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Städte- und Gemeindebund: „Entlastungspaket darf nicht scheitern“

27.09.2022 | Stand 22.09.2023, 5:15 Uhr

Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes −Foto: Britta Pedersen/dpa

Während Bund und Länder noch über die Finanzierung des dritten Entlastungspakets streiten, fordert Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, das Vorhaben rasch umzusetzen.



Das komplette Interview im Wortlaut:

Nächsten Mittwoch wollen Bund und Länder den Streit um das dritte Entlastungspaket beilegen. Fürchten Sie, dass das ganze Paket noch in Gefahr gerät?

Gerd Landsberg: Das dritte Entlastungspaket mit einem Gesamtvolumen von 65 Milliarden Euro ist ein wichtiger Baustein, damit wir durch die Krise kommen. Das Paket darf nicht scheitern. Die Menschen in Deutschland warten auf diese wichtigen Signale. Dazu gehört zum Beispiel die Strompreisbremse für den Basisverbrauch, die 300 Euro für die Rentnerinnen und Rentner, die 200 Euro für die Studierenden und die Erhöhung des Kindergeldes. Natürlich wird es noch Streit geben, da die Länder mit über 19 Milliarden Euro in der Mitfinanzierung stehen. Dennoch bin ich sicher, dass man am Ende eine Einigung erzielt.

Was fehlt in dem Paket aus Sicht der Städte und Gemeinden?

Landsberg: Das Paket enthält gute Ansätze. Was fehlt, ist eine echte Energiepreisbremse für Strom und Gas. Dies würde den Menschen, den Kommunen, aber auch der mittelständischen Wirtschaft wirklich helfen. Die Kommunen können beispielsweise kaum kalkulieren, welche Energiekosten auf sie zukommen. In guten Jahren lagen die Kosten bei rund fünf Milliarden Euro pro Jahr. Sie dürften sich verdoppeln oder sogar verdreifachen, was die finanziellen Spielräume der Kommunen deutlich einschränkt. Wir sparen, wo wir können, aber es gibt viele Bereiche, wo dies nicht geht, zum Beispiel in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Kindergärten und im sicherheitsrelevanten Bereich. Natürlich würde eine wirksame Energiepreisbremse Milliarden kosten. Wir müssen uns aber klarmachen, dass Russland einen Wirtschaftskrieg gegen uns führt. Wir müssen entsprechend antworten und verhindern, dass Menschen ihre Energierechnungen nicht mehr bezahlen können, Unternehmen in die Insolvenz rutschen und die Kommunen ihre notwendigen Aufgaben in der Daseinsvorsorge nicht mehr finanzieren können.

Bedarf es eines eigenen Treffens von Bund und Ländern mit Vertretern der Kommunen, um deren Nöte zum Tragen zu bringen?

Landsberg: Deutschland erlebt eine Vielzahl von Krisen in einem Ausmaß, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht hatten. Krieg, Inflation, Flüchtlinge, Energieversorgung, Personalnot und gestörte Lieferketten. Hier müssen die Ebenen Bund, Länder und Kommunen viel enger zusammenarbeiten. Das wäre auch ein Signal für die Menschen. Sie erwarten von uns gemeinsame Lösungen und nicht immer neuen Streit.

Worin bestehen aus Ihrer Sicht die größten Gefahren und Risiken als Folge der akuten Probleme?

Landsberg: Die größten Gefahren bestehen darin, dass wir in eine Rezession rutschen, die Arbeitslosigkeit sprunghaft ansteigt, viele Firmen in Konkurs gehen, die Kommunen und ihre Stadtwerke in Schieflage geraten und die Bürgerinnen und Bürger deshalb an der Handlungsfähigkeit des Staates zweifeln. Damit würde Russland sein Ziel erreichen, unsere Gesellschaft zu destabilisieren.

Werden die Kommunen angesichts vieler Belastungen ihre Leistungen einschränken?

Landsberg: Schon im Rahmen der Energiesparmaßnahmen müssen die Kommunen ihre Leistungen zurückfahren. In Schwimmbädern wird die Wassertemperatur gesenkt und die Beleuchtung von historischen Gebäuden wird ausgeschaltet. Hinzu kommt, dass mit Blick auf die unsichere Finanzlage Investitionen zurückgestellt oder aufgeschoben werden müssen.

Ist der Zustrom von Flüchtlingen momentan für die Kommunen noch zu bewältigen?

Landsberg: Die Kommunen sind derzeit bei der Aufnahme und Unterbringung von Migranten in besonderer Weise gefordert. Wir haben deutlich steigende Zahlen, nicht nur bei den Menschen aus der Ukraine, sondern auch bei Asylsuchenden aus dem Irak, Syrien und Afghanistan. Gleichzeitig sind die Unterbringungsmöglichkeiten beschränkt. Viele Kommunen müssen schon wieder auf reguläre Sammelunterkünfte oder Turnhallen zurückgreifen. Deswegen fordern wir einen Flüchtlingsgipfel beim Bundeskanzler, um die angespannte Lage in den Griff zu bekommen. Dazu gehört eine gerechte Verteilung zwischen den Ländern, aber auch innerhalb der Länder in Bezug auf die Kommunen. Wir brauchen den Ausbau der Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder und eine deutlich bessere Finanzausstattung der Kommunen, die die Hauptlast der Unterbringung, Versorgung und Integration tragen. Es werden zusätzliche Kitaplätze und zusätzliche Plätze in der Schule benötigt. Auch der Bau von zusätzlichen Unterkünften wird nötig sein. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe muss von Bund und Ländern auskömmlich und nachhaltig finanziert werden. Gleichzeitig brauchen wir einen Ausbau der Sprach- und Integrationskurse. Gerade wegen des enormen Fachkräftemangels sollte das Potenzial, insbesondere der Flüchtlinge aus der Ukraine, noch besser für den Arbeitsmarkt genutzt werden.

− red