Freiburg
"Eins werden mit sich selbst"

24.06.2013 | Stand 02.12.2020, 23:59 Uhr

Ulrich Ott, Wissenschaftler und Autor des Buchs „Meditation für Skeptiker“ - Foto: privat

Freiburg (DK) Ulrich Ott ist Psychologe und einer der führenden Meditationsforscher Deutschlands. Seit 2005 ist der promovierte Wissenschaftler des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg an das Bender Institute of Neuroimaging an der Uni Gießen abgeordnet. Dort leitet die Arbeitsgruppe Veränderte Bewusstseinszustände. Mit dem Autor des Buches „Meditation für Skeptiker“ hat sich unsere Redakteurin Katrin Fehr über das Gedankenkarussell, Geduld und Spiritualität unterhalten.

Meditieren, um glücklich zu sein – das sind vielversprechende Aussichten. Funktioniert das?
 
Ulrich Ott: Wenn überzogene Erwartungen geweckt oder gar Glücksversprechen gegeben werden, bin ich eher skeptisch. Denn Meditation ist eine intensive Auseinandersetzung auch mit den eigenen Schattenseiten. Es gibt natürlich auch sehr beglückende Erfahrungen, aber die kommen am ehesten, wenn man nicht ungeduldig darauf wartet. Offenheit, Hingabe an das Leben, die Begegnung mit anderen Menschen und mit der Schönheit der Natur spielen dabei oft eine wichtige Rolle. Für mich ist Meditation eigentlich primär ein Weg zur Selbstbestimmung. Dabei muss ich erst einmal in der Lage sein wahrzunehmen, was ich bin, wer ich bin und wie ich mich fühle.

 

Kann jeder Mensch meditieren?

Ott: Nehmen Sie eine einfache Meditation, wie das achtsame Beobachten der Atemempfindungen: Jeder Mensch atmet, und jeder, der die Instruktion versteht und imstande ist, seine Aufmerksamkeit auf den Atem zu lenken, kann diese Form der Meditation praktizieren.

 

Gibt es Menschen, denen Meditation eher schadet?

Ott: Es gibt vereinzelte Fälle, wo die Wendung nach innen dazu führt, dass frühere traumatische Erfahrungen wieder hochkommen. Dann ist eventuell eine therapeutische Begleitung erforderlich. Gelegentlich kann es auch zu einer psychischen Destabilisierung kommen, wenn Menschen sehr viel meditieren, also mehrere Stunden am Tag. Insgesamt sind die „Risiken und Nebenwirkungen“ jedoch eher niedrig anzusetzen.

 

Sie meditieren selbst. Welche Tipps haben Sie, um das Gedankenkarussell abzuschalten?

Ott: Der entscheidende erste Schritt ist meiner Erfahrung nach, erst einmal das Gedankenkarussell als solches zu erkennen und Distanz dazu zu gewinnen. Das Karussell dreht sich also weiter, aber Sie steigen ab und werden zum Zuschauer. Wenn Sie Ihre Gedankenaktivität nicht weiter anfeuern, wird das Karussell ganz von selbst allmählich langsamer. Ein gutes Hilfsmittel dazu ist die erwähnte Achtsamkeit auf den Atem. Der langsame Rhythmus der Ein- und Ausatmung führt ganz natürlich zu einer innerlichen Beruhigung.

 

Meditationsforschung ist ein weites Feld, was wird derzeit untersucht?

Ott: Es gibt unzählige Untersuchungen zu den Wirkungen auf physiologische Prozesse, wie den Blutdruck, den Muskeltonus und die Hirnaktivität. Hinzu kommen Studien zu psychologischen Effekten auf die Persönlichkeit. Ein Großteil der Studien untersucht die Wirksamkeit bei körperlichen Erkrankungen und psychischen Störungen wie zum Beispiel Ängsten, Depressionen und Suchtverhalten. Allgemein lässt sich vielleicht sagen, dass Meditation dabei hilft, die vegetative Erregung selbst zu regulieren, Entspannung gibt sowie die Aufmerksamkeit, die Konzentration fördert und die Emotionen beeinflusst, Stichworte sind da Gelassenheit und Mitgefühl.

 

Die einen suchen Wege zur Stressbewältigung, andere eine spirituelle Erfahrung. Schließt sich das aus?

Ott: Das schließt sich keineswegs aus und geht oft Hand in Hand. Bei vielen Menschen ist der Wunsch nach Entspannung und Stressbewältigung zunächst der primäre Grund, es mit Meditation zu versuchen, und dann stellen sie fest, dass die Wirkungen viel weiter reichen. So berichten Meditierende uns häufig, dass sie ihre innere Mitte finden und mehr eins mit sich werden. Das geht bis hin zu tiefer Selbsterkenntnis und spirituellen Erlebnissen.

 

Es gibt viele Lehrer und Richtungen. Woran sollte man sich orientieren?

Ott: In der Regel gibt es so etwas wie eine kostenlose „Schnupperstunde“ zum Kennenlernen. Man sollte sich genau anschauen, wie sich die Lehrenden verhalten: Gehen sie auf die Teilnehmer ein? Wird die Methode gut erklärt, ist genügend Raum für Nachfragen? Oder geht es vor allem um die Bewunderung und das Geld ihrer Anhängerschaft?

 

Sollte man in der Gruppe meditieren oder besser alleine?

Ott: Im Alltag wird üblicherweise zu Hause meditiert. Für die Motivation und Vertiefung ist es jedoch von Vorteil, etwa einmal in der Woche auch in der Gruppe zu meditieren. In unseren Interviews wurde die Gruppe als ein wichtiger Faktor genannt, um die Meditation zu vertiefen. In vielen Traditionen, zum Beispiel im Zen, gibt es intensive Übungsphasen über mehrere Tage. Im christlichen Bereich sind da vor allem die kontemplativen Exerzitien zu nennen.