Die Einwohnerzahl Deutschlands wird sich einer Prognose zufolge bis 2045 auf 85,5 Millionen Menschen erhöhen. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) rechnet mit einem Zuwachs von rund 800.000 Menschen im Vergleich zum Jahr 2023.
Die Autoren des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BSSR) haben sich scheinbar einen Spaß erlaubt. In den Grafiken zu ihrer neuen Prognose zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland haben sie Regionen, in denen die Bevölkerung abnimmt, mit blauer Farbe angemalt. Jene Städte und Kreise, in denen die Menschen bis 2045 nicht weniger, sondern mehr werden, leuchten hell- bis dunkelrot. Die tiefroten verzeichnen gar die größten Zuwächse.
Das ist kontraintuitiv. Niemand assoziiert Bevölkerungsschwund mit einer Farbe, die für Harmonie steht − zugleich verbindet keiner Bevölkerungswachstum mit der Alarmfarbe Rot. Umgekehrt hätte es Sinn gehabt. Und doch steckt vielleicht ein tieferer, nicht beabsichtigter Sinn hinter dieser Farbwahl. Sie deutet darauf hin, dass selbst die Wachstumsregionen nicht von großen Konflikten verschont bleiben werden. Möglicherweise sind dort sogar größere Probleme zu erwarten.
Bevölkerung soll um 800.000 Menschen wachsen
Die Statistiker gehen von einem Zuwachs von 800.000 Menschen bis 2045 auf dann 85,5 Millionen aus. Damit revidieren sie ihre eigene Prognose von 2021 als sie noch einen leichten Rückgang erwarteten. Längst widerlegt sind all die Vorhersagen der 90er-Jahre, die ein Absinken auf 70 Millionen kommen sahen. Zu den künftigen Boom-Regionen zählen viele der großen Städte. Leipzig und Potsdam ragen mit einem erwarteten Plus von 15 und mehr Prozent heraus. München, Berlin, Hamburg folgen. Hier kommt man schon heute nicht mit dem Bau von Wohnungen und Schulen hinterher. Mehr Menschen sind im erweiterten Umkreis Münchens zu erwarten, vom Allgäu bis in die Oberpfalz. In Südostbayern ist mit leichten Zuwächsen oder gleichbleibenden Zahlen zu rechnen. Starke Rückgänge sind dagegen für Nordbayern abzusehen.
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Der Osten schrumpft außer in Brandenburg, das von Berlin profitiert. Wie Inseln ragen Städte wie Halle, Magdeburg, Jena, Dresden aus dem blauen Meer hervor. In etlichen Kreisen ist mit Rückgängen von um die 30 Prozent zu rechnen. Selbst wenn Deutschland als Ganzes also wächst, ist die Spreizung zwischen den Regionen gewaltig. Das hat gravierende Folgen.
Jene, deren Zahlen in die Höhe gehen, haben nicht nur mit normalen Wachstumsschmerzen zu kämpfen. Denn deren Wachstum geschieht nicht einfach so. Es gibt nicht bloß mehr Kinder. Im Gegenteil. Vielmehr betont Jana Hoymann vom BSSR: „Der Ersatz der Elterngeneration ist flächendeckend nicht gesichert.“ Die Babyboomer waren zwar viele, aber bekamen nicht genug Kinder. Deren Kinder bekommen wiederum noch weniger Nachwuchs. Die Lücke ist nicht mehr zu schließen. Der Zug ist lange abgefahren.
Zum Stresstest wird die Entwicklung
Wieso wächst die Bevölkerung Deutschlands dann? Verantwortlich dafür ist die Zuwanderung. „Das Plus wird rein durch Aus- und Zuwanderung getragen werden“, sagt Peter Jakubowski vom BSSR. Dabei braucht es Binnenzuwanderung aus anderen Teilen des Landes ebenso wie Einwanderung aus dem Ausland. Dabei kalkulieren die Autoren mit einem jährlichen Plus von 300.000 Personen. Einmaleffekte als Resultat von Fluchtbewegungen wurden für die Zukunft nicht erwogen. Die Ukrainer, die bis 2023 hier waren, sind aber mitgerechnet worden.
