der Historie immer schon Spitzenmotorsport gemacht hat – vor dem Krieg und nach dem Krieg, in Deutschland, in Amerika, in Le Mans –, wählt die bestmögliche Bühne des Motorsports aus, um ihre Stärken optimal kommunizieren zu können. Und das ist im Moment ganz klar die Formel 1. Deswegen ist der Schritt eigentlich nur logisch.

Wie wird in der Formel-1-Szene über den Einstieg gesprochen?
Danner: Das Gerücht, dass Volkswagen einen Einstieg plant, ist über Jahre immer wieder hochgekommen und abgeflaut. Deswegen war es fast eine Überraschung, dass der Einstieg dieses Mal auch bestätigt wurde – und zwar für Audi und Porsche. Natürlich ist das in Formel-1-Kreisen eine schöne Überraschung, weil neben Mercedes zwei weitere wichtige und große deutsche Automobilhersteller in der Königsklasse des Motorsports mitmachen. Das ist für die Formel 1 gut und letztlich auch für die Fans.

Dabei gehen die beiden Konzerntöchter sehr unterschiedlich vor: Porsche strebt als Motorenlieferant eine Kooperation mit Red Bull an, Audi dagegen will ein ganzes Team übernehmen. Was ist die sinnvollere Strategie?
Danner: Die Chancen, Erfolg zu haben, steigen natürlich, wenn man sich mit extrem etablierten Partnern ins Bett legt. Wenn man sich für Red Bull entscheidet, ist es natürlich immer noch schwierig genug, aber es ist wahrscheinlicher, dass sich sehr bald der Erfolg einstellt. Denn wenn ich als Porsche oder Audi in der Formel 1 fahre, muss ich gewinnen, alles andere macht ja keinen Sinn. Da hat Porsche sicherlich einen sehr eleganten Weg eingeschlagen, denn mit Red Bull machst du nix falsch. Die waren in den vergangenen 15 Jahren immer ganz vorne und haben in Milton Keynes mit Red Bull Powertrains auch eine Motoreninfrastruktur. Da fängst du nicht bei null an. Das ist natürlich clever. Hinzu kommt das Schwesterteam AlphaTauri, das im Windschatten mit dabei ist. Das ist super, weil man mit vier Autos und zwei Teams ganz anders entwickeln kann.

Audi will allein für die Antriebseinheit verantwortlich sein und ein Team übernehmen. Es gibt mehrere Rennställe, mit denen die Ingolstädter in Verbindung gebracht werden – Aston Martin, McLaren, Sauber – aktuell unter dem Sponsoring-Namen Alfa Romeo in der Formel 1 – oder Williams. Welches Szenario erscheint Ihnen am wahrscheinlichsten?
Danner: Wie ich aus der Szene gehört habe, hat das mit McLaren wohl nicht geklappt, aus welchen Gründen auch immer. Bei Aston Martin ist es in der Tat so, dass Inhaber Lawrence Stroll und sein Konsortium ganz klar signalisiert haben, eine Kooperation mit Audi eingehen zu wollen. Meine Bewertung: So eine Kooperation wäre gut, weil dort alles steht, was Audi braucht. Dieses Team hat echt Potenzial. Das sind gute Leute, man hat eine funkelnagelneue Fabrik hingestellt. Da müssen sie nur mit ein bisschen Know-how nachhelfen, dass das Ding auf Vordermann kommt. Die Aston-Martin-Option halte ich für eine sehr schlüssige Variante.

Wie sieht es bei den anderen Teams aus?
Danner: Bei Williams ist der große Vorteil, dass mit Jost Capito bereits ein Volkswagen-Mann an der Regierung ist. Das heißt, dort ließe sich innerhalb kürzester Zeit ein Audi-Management ohne Kulturschocks etablieren. Das hätte durchaus auch große Vorteile, weil man dort eine existierende Infrastruktur mit dem nötigen Know-how aufpeppen könnte. Das Gleiche gilt für Sauber in der Schweiz, wobei das im Vergleich zu England ein Standortnachteil ist. Es ist dort viel schwieriger, die Leute zusammenzukriegen, die so etwas können und die in dieser Branche tätig sein wollen. Also Sie sehen, jede dieser drei Optionen hätte Vorteile, aber auch Nachteile. Welche dieser Optionen letztlich infrage kommt, muss nun Audi evaluieren. Da kommt es auch auf die Konditionen an. Ein Formel-1-Team kauft man nicht so einfach wie einen Würstelstand.

