Die Ampel-Regierung hat beim Haushalt Ratlosigkeit bewiesen. Noch immer klafft eine Lücke. Was kann der Bundestag noch retten?
Es ist der letzte komplette Haushalt der Ampel-Regierung vor der Bundestagswahl - und er ist umstritten wie wohl keiner zuvor. Opposition, Rechnungshof, Bundesbank und Ökonomen, sie alle halten das Zahlenwerk von Finanzminister Christian Lindner für mehr oder weniger unseriös oder unrealistisch. Will sich die Ampel-Regierung damit nur bis ans Ende der Legislatur retten, wie die Union ihr vorwirft? In der Haushaltswoche im Bundestag müssen sich Lindner und die Fachleute der Regierungskoalition verteidigen.
Die Aufstellung des Etats für das kommende Jahr sei wahrlich kein Selbstläufer gewesen, räumt FDP-Chef Lindner gleich zu Beginn ein. Drei unterschiedliche Denkschulen in der Koalition von SPD, Grünen und FDP, globale Krisen und eine taumelnde deutsche Wirtschaft - tatsächlich hatten es frühere Regierungen schon mal leichter mit dem Haushalt. „Wir haben ökonomische und rechtliche, aber auch unsere jeweiligen politischen Grenzen gesehen“, sagt Lindner. Der allgemeine Tenor in der Ampel: Man habe getan, was unter diesen Umständen möglich und notwendig sei. Zufriedenheit hört sich anders an.
Die Eckwerte
Fast 490 Milliarden Euro will die Ampel-Regierung im nächsten Jahr ausgeben, mehr als ein Zehntel - genauer 51,3 Milliarden - davon auf Kredit. Das ist laut Grundgesetz trotz Schuldenbremse möglich, unter anderem weil die Wirtschaft taumelt. 81 Milliarden Euro weist das Finanzministerium als Investitionen aus - ein Rekordniveau. Mit Abstand größter Posten unter den Ministerien ist der Sozialetat mit 179 Milliarden Euro. Ein Großteil davon ist durch gesetzlich garantierte Leistungen wie das Bürgergeld schon gebunden.
Die Inhalte
Die Ampel-Koalition versucht mit ihrem Haushalt gleichzeitig die Wirtschaft anzukurbeln, Sozialleistungen zu erhalten, Steuerzahler zu entlasten und der angespannten internationalen Sicherheitslage gerecht zu werden. Besonders am Budget für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gibt es aber Kritik. Er soll zwar 1,3 Milliarden Euro mehr bekommen als zuletzt, doch das ist deutlich weniger als gefordert.
Für Familien steckt im Etat eine Kindergelderhöhung um fünf Euro ab Januar. Auch werden steuerliche Freibeträge angehoben. Lindner spricht von umfassenden Entlastungen und Leistungsverbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger. Der Staat verzichte auf Einnahmen, um die Kaufkraft zu stärken und private Investitionen zu erleichtern. Für Firmen sind etwa verbesserte Abschreibungsmodalitäten und Entlastungen bei den Strompreisen geplant.
Die Hilflosigkeit der Ampel
Letztlich legen die Ampel-Spitzen aber einen unfertigen Haushalt vor. Die Kalkulation geht nur auf, weil Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Lindner einen enormen Mut zur Lücke zeigen.
Bis zum Schluss konnten sich die drei nicht darauf einigen, wie Finanzierungslücken gestopft werden sollten - deshalb sind nun pauschale Einsparungen und Mehreinnahmen eingeplant, von denen noch niemand weiß, wie sie gedeckt werden sollen. Die Schuldenbremse wird auch deswegen eingehalten, weil die Bahn statt Zuschüssen eine Eigenkapitalspritze erhält, die bei der Berechnung der Schulden nicht zählt.
