München
Snowdens Sprachrohr

Geschwister-Scholl-Preis für Glenn Greenwald: Der Journalist brachte die NSA-Abhöraffäre ins Rollen

01.12.2014 | Stand 02.12.2020, 21:55 Uhr

München (DK) Der unauffällige dunkle Anzug, die Frisur – Glenn Greenwald könnte als ganz normaler US-Regierungsmitarbeiter durchgehen. Wäre da nicht dieses Buch vor ihm auf dem Tisch. „Die globale Überwachung“ heißt das aufwühlende Werk, das den Kampf des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden gegen den Überwachungswahn und die Allmachtsfantasien der US-Geheimdienste thematisiert.

Keiner konnte das so schreiben wie Greenwald, denn der amerikanische Rechtsanwalt und Journalist war als Vertrauter Snowdens vom ersten Tag an dabei. Greenwald war es, der im Juni 2013 in der britischen Zeitung „Guardian“ als erster die von Snowden übermittelten Dokumente veröffentlicht hatte. Es ist ganz wesentlich auch sein Verdienst, dass das ganze Ausmaß der Bespitzelung nichtsahnender Bürger durch den Geheimdienst NSA offengelegt wurde.

Und deshalb sitzt Greenwald an diesem Montag Vormittag im Senatssaal der Münchner Universität. Am Abend bekommt er den vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Stadt München vergebenen renommierten Geschwister-Scholl-Preis. Die chinesische Dissidentin Liao Yiwu hat den mit 10 000 Euro dotierten Preis schon erhalten, die russische Journalistin und Menschenrechtlerin Anna Politkowskaja – und nun also der US-Amerikaner Greenwald. Wenn das kein Zeichen ist.

Der Andrang bei der Pressekonferenz ist groß, Fotografen drängeln sich, das Fernsehen ist da. Greenwald wirkt konzentriert, ernst. Er hat eine Mission, daran lässt er keinen Zweifel: Geheimdienste und Regierung der Supermacht USA, aber auch anderer Staaten, zerstören unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung aus purer Machtpolitik Demokratie und Bürgerrechte – wenn sich nicht mutige Bürger zur Wehr setzen und Transparenz und Öffentlichkeit erzwingen.

Wohl weil sich Greenwald schon länger als unabhängiger Journalist und Blogger im Internet für die Bürgerrechte stark gemacht hatte, wählte ihn Snowden als Partner aus. Immer wieder kommt Greenwald auf diese Tage im Juni 2013 zurück, als er nach Hongkong fuhr, um einen geheimnisvollen Unbekannten zu treffen, der ihm Dokumente über den Datenmissbrauch der US-Geheimdienste versprochen hatte. Am Anfang kam ihm Snowdens Geheimnistuerei noch überzogen vor. Er musste beim ersten Treffen sein Handy im Kühlschrank des Hotelzimmers deponieren, weil sich der Akku nicht entfernen ließ. Heute weiß er, dass nur so Geheimdienste daran gehindert werden, ein Handy zur Wanze umzufunktionieren.

Ob er damals geahnt habe, welche Wellen die Veröffentlichung der Dokumente schlagen würde, wird Greenwald gefragt. „Selbst in unseren wildesten Träumen hätten wir nicht zu hoffen gewagt, dass die Story so groß wird“, sagt der Journalist. Die Bürger wüssten nun, wie gefährdet ihre Privatsphäre ist. Und die großen US-Internetkonzerne „gerieten gewaltig unter Druck“, als ihre Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten herauskam.

Ein Erfolg, der nicht nur für Snowden einen hohen Preis hat. Auch Greenwald geriet ins Visier der Geheimdienste. Alle, die an der Veröffentlichung der Dokumente mitgearbeitet haben, mussten „Drohungen, Druck und Anschuldigungen“ verschiedener Regierungen aushalten, sagt Greenwald. Sein Lebenspartner David Miranda wurde am Londoner Flughafen neun Stunden lang festgehalten, Mirandas Rechner konfisziert. Alles rechtens, befand ein britisches Gericht später.

Auch deshalb sind die Preise für die Whistleblower und ihre Helfer so wichtig: Jede Auszeichnung ist ein kleiner Sieg über die ständigen Versuche, die Aufklärer infrage zu stellen und so von den Fakten abzulenken. „Bisweilen schien es so, als gelte nicht die US-Spionage, sondern deren Aufdeckung als der eigentliche Skandal“, sagt der Journalist Heribert Prantl am Abend bei der Laudatio für den Preisträger.

Am Ende der Pressekonferenz verabschiedet der Münchner Kulturreferent Hans-Georg Küppers die Teilnehmer mit einem launigen Hinweis: Sollte Greenwalds Englisch dem einen oder anderen zu schnell gewesen sein, sei das kein Problem – der US-Geheimdienst NSA habe sicher alles aufgezeichnet. Jetzt lacht auch Greenwald selbst. Und dennoch blickt man sich unwillkürlich im Saal um.