Sie sagen, wenn Audi in der Formel 1 fährt, dann müssen sie auch gewinnen. Wie schwierig ist das? Wie lange wird es dauern, bis Audi nach dem Einstieg 2026 an der Spitze fahren kann?
Danner: Die erste Frage mal ganz flapsig beantwortet: sauschwierig. Wenn man mal ein bisschen zurückblickt, ist es Audi eigentlich überall gelungen, zu gewinnen. Nur so hoch wie in der Formel 1 hingen die Trauben in Le Mans nicht, in der DTM nicht, in der IMSA nicht, in der Rallye- WM nicht. Das ist schon eine andere Liga, das muss man ganz klar sagen. Aber es spricht eigentlich nichts dagegen, dass Audi das mit dem richtigen Partner hinkriegt. Man braucht nur einen langen Atem. Ob Audi den hat, weiß ich nicht. Als beispielsweise in der Kooperation von BMW und Sauber die Erfolge ausblieben, hat der BMW-Vorstand irgendwann einfach den Stöpsel gezogen. Die potenzielle Problematik, die kommt, wenn man hinterher fährt, richtig wegzustecken, ist nicht einfach. Das kann man mal ein Jahr durchhalten, aber dann wird’s schwierig.
Was Audi zugutekommen kann, sind die radikalen Regeländerungen ab 2026 – Hybridmotoren mit 50 Prozent Elektroanteil sowie 100 Prozent synthetischem Kraftstoff. VW war bei der Reglementfindung bereits involviert. Klingen die Regeln vielversprechend?
Danner: Das Entscheidende ist: Die Formel 1 fährt CO2-neutral ab 2026. Das heißt, es ist ganz modern und State of the Art. Der Stand der technischen Möglichkeiten wird hier ausgelotet. So gesehen halte ich das Reglement für gut. Ein 1,6-Liter-Sechszylinder Turbomotor mit Biosprit und einem ordentlichen Elektromotor hintendran, der rekuperiert, also als Generator arbeitet genauso als Elektromotor – das ist als Paket eine sehr interessante Sache. Die existierenden Motorenhersteller sind sehr auf die Volkswagen-Belange eingegangen, damit VW in die Formel 1 einstieg. Das Reglement müsste als dem entsprechen, wie Audi das gerne hätte.

VW-Chef Herbert Diess hat das Engagement in der Formel 1 auch mit dem Werbeeffekt begründet. Vor allem in den USA boomt die Formel 1, was man an diesem Wochenende in Miami sieht. Warum hat das so lange gebraucht, um die US-Amerikaner von der Formel 1 zu überzeugen, und warum gelingt es jetzt?
Danner: Die Vereinigten Staaten haben das, was die Formel 1 ist, eigentlich nie richtig kapiert. Das war etwas Exotisches, das waren ein paar Verrückte, die mit furchtbar komplizierten Autos umeinander gefahren sind. Seit Liberty Media die Formel 1 übernommen hat, haben sie alles komplett auf den Kopf gestellt. Dazu gehört, dass Präsident John Malone, ein amerikanischer Finanztycoon, auch die USA bedienen will, denn dort ist das Geld direkt greifbar. Mit sehr viel Know-how und sehr großem finanziellem Aufwand hat man das sehr gut hinbekommen. Das Ergebnis ist Miami. Das Event ist in den ganzen Vereinigten Staaten, und das muss man sich mal vorstellen, sagenhaft. Und jetzt Achtung: Nächstes Jahr fahren die in Las Vegas. Für die Amerikaner ist Vegas der Inbegriff des amerikanischen Entertainments. Die Konstellation, Texas, Vegas und Miami, ist schon sehr stark. Das führt natürlich dazu, dass der Aufmerksamkeitswert in den USA durch die Decke geht.

Es gibt auch harsche Kritik an Miami – der künstliche Hafen oder horrende Ticketpreise. Dafür gibt es jede Menge Show. Gefällt Ihnen diese Entwicklung?
Danner: Miami ist eine einzige Partymeile. Von den 150000 Zuschauern merken bestimmt 100000 gar nicht, was dort überhaupt los ist. Außer dass es hip ist. Das macht aber nichts, denn die Vereinigen Staaten haben ein anderes Entertainment-Gefühl als wir Europäer. Ich persönlich bin eher oldschool. Ich habe gerne charakteristische Rennstrecken wie Monza, Spa, Hockenheim. Das Geschäftsmodell muss aber auch reine Entertainment-Rennen beinhalten. Der Motorsport, der in den letzten Jahren nicht immer nur auf dem Aufwärtstrend war, ist durch den Entertainment-Faktor ein Stück weiter in die Zukunft gekommen. Es ist immer ein Ritt auf der Rasierklinge. Du musst schauen, dass du einerseits die sportlichen Werte behältst und auf der anderen Seite die Entertainment-Werte erhöhst. Diese Balance muss weiter bestehen, und das ist interessant zu verfolgen, wie Formel-1-Geschäftsführer Stefano Domenicali das macht.

