"So sozialverträglich wie möglich"

28.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:01 Uhr

Nach Suizid Fastenmeiers: Richterin Andrea Titz über die Untersuchungshaft:

Frau Titz, was sind mögliche Gründe für eine Unterbringung in Untersuchungshaft?

Andrea Titz: Es muss ein dringender Tatverdacht bestehen. Zudem muss ein Haftgrund vorliegen. Das kann entweder Flucht, Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr oder Wiederholungsgefahr sein. Schließlich gibt es noch bestimmte Tatbestände, insbesondere wenn es um Mord oder Totschlag geht, bei denen allein die Tatsache ausreicht, dass der Verdacht besteht, dass diese Tat begangen wurde. Das nennt man den Haftgrund der Schwere der Tat. Weiterhin muss die Anordnung der Untersuchungshaft verhältnismäßig sein, sprich, sie darf nicht außer Verhältnis zu einer möglichen zu erwarteten Strafe stehen.

 

Wie weist man einem Beschuldigten Fluchtgefahr nach?

Titz: Es muss immer eine Einzelfallabwägung stattfinden. Man muss prüfen, was seine sozialen Bindungen sind und wie groß demgegenüber die Gefahr ist, dass jemand außerhalb oder innerhalb des Landes untertaucht. Aber es kann für die Fluchtgefahr auch ausreichen, dass die Straferwartung sehr hoch ist. Wenn derjenige private oder geschäftliche Verbindungen im Ausland unterhält, dort Familie, Vermögenswerte oder Geld hat, besteht ebenfalls Fluchtgefahr.

 

Wer entscheidet über die Unterbringung in U-Haft?

Titz: Wird ein Beschuldigter festgenommen, wird er einem Ermittlungsrichter vorgeführt und vernommen. Der Richter bekommt die polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsergebnisse präsentiert, dann beurteilt er, ob aus seiner Sicht überhaupt ein dringender Tatverdacht vorliegt. Dann muss er beurteilen, ob ein Haftgrund vorliegt.

 

Wie geht es weiter, wenn er dann in U-Haft sitzt?

Titz: Wenn es noch nicht zu einer Verhandlung gekommen ist, überprüft das Oberlandesgericht erstmals nach sechs und dann jeweils nach weiteren drei Monaten, ob die Fortdauer der Untersuchungshaft angemessen ist. Dazwischen hat der Beschuldigte immer die Möglichkeit, Haftbeschwerde einzulegen oder eine mündliche Haftprüfung zu beantragen, beispielsweise wenn sich Umstände ergeben, die sich aus seiner Sicht geändert haben.

 

Gibt es eine maximale Dauer in der Untersuchungshaft?

Titz: Nein, die gibt es nicht.

 

Was sind die Unterschiede zwischen einem U-Häftling und einem Strafgefangenen?

Titz: Da die Untersuchungshaft zu einem Zeitpunkt verhängt wird, wo es noch keine rechtskräftige Verurteilung gibt, muss die Beeinträchtigung für das Leben des Beschuldigten so sozialverträglich wie möglich gehalten werden. Natürlich ist die U-Haft eine Beschränkung der Freiheit und damit ein immenser Eingriff. Trotzdem müssen etwas andere Bedingungen geboten werden. Das bezieht sich insbesondere auf die Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen. Nicht nur mit seinem Verteidiger, der grundsätzlich unbeschränkt Zugang zu ihm haben muss, sondern auch mit seiner Familie oder Freunden. Ein Untersuchungshäftling hat umfangreichere Besuchsrechte. Er muss keine Anstaltskleidung tragen. Auch ansonsten hat der Untersuchungshäftling mehr Rechte als der Verurteilte in Strafhaft.

 

Wird ein U-Häftling beim Antritt im Gefängnis routinemäßig untersucht?

Titz: Bei jedem, der in Haft kommt, gibt es eine Eintrittsuntersuchung, die sich aber in erster Linie auf körperliche Gebrechen beschränkt. Wenn jemand eine bekannte Vorerkrankung hat, das gilt für physische und psychische, wird darauf ein besonderes Augenmerk gelegt. Die Suizidgefahr wird gerade bei Untersuchungshäftlingen besonders ernst genommen, weil man weiß, dass das ein ganz entscheidender Einschnitt in das Leben des Betroffenen ist. Aber eine standardisierte Untersuchung durch einen Psychiater wäre schwerlich möglich, denn eine psychische Disposition kann man nicht in einer kurzen Untersuchung abklopfen.

 

Bei islamistischen Gefährdern wird mit Fußfesseln gearbeitet. Wann wird diese Möglichkeit angewandt und wann eine U-Haft angeordnet?

Titz: Die elektronische Aufenthaltsüberwachung wird bei verurteilten Straftätern eingesetzt, die ihre Haft verbüßt haben, aber noch einer gewissen Überprüfung bedürfen. Seit Kürzestem gibt es auch die Möglichkeit, dass Personen, von denen man glaubt, dass eine Gefahr von ihnen ausgeht, mit einer elektronischen Aufenthaltsüberwachungsmaßnahme überzogen werden. Die U-Haft ist, zumindest in Bayern, nichts, was durch das Tragen einer Fußfessel ersetzt werden kann. Bei dem einen geht es um Gefahrenabwehr, bei dem anderen besteht der dringende Verdacht, dass jemand eine Straftat begangen hat.

 

Gibt es Überlegungen, bei Fluchtgefahr statt U-Haft eine Fußfessel anzuordnen?

Titz: Nein, aktuell jedenfalls nicht.

 

Die Fragen stellte

Verena Belzer.