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Scholz in Zentralasien: Russland wird nicht erwähnt

Beim Besuch in den ehemaligen Sowjetrepubliken ist der Ukraine-Krieg dennoch präsent

18.09.2024 | Stand 18.09.2024, 5:00 Uhr |

Olaf Scholz vor der Hazrat-Sultan-Moschee am Unabhängigkeitsplatz in Astana. Dort traf er die fünf Staatschefs Zentralasiens. − Foto: Kappeler, dpa

Im Regierungsflieger, mit dem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aus der kasachischen Hauptstadt Astana am Dienstag zurück nach Berlin fliegt, ist die Zukunft schon Wirklichkeit. Oder die Vergangenheit noch Realität. Die Landkarte, die auf den Monitoren den Weg des A350 beschreibt, zeigt einen fast geraden Strich von Astana nach Berlin. So einfach könnte es sein. So einfach war es vor 2022. Seit Russland die Ukraine überfallen hat, würde ein solcher Flug über russisches Territorium eine Krise ersten Ranges auslösen. Also drehen die Piloten der Luftwaffe ab, um in einem weiten Bogen über das Kaspische und Schwarze Meer zu fliegen.

In der politischen Realität lässt sich der Krieg nicht so einfach umfliegen. Und doch machen auch die fünf Staatschefs der zentralasiatischen Länder, die sich in Astana mit Scholz zum sogenannten Z5+1-Format trafen, einen Bogen um Russland. Gleichwohl prägte natürlich der Ukraine-Krieg die internen Gespräche des Kanzlers mit den Präsidenten von Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgistan.

Staatschefs sprechen nur von „schwieriger Lage“

Doch öffentlich werden die Worte „Russland“ und „Ukraine“ von niemandem in den Mund genommen. Auch von Scholz nicht. Die Staatschefs sprechen von „schwieriger internationaler Lage“. Scholz erwähnt Russland und den „russischen Angriffskrieg“ ausdrücklich nur, wenn allein die Mitglieder der deutschen Delegation zuhören. „Russland und China sind große Nachbarländer dieser Staaten. Deshalb verfolgen sie ganz bewusst eine Politik, die sie multivektoriell nennen. Also sich in der Welt auch an anderen auszurichten, die eine Rolle spielen können“, sagt Scholz.

Was Scholz als „multivektoriell“ bezeichnet, ist im Prinzip eine Zwangslage. Mit der Wirtschaft Russlands sind die fünf Staaten Zentralasiens, die zusammen so groß sind wie die EU, zu eng verflochten. Ihre Gesellschaften sprechen häufig russisch. Russen stellen oft die größte ethnische Minderheit. Gleichzeitig, so heißt es in deutschen Regierungskreisen, fürchten sie, im Fall einer Niederlage der Ukraine sofort von Russland einkassiert zu werden. Dass in Moskau noch die Idee vorherrscht, dass sie alle irgendwie doch dazugehören, wissen die fünf Staatsmänner recht genau. Einige sind alt genug, um noch in Moskau ihr Polit-Handwerk gelernt zu haben. Sie suchen den besten Weg, Russland wohl gesonnen zu bleiben und sich doch eigenständiger aufzustellen.

Etwa, indem sie enger zusammenrücken. Der Ukraine-Krieg erzwingt auch in dieser Weltregion Allianzen. Berlin versteht sich dabei auch als Mittler. „Ein Thema, das mir für diesen Gipfel besonders am Herzen liegt, ist die Zusammenarbeit innerhalb Ihrer Region“, sagt Scholz vor den Gastgebern. Einen Versuch, die Länder zu einem klaren Bekenntnis pro Ukraine, gar für eine Friedenskonferenz mit Russland zu überreden, hat Scholz in Astana nicht unternommen. Der turkmenische Präsident Serdar Berdimuhamedow spricht gar davon, sein Land verstehe sich als „neutral“. Dagegen betonte der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew in staatlichen Medien sogar, „Territorialfragen diskutieren“ zu wollen. Das ist eher im Sinne Moskaus als der Ukraine.

Staatschefs fordern normale Beziehungen zu Afghanistan

Scholz will Russland bei der nächsten Friedenskonferenz – für die es noch kein Datum gibt – mit am Tisch haben. Es sei jetzt „die Zeit zu gucken, was geht“. Wie Scholz sich das vorstellt? Ob er wieder mit Putin telefonieren will, ihn gar treffen, dazu gibt es noch keine klaren Aussagen. Die großen Nachbarn Russlands spielten bei der ersten Friedenskonferenz in der Schweiz keine Rolle. Sie brächten ein Pfund auf die Waage. Doch sind ihre Hemmungen, sich mit Moskau anzulegen, riesig.

Weit konkreter werden die zentralasiatischen Staatschefs, wenn es um ein anderes heikles Nachbarland geht: Afghanistan. Am weitesten geht der turkmenische Präsident. „Jetzt ist Frieden und Eintracht im Land und es wäre nicht schlecht, dass die internationale Gemeinschaft auch ihre Hilfe zeigen und gewähren kann“, sagt er. Afghanistan müsse sich „als Partner für die Region und als Mitglied der Weltgemeinschaft“ entwickeln. Diese Plattform könne einen Beitrag dazu leisten, erklärt er mit Blick auf das Z5+1-Treffen. Dem Anliegen schloss sich auch Tadschikistan an. Die Taliban bleiben unerwähnt – als wären sie legitime Machthaber.

Das sieht der Kanzler völlig anders: „Für uns ist klar, diese Regierung hat sich illegitim an die Macht gebracht.“ Gerade die Situation der Frauen sei sehr bedrückend. Das werde aber auch hier so gesehen, erklärt er und bezieht sich damit auf die Vier-Augen-Gespräche. Dass die Staaten der Region Kontakt zu den Taliban halten, kritisiert Scholz aber nicht. Von ihnen erhofft sich Berlin ja, dass sie behilflich sein können, wenn es um die Rückführung von straffälligen Asylbewerbern aus Afghanistan geht.

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