Miami ist seit 1950 der elfte Schauplatz der Formel 1 in den USA. An wie vielen davon waren Sie vor Ort, und wie schwer ist es jetzt, nur noch an vier Grand Prix pro Jahr im Einsatz zu sein?
Danner: Ich war in den vergangenen 24 Jahren bei jedem Grand Prix vor Ort. Ich habe nicht einen einzigen verpasst. Ich muss aber sagen, 23 Rennen, davon sechs oder sieben in Europa, der Rest Übersee, sind schon kernig. Aber ich vermisse das schon, ich wäre lieber öfter bei der Formel 1 vor Ort, als ich das jetzt bin. Ich bin da allerdings grundoptimistisch. Ich habe mein ganzes Leben in dem Geschäft verbracht, und das werde ich auch weiterhin tun.

Sie waren als einer der wenigen Rennfahrer sowohl in der Formel 1 als auch in der IndyCar-Serie aktiv. Welche Erfahrung haben Sie mit Motorsport in den USA gemacht?
Danner: Ich habe das geliebt, das war großartig. Ich hatte eine herrliche Zeit, und es lief ja auch ganz gut. Es ist ob der technischen Komplexität nicht zu vergleichen mit der Formel 1. In der Formel 1 hängen die Trauben höher, das ist brutaler, für alle Beteiligten – vom Mechaniker bis zum Ingenieur, vom Fahrer bis zum Teammanager.

Noch ein Blick auf die beiden deutschen Fahrer: Das neueste Gerücht, dass Sebastian Vettel nach dieser Saison aufhört und bei Aston Martin durch Fernando Alonso ersetzt wird, wandert durch das Fahrerlager von Miami. Würden Sie ihm raten, seine Karriere zu beenden?
Danner: Nein, das muss er selber wissen. Sebastian ist ein bisschen hin- und hergerissen zwischen seiner Liebe für den Motorsport und seiner gelebten Horizonterweiterung. Er erwähnt ja immer wieder, dass es noch mehr als Formel 1 gibt. Da gehören die Umwelt, politische Dinge oder Diversifikation dazu. Was er halt alles so vom Stapel lässt. Schnell genug ist er allemal, um Formel 1 zu fahren.

Auch für Mick Schumacher läuft es nicht gut, seitdem ihm Kevin Magnussen ein echter Konkurrent ist. Finden Sie es nachvollziehbar, dass einige Formel-1-Fans inzwischen enttäuscht sind von seiner Leistung, oder kommt der Durchbruch noch?
Danner: Sagen wir mal so: Irgendwann kommt es immer raus, ob du es kannst oder nicht. Mick hat sich in den Nachwuchsserien mit sehr viel Besonnenheit und Hirnschmalz den Bedingungen angepasst und weiterentwickelt. Dass das in der Formel 1 nicht ganz so einfach ist, hat er auch gemerkt. Dass er jetzt zum ersten Mal einen richtigen Formel-1-Fahrer als Teamkollegen hat, ist für ihn ein Glücksfall, weil er sich an einem echt schnellen Mann orientieren und daran wachsen kann. Inwieweit ihm das gelingt, wird diese Saison zeigen. Im Moment tut er sich offensichtlich noch ein bisschen schwer. Er kann sein Talent mit seiner Lernfähigkeit kombinieren und besser werden. Ich traue ihm durchaus zu, dass er sich durchbeißt, aber jetzt kann man das noch nicht bewerten.

Es scheint in dieser Saison wieder auf ein spannendes WM-Duell hinauszulaufen. Was ist Ihr Tipp, wer wird Weltmeister?
Danner: Ich will das Duell mal auf Charles Leclerc und Max Verstappen reduzieren. Im Moment würde ich die beiden Fahrer als gleichwertig bezeichnen. Beim nächsten Rennen in Barcelona werden wir sehen, wer die besseren Karten hat. Im Moment ist noch nicht ganz klar, ob Ferrari die Weiterentwicklung auch so gut hinkriegt, wie Red Bull das schon geschafft hat.

DK



Das Interview führte

Julia Pickl.