Zum Stresstest wird die Entwicklung, weil sich die wachsenden Orte noch mehr als heute um die Integration von Neubürgern kümmern müssen. Wer meint, es gehe ohne Zuwanderung von woher auch immer, nimmt einen gravierenden Bevölkerungsschwund in Kauf. Berechnet wird ein bundesweiter Sterbeüberschuss für die 30er-Jahre von 270.000 bis 290.000 Menschen im Jahr. Nur künftige Zuwanderung von möglichst jungen Menschen verhindert, dass diese Zahl noch höher ausfällt. Eine aktive Geburtenpolitik würde nur langfristig etwas ändern. Auch müsste eine Gesellschaft diese auch wollen.
Heute sind die Bayern im Schnitt älter als die Menschen andernorts
So oder so muss sich das Land auf viel mehr ältere Menschen einstellen. „Wir müssen uns mit massiver Alterung der Bevölkerung befassen. Das wird alle Regionen beschäftigen“, sagt Jakubowski. Die Zahl der Menschen im Rentenalter erhöht sich dem BBSR zufolge bis 2045 bundesweit um 2,2 Millionen, ein Plus von 13,6 Prozent gegenüber 2023. Die der im erwerbsfähigen Alter sinkt um zwei Prozentpunkte. Von der Alterung ist Bayern besonders stark „betroffen“. Schon heute sind die Bayern im Schnitt älter als die Menschen andernorts. Gerade Ostbayern, der Bayerische Wald insbesondere, aber auch der alpennahe Teil Oberbayerns wird sich einem Altersdurchschnitt von 50 Jahren annähern.
Fast im ganzen Freistaat wird das Durchschnittsalter überproportional steigen. Ausnahmen sind München, Regensburg und ein paar Städte im Norden wie Aschaffenburg oder Nürnberg. Dort wird die Bevölkerung jünger. Zwischen Heidelberg, das wohl bundesweit der jüngste Ort wird und dem ältesten Kreis in Thüringen liegen neun Jahre Durchschnittsalter. Ein krasser Wert. Wo wie in Niederbayern die Bevölkerungszahl beinahe gleich bleiben soll, wird sich also doch sehr vieles ändern. Zu sehr ändert sich die Struktur der Bevölkerung.
Wachsen, schrumpfen und altern – alles gleichzeitig
Die Entwicklungen treffen auf ein nicht gut vorbereitetes Land. Sowohl mental, als auch organisatorisch. Was die Zuwanderung angeht, ist man aller Kritik zum Trotz wohl noch am ehesten vorbereitet. Anders sieht es bei der Infrastrukturanpassung an eine stark alternde Bevölkerung aus. Barrierefreie Wohnungen gibt es, wie wir unlängst berichteten, viel zu wenige. Pflegeberufe haben Personalsorgen, Heimplätze kosten ein Vermögen oder sind knapp.
Zu lange dachte man in Deutschland, nur die eine Entwicklung bewältigen zu müssen: den Schrumpfungsprozess. Nun aber muss das Wachsen, das Schrumpfen und das Altern gleichzeitig angegangen werden. Hier ist Mikromanagement gefragt. Muss ein Bürgermeister einer Stadt für etliche neue Kindergartenplätze sorgen, wird ein Landrat 30 Kilometer weiter drüber nachdenken, ob er noch einen Kindergarten braucht. Dass dies nicht nur den Landrat stresst, sondern die verbliebene Bevölkerung, liegt auf der Hand. Auf die Kommunalpolitik kommt es damit erst recht an. Das Staatsziel „gleichwertige Lebensverhältnisse“ herzustellen, so wie es im Grundgesetz steht, das ist von einer Zentralregierung in Berlin in Zukunft wohl nicht mehr zu erfüllen.
− mgb
Eine interaktive Karte dazu mit Zahlen aus der Region finden Sie unter hier
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