Regensburg
Ein Gotteshaus gegen das Vergessen

25.02.2019 | Stand 02.12.2020, 14:33 Uhr
Die 1912 errichtete Jugendstil-Synagoge wurde von einem Mob 1938 niedergebrannt. −Foto: Stadt Regensburg

Regensburg (DK) 80 Jahre ist es her, dass die Nationalsozialisten in Regensburg die Jugendstil-Synagoge niederbrannten. Morgen nun wird ihr Neubau feierlich eingeweiht. Die Synagoge soll 1000 Gemeindemitgliedern ein Gotteshaus sein - aber auch ein Ort der Begegnung.

Wenn Rabbi Josef Chaim Bloch die Thorarolle aus dem Schrein nimmt, sie unter Gesängen in den neuen Gebetsraum bringt, dann wird Gott Zeuge, dass der Mensch bereuen kann. 500 Jahre ist es her, dass der Mob die Juden aus der kaiserlichen Reichsstadt Regensburg vertrieb, das jüdische Ghetto und die Alte Synagoge dem Erdboden gleichmachte. 80 Jahre ist es her, dass am Abend des 9. November 1938 die Regensburger Feuerwehr die Synagoge den Flammen überließ. Auf Anweisung des NS-Oberbürgermeisters Otto Schottenheim durften nur umliegende Gebäude am Brixener Hof inmitten der historischen Altstadt gelöscht werden. So überlebte das Gemeindehaus, das bis heute besteht. Doch es bekommt einen neuen Nachbarn: Heute wird die neue Synagoge eingeweiht.

Wenn die fünf Bücher Mose von Rabbiner Bloch in den neuen Gebetsraum gebracht wurden, dann wird die jüdische Gemeinde wieder ein würdiges Haus haben. Sowohl die Stadt Regensburg, als auch viele Spender machten das möglich. "Wir haben etwas wiedergutzumachen", hatte einst Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD) den Regensburgern bei der Grundsteinlegung ins Stammbuch geschrieben.

Nirgendwo sonst in der Altstadt von Regensburg sind sich die Religionen so nahe wie an dieser Stelle. Geht man die Fußgängerzone an einem ganz normalen Samstag entlang, dann passiert man einen Stand der Zeugen Jehovas. Auch eine Gruppe von Moslems erklärt hier regelmäßig den Koran. Die erzkonservative Piusbruderschaft lädt zur Debatte über Gott ein. Vorbei an dem Haus, in dem Papstbruder Georg Ratzinger lebt und Benedikt XVI. im Kreise seiner Freunde beim Bayern-Besuch Kaffee trank, vorbei am Buddhistischen Zentrum und am Yoga-Kaffee, steht man plötzlich vor einem modernen Neubau: Hier steht die neue Synagoge der jüdischen Gemeinde. "Meleke" heißt der helle Jerusalem-Stein, aus dem seit den Zeiten von König Herodes die Gebäude in der Heiligen Stadt gebaut werden, bis heute. Die Neue Synagoge könnte auch im modernen Jerusalem stehen.

Entworfen hat den Synagogen-Bau das Architektenbüro Volker Staab aus Berlin. Das Gebäude fügt sich beeindruckend in die historischen Häuserfassaden ein. Das war wichtig: Wenige Meter entfernt residierte im Mittelalter der Bischof von Brixen. Die Synagoge ist modern und klassisch zugleich - eine Meisterleistung der Baukunst.

Dabei waren das auch ihre Vorgänger-Bauten: Die Jugendstil-Synagoge, die von den Regensburgern angezündet wurde. Und die alte Synagoge, die 1519 abgefackelt und mit einer Marienkirche überbaut wurde. Religiöser und politischer Wahn haben viele Menschen das Leben gekostet. Die Steine waren dafür ein Zeichen. Bis heute ist es gute jüdische Tradition, einen Stein auf ein Grab zu legen, damit es für immer hält. Große Namen hat die jüdische Gemeinde in Regensburg hervorgebracht: Otto Schwerdt zum Beispiel, der Holocaust-Überlebende, der in seinem Buch "Als Gott und die Welt schliefen" die Shoah, den Judenmord, anklagte. Oder Hans Rosengold, lange Jahre Vorsitzender der jüdischen Gemeinde. Er war einer, der vergab, aber nicht vergessen wollte: Nach dem Exil in Argentinien kehrte er nach Regensburg zurück. "Wir haben natürlich Fotos von Otto Schwerdt und Hans Rosengold im Gemeindehaus", sagt Ilse Danziger, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde.

