München
Verschenken statt wegschmeißen

Mit der App „Uxa“ können übriggebliebene Lebensmittel abgegeben werden

16.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:48 Uhr

−Foto: Dennis Koenig

München (DK) Menschen teilen sich Autos, verschenken ihre alten Möbel oder stellen Fremden ihre Betten zur Verfügung: Gemeinschaftlicher Konsum ist „in“. Lisa Zvonetskaya hat „Uxa“ entwickelt. Eine App, über die übriggebliebene Lebensmittel abgegeben werden können.

Und schon wieder wandern die angeschimmelten Karotten in den Biomüll. Im Supermarkt gab es das gesunde Gemüse nur im großen Ein-Kilo-Beutel – für die Suppe war das aber deutlich zu viel. Und wer will schon eine Woche lang Karottensuppe essen? So oder ähnlich passiert es in vielen deutschen Haushalten viel zu oft. Lebensmittel landen tonnenweise im Müll.

Alles ist nahezu immer verfügbar, der nächste Supermarkt gleich um die Ecke. Statt mit den Resten etwas Leckeres zu zaubern, flitzt man lieber noch schnell zum Einkaufen und besorgt alle Zutaten für das Lieblingsgericht. Und die Lebensmittelvielfalt ist verführerisch – schnell liegt mehr im Korb als geplant. Viele Jahre lang hat auch Lisa Zvonetskaya so gelebt. Hat sich keine Gedanken über Lebensmittelverschwendung gemacht und auch nicht darüber, welche Konsequenzen ihr Verhalten hat. „Ich hatte überhaupt keine Wertschätzung für Nahrungsmittel“, merkt die 30-Jährige selbstkritisch an. „Ich bin in der Stadt aufgewachsen, da war immer alles verfügbar.“

Kein einzelner, ausschlaggebender Moment

Den einen Moment, der ihr Bewusstsein schlagartig veränderte, den gab es nicht. Vielmehr war es ein Prozess. Mit ihrem Lebensgefährten sprach sie viel über das Thema Wegwerfgesellschaft und Konsum, Plastikmüll und Ressourcenverschwendung. „Im Gegensatz zu mir ist er nämlich der Kreative in der Küche, der aus vielen Resten etwas Tolles kochen kann.“ Auch über das gesetzlich vorgeschriebene Mindesthaltbarkeitsdatum diskutierte das Paar – das alles andere als ein Verfallsdatum darstellt. „Man sollte mehr dem gesunden Menschenverstand trauen.

Wenn es etwas gut aussieht, gut riecht und gut schmeckt, dann ist es gut. So spart man auch noch Geld.“ Mit der Zeit änderte Lisa Zvonetskaya ihr eigenes Verhalten, kaufte bewusster ein, fror übriggebliebene Portionen ein. Dennoch: Es blieben immer noch hin und wieder Lebensmittel übrig. „Da ist mir die Idee gekommen, dass man die Sachen ja auch abgeben könnte.“ Eine Recherche ergab, dass es noch keine App fürs Smartphone gab, die genau dem entsprach, was die 30-Jährige vor Augen hatte. „Ich habe mir etwas sehr Einfaches, Minimalistisches vorgestellt.“

Und während ihr Umdenkungsprozess eine ganze Zeit lang dauerte, fiel die Entscheidung für die Unternehmensgründung dann ganz schnell. Ein Jahr ist das nun her. In drei Schritten laden Nutzer der App übriggebliebene Lebensmittel hoch, die andere Interessierte abholen können: Foto knipsen, Kurzbeschreibung verfassen und Kategorie auswählen, Haltbarkeitsdatum eingeben. Fertig. Die App zeigt auf einer Karte alle eingestellten Produkte in einem selbst gewählten Umkreis an.
 

Wie funktioniert die App?

