Justizministerkonferenz
Phänomen oder Einzelfall? Beratung zu Messerattacken

26.05.2023 | Stand 27.05.2023, 7:25 Uhr

Anklageerhebung nach Messerattacke von Brokstedt - Kerzen und Blumen stehen und liegen im Bahnhof Brokstedt in einem Wartehäuschen. - Foto: Marcus Brandt/dpa

Nur wenige Wochen nach Amtsantritt leitet Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg das Frühjahrstreffen mit ihren Kolleginnen und Kollegen. Fast 70 Themen standen an - eine aktuelle Diskussion gehörte nicht dazu.

Nach mehreren Messerattacken mit teils tödlichen Folgen prüfen die Justizministerien der Länder, ob strafrechtlicher Handlungsbedarf besteht. «Wir wollen prüfen, ob es sich um singuläre Ereignisse handelt oder um ein Phänomen», sagte Berlins neue Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) nach der Justizministerkonferenz der Länder.

Die Angriffe in der Öffentlichkeit hätten das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung beeinträchtigt. «Wir haben beschlossen, die kriminologische Zentralstelle damit zu beauftragen, ein Lagebild über die bundesweite Entwicklung der Messerangriffe vorzulegen», betonte Badenberg. Zudem werde die Forschungseinrichtung von Bund und Ländern gebeten, den Umgang des Themas bei der Strafverfolgung darzustellen.

Verbesserter Informationsaustausch

Schleswig-Holstein hatte gemeinsam mit Hamburg Vorschläge für eine bessere Datengrundlage und einen verbesserten Informationsaustausch der Behörden gemacht. Hintergrund war die tödliche Messerattacke von Brokstedt in einem Regionalzug.

Der Fall habe unter anderem Defizite und Unsicherheiten in der Kommunikation zwischen Behörden offenbart, erklärte Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) in Berlin. So sei es für die Staatsanwaltschaft nicht einfach, den ausländerrechtlichen Status von Beschuldigten zu ermitteln. Erforderlich sei darum eine zentrale Eingangsstelle für derartige Informationen. «Da müssen wir pragmatischer und weniger bürokratisch werden», mahnte Gallina.

Der Palästinenser Ibrahim A. soll am 25. Januar in einem Zug von Kiel nach Hamburg bei Brokstedt Fahrgäste mit einem Messer angegriffen und zwei Menschen im Alter von 17 und 19 Jahren getötet haben. Fünf weitere wurden verletzt. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe erhob Ende April Anklage wegen Mordes und versuchten Mordes.

Keine Diskussion über Letzte Generation

Insgesamt tauschten sich die Justizministerinnen und -minister über knapp 70 Themen aus. Die Diskussion um die Strafverfolgung von Aktionen der Klimagruppe Letzte Generation und eine mögliche Einstufung als kriminielle Vereinigung gehörte nicht dazu, betonten die Ressortchefs. Vielmehr seien 50 rechtspolitische Initiativen für die bundespolitische Gesetzgebung entstanden, erklärte Berlins Senatorin Badenberg. Dazu zählen unter anderem:

Längere Aufbewahrungsfrist von Ermittlungen bei Sexualstraftaten:

Daten zu entsprechenden Verfahren sollen künftig zehn Jahre lang aufbewahrt werden können. Bislang werden Akten zu eingestellten Verfahren fünf Jahre verwahrt, beziehungsweise zwei Jahre im Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister (ZStV) gespeichert. Insbesondere mit Blick auf die Aufklärung von Missbrauchsvorwürfen innerhalb der Kirche habe sich gezeigt, dass dies Ermittlungen erschwere, wenn es etwa um das Thema Glaubwürdigkeit gehe. «Deshalb müssen unsere Strafverfolger in solchen schweren Fällen auch Zugriff auf ältere Akten bekommen», betonte Bayerns Minister Georg Eisenreich.

Geldautomatensprengungen:

Mit einem «Drei-Säulen-Konzept» soll der drastisch gestiegene Anzahl der Fälle begegnet werden. So sollen Banken und Automatenbetreiber gebeten werden, baulich und mit moderner Technik wie Farbpatronen für Geldscheine, potenzielle Täter abzuschrecken. Die Fälle sollen bei bestimmten Staatsanwaltschaften konzentriert werden. Zudem halten die Länder eine Überprüfung der bisherigen Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe für erforderlich.

Verfassungsfeinde:

Die Justizressorts wollen Bewerberinnen und Bewerber, «die die freiheitlich demokratische Grundordnung aktiv bekämpfen», vom juristischen Vorbereitungsdienst ausschließen. Es soll geprüft werden, ob dafür gesetzliche Änderungen erforderlich sind. Zuletzt hatte der Fall der bei einer Großrazzia gegen die «Reichsbürger»-Szene inhaftierten Berliner Juristin Birgit Malsack-Winkemann für Schlagzeilen gesorgt. Diese darf vorerst nicht weiter als Richterin tätig sein, wie das Verwaltungsgericht Berlin in einem dienstgerichtlichen Verfahren entschieden hat.

Anhebung des Streitwerts vor Amtsgerichten:

Die seit 1993 geltende Grenze soll von 5000 auf 8000 Euro angehoben werden. Nötig ist dafür nun eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes auf Bundesebene. Neben der höheren Grenze beim Streitwert war die Konferenz dafür, einige Sachgebiete - Nachbar- und Fluggastrechte - unabhängig vom Streitwert bei Amtsgerichten anzusiedeln. Die Höhe des Streitwerts bestimmt, vor welchem Gericht ein zivilrechtliches Verfahren erfolgt: Liegt der Streitwert derzeit unter 5000 Euro, ist ein Amtsgericht zuständig, übersteigt er diesen Wert, ist es das jeweilige Landgericht.

Digitalisierung der Justiz:

Vor der Konferenz trafen sich die Länder mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zum Digital-Gipfel. Nach monatelangem Streit, der das Herbsttreffen der Justizressorts im November 2022 überschattet hatte, hat sich die Atmosphäre deutlich verbessert. In den vergangenen Wochen und Monaten seien «große Fortschritte» erzielt worden, so Bayerns Minister Eisenreich. Die Länder verständigten sich mit dem Bund auf eine Prioritätenliste.

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