Rabbi Bloch sitzt mit ihr und Dieter Weber vom "Förderverein Neue Synagoge Regensburg" im alten Gebetsraum. Die Gemeinde wird das alte Gemeindehaus weiter betreiben, der Platz ist dringend nötig. 1000 Mitglieder etwa zählt die Gemeinde heute. Vor allem in den 90er-Jahren kamen viele Juden aus der ehemaligen Sowjetunion. Das Judentum auf der ganzen Welt war stets ein Vorbild für Integration. "Als man die Traditionen von Juden aus den USA mit denen aus Osteuropa und auch Afrika verglich, stellte man fest: Bis auf den Buchstaben war alles gleich", sagt Rabbi Bloch. Das sei der Kern des Judentums: die Schrifttreue. Die Gemeinde ist orthodox, der Rabbiner lehrt, wie man gesetzestreu lebt. Gegessen wird koscher, also nach den jüdischen Speisevorschriften, nach denen Schweinefleisch und Schalentiere tabu, milchiges von fleischigem Essen zu trennen sind. Im Untergeschoß gibt es eine Mikweh, ein Ritualbad, das bereits 1912 errichtet wurde. "Eine Historikerin hat die alten Pläne gefunden", erzählt Ilse Danziger. Der Neubau hat Altes und Neues versöhnt.

Auch eine neue Thorarolle hat die Gemeinde bekommen. Sie muss aus Pergament gefertigt sein, die einzelnen Pergamente werden dann miteinander vernäht. Ein Federkiel ist zu benutzen, die hebräischen Buchstaben müssen exakt sein.

Die neue Synagoge soll aber auch ein Ort der Begegnung werden. Die umfangreiche Bücherei der Gemeinde wird öffentlich zugänglich sein, dort wird man auch Kaffee trinken können. In den Gemeinderäumen findet auch der jüdische Religionsunterricht statt. Auch der Gebetsraum wird außerhalb der Gottesdienste für alle zugänglich sein. "Wir wollen alle willkommen heißen hier", sagt Ilse Danziger, die aus Passau stammt.

Dieter Weber spielt eine besondere Rolle: Der frühere Leiter des Evangelischen Bildungswerks hat viele Steine angestoßen. "Ich habe das aus einer historischen Auseinandersetzung heraus getan, auch mit der Schuld, die Christen auf sich geladen haben", sagt Weber. Einst hatte er den Künstler Gunter Demnig Stolpersteine in Regensburg verlegen lassen. Bis heute erinnern sie an Deportationen und Massenvernichtung. Als er den Verein für die "Neue Synagoge" gründet, lässt er sich nicht träumen, wie groß die Solidarität der Regensburger ist. Regensburg, ab dem neunten Jahrhundert Sitz einer der wichtigsten jüdischen Gemeinden Europas, hat offenbar den Willen, einiges wieder gut zu machen.

Wer Rabbi Bloch und die Vorsitzende der Gemeinde fragt, wie sie die wieder düsteren politischen Zeichen werten, die aufziehen, der bekommt eine schmallippige Antwort. "Wir wollen über das Positive sprechen", sagt der Rabbi. Draußen vor der Tür steht ein Polizeiwagen, seit vielen Jahren. Man kann das als Menetekel sehen dafür, was im Namen einer irren Ideologie jüdischen Menschen an diesem Ort angetan wurde. Man kann die Streife aber auch als Ausdruck unseres Staates und damit von uns allen sehen, als ein Zeichen des: Nie wieder!