Über private Nachrichten machen die Nutzer aus, wann und wo sie sich treffen. Hat man nichts anzubieten, sondern benötigt etwas Bestimmtes, lässt sich ein Suchagent einrichten, über einen Filter kann man auch nach Kategorien stöbern. Im Gegensatz zur Initiative „Foodsharing“ ist „Uxa“ ausschließlich auf Lebensmittelrettung unter Privathaushalten und auf eine rein digitale Lösung spezialisiert. 2000 Registrierungen zählt Lisa Zvonetskaya mittlerweile. In München, wo die junge Frau wohnt, werden regelmäßig Lebensmittel eingestellt.

Einige bieten auch gleich mehrere Zutaten auf einmal an – sei es, weil sie in den Urlaub fahren oder zum Beispiel vom Backen der Weihnachtsplätzchen noch jede Menge übrig haben. Für 2018 hat sich die junge Frau ein ambitioniertes Ziel gesetzt: 100 000 Nutzer. Denn klar ist, dass die App nur dann richtig erfolgreich werden kann, wenn sehr viele Menschen regelmäßig Essen einstellen. „Wir müssen umdenken“, fordert Lisa Zvonetskaya. „Wir fahren ansonsten unseren Planeten gegen die Wand.“

Dass in ihrem Vorhaben eine große Portion Risiko steckt, dessen ist sich die frühere Unternehmensberaterin, die heute im IT-Bereich als Projektleiterin arbeitet, bewusst. Aber ihr Ehrgeiz ist geweckt – und der Idealismus ist groß. Von ihrem eigenen Geld hat sie bisher einen niedrigen fünfstelligen Betrag in die App gesteckt, der vor allem in die Programmierung geflossen ist. „Dafür musste ich jeden Monat etwas weglegen.“ Ihr geht es aber auch gar nicht um Gewinn, sondern um die Mission. „Deswegen kostet die App auch nichts“, erklärt die 30-Jährige. „Ich glaube, dass jeder seinen Beitrag leisten und jeder einzelne etwas bewirken kann. Und wieso sollte man nicht etwas Hochtechnologisches einsetzen, um die Umwelt zu schützen?“
 

Die Wirkung des Teilens

Sie glaubt an ihre Idee, ist davon überzeugt, dass man sich unabhängiger macht, wenn man mehr teilt – anstatt alles selbst und neu zu kaufen. Das bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten glaubt ebenfalls an ihre App und hat die junge Gründerin im Rahmen eines Wettbewerbs um innovative Ideen zur Vermeidung von Lebensmittelverlusten ausgezeichnet. Und der Name der App, „Uxa“? Der stammt aus dem Russischen, so wie Lisa Zvonetskaya auch. Als Zehnjährige zog sie mit ihrer Mutter vom Kaukasus nach Düsseldorf, lernte die Sprache, machte ihr Abitur und studierte BWL und Strategie und Innovation. „,Uxa’ bedeutet ,Fischsuppe’. Und so etwas Wertvolles würde nie jemand wegwerfen.“

Was man alles teilen kann
 

Lebensmittel

„Jedes achte Lebensmittel, das wir kaufen, werfen wir weg.“ Mit diesem eindrücklichen Slogan wirbt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft für ihre Initiative „Zu gut für die Tonne“. „Wir kaufen zu viel ein, lagern unsere Lebensmittel falsch, verwerten Reste nicht weiter. Das hat Folgen für uns und für die Umwelt“, schreibt das Ministerium – und liefert Fakten: Jeder von uns wirft pro Jahr Lebensmittel im Wert von rund 235 Euro weg – oder anders ausgedrückt: Jährlich wirft jeder Deutsche durchschnittlich 82 Kilo Lebensmittel in die Tonne – am häufigsten Obst und Gemüse. Unser Verhalten wirkt sich massiv auf die Umwelt aus, jedes Lebensmittel braucht für seine Herstellung kostbare Ressourcen. Beispiel: So fließen allein 700 Liter Wasser, bis ein Kilo Äpfel geerntet ist. 1000 Liter Wasser sind es, bis ein Kilogramm Brot entstanden ist. Für ein Kilogramm Käse sind es 5000 Liter. Für die gleiche Menge Rindfleisch sogar über 15 000 Liter – vom Transport dieser Lebensmittel ganz zu schweigen. DK