Der riskante „Hoffnungsposten“
Außerdem plant die Ampel mit einer sehr hohen globalen Minderausgabe von 12 Milliarden Euro. Sie wettet damit, dass die Ministerien zusammen (daher „global“) am Jahresende diese Summe noch übrig behalten werden, weil Projekte scheitern oder Fördergelder nicht abgerufen werden. Der Betrag liege „sehr deutlich über den Erfahrungswerten aus der Vergangenheit“, schreibt Verfassungsrechtler Hanno Kube in einem Gutachten für die Union. Laut Finanzministerium ist es die größte Deckungslücke in einem Regierungsentwurf in den vergangenen zwanzig Jahren.
Die Regierung hofft zwar, diese Lücke bis zum Winter noch verkleinern zu können - eventuell durch wachsende Steuereinnahmen und bessere Aussichten für die Wirtschaft. Das ist aber extrem unsicher. Genauso wie die Annahme, dass künftig mehr Bürgergeld-Empfänger arbeiten werden und deshalb weniger Mittel für die Sozialleistung fällig werden. Und die Unterstellung, dass das geplante Wachstumspaket für die Wirtschaft zu rund 6,9 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen führen wird. Noch sind die wichtigsten Maßnahmen daraus nicht einmal beschlossen.
Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg nennt die Ampel-Pläne deshalb verantwortungslos, maximal unrealistisch und unehrlich. „Kein Haushaltsentwurf hat bisher in so umfassendem Umfang ungedeckte Positionen enthalten“, sagte er im Bundestag. So werde der Regierung im Laufe des Jahres 2025 das Geld ausgehen - aber die Ampel plane offenkundig ohnehin nur bis zum Wahltermin am 28. September.
Der AfD-Haushälter Peter Boehringer wirft der Bundesregierung ebenfalls Tricksereien und Luftbuchungen vor. In Einzeletats steckten zusätzliche globale Minderausgaben von insgesamt 27 Milliarden Euro. „Das ist unseriös“, sagte er.
Die Unzufriedenheit der Koalitionspartner
Der Steuerzahlerbund meint, die Parlamentarier müssten den Etatentwurf völlig neu schreiben. Das ist unwahrscheinlich, doch auch in der Koalition sind nicht alle zufrieden. Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler will nicht akzeptieren, dass trotz globaler Krisen bei der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit gekürzt wird. Generell möchten die Grünen für mehr Investitionen die Schuldenbremse lockern. Die SPD hätten sie an ihrer Seite - doch das reicht nicht aus.
Nachbesserungen sind auch bei der Ukraine-Hilfe denkbar. Denn die Bundesregierung setzt stark darauf, dass ein internationales Unterstützungskonzept rechtzeitig fertig wird: Das von Russland angegriffene Land soll einen Kredit über 50 Milliarden Dollar bekommen, dessen Zinsen und Tilgung aus den Erträgen eingefrorener russischer Staatsvermögen gestemmt werden. „Wenn das am Ende nicht gelingt, dann sind wir wieder am Ball“, betonte SPD-Haushälter Dennis Rohde. Die Sozialdemokraten wollen dann eine Notsituation erklären und die Schuldenbremse aussetzen.
Der Zeitplan
Nach der Haushaltswoche sind zunächst die Bundestagsfraktionen dran. Sie prüfen, wo Änderungen sinnvoll und möglich sind. Und sie sind es auch, die die enorme Finanzierungslücke verkleinern müssen. Die Abgeordneten haben schon angekündigt, dass sie von Lindner Vorschläge erwarten. Zwei bis drei Milliarden müssen sie noch einsparen oder als zusätzliche Einnahmen auftreiben.
Alle Änderungen werden dann in der für November geplanten Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses festgezurrt - dem legendären Showdown, der meist bis in die frühen Morgenstunden geht. Im Bundestag soll der Etat nach jetzigem Stand Ende November beschlossen werden. Einfach wird es bis dahin nicht. Doch das gehöre dazu, meint der Finanzminister: „Streit gehört zur Demokratie.“
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