"Das Wichtigste ist: Niemals aufgeben"

23.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:24 Uhr
Die internationale Raumstation ISS: Hier verbrachte der Nasa-Astronaut Ron Garan 2011 ein halbes Jahr. Der Rückflug mit der Sojus-Kapsel mit extremer Geschwindigkeit durch die Atmosphäre sei extrem turbulent gewesen, erzählt der 56-Jährige. Das Bild unten links zeigt die Sojus-Kapsel bei der Landung - das Bild rechts Ron Garan, kurz nach dem Ausstieg. −Foto: Nasa, Ilnitsky/dpa

Im November kommt der ehemalige Nasa-Astronaut Ron Garan als Gastredner zu einer Audi-Veranstaltung nach Ingolstadt. Der 56-Jährige verbrachte ein halbes Jahr auf der Raumstation ISS. Im Interview erzählt er, wie ihn der Aufenthalt im All verändert hat.

Herr Garan, auf einer Raumstation wie der ISS geht es relativ eng zu. Wie schwer ist es, dort über so eine lange Zeit ohne Streit miteinander auszukommen?

Ron Garan: Ach, auf der Station ist es gar nicht so eng. In der Sojus-Kapsel dagegen schon. Aber um gut miteinander auszukommen, ist es wichtig, zu verinnerlichen, dass das, was wir dort tun, größer ist, als wir selbst. Dort im All gibt es keine deutsche, japanische, amerikanische oder russische Crew. Es gibt nur die Crew. Jeder arbeitet mit den anderen zusammen, um die Mission zum Erfolg zu führen. Ganz ehrlich: Ich kann mich in den gesamten sechs Monaten auf der Raumstation nicht an einen einzigen Konflikt innerhalb der Crew erinnern. Wir kamen super miteinander aus.

Hatten Sie Angst vor Ihrem ersten Flug ins All?

Garan: Natürlich weiß man als Astronaut um die Gefahr, in die man sich mit seinen Kollegen begibt. Aber wir alle sind davon überzeugt, dass das was wir tun, von großer Bedeutung für die Welt ist. Man begibt sich als Astronaut nicht in Gefahr, weil man den Nervenkitzel sucht, sondern weil man etwas Nützliches macht. Das ist den Preis wert.

Was war die gefährlichste Situation während Ihrer Mission?

Garan: Ich kann bis heute nicht sagen wieso - aber eines Tages erkannten wir sehr spät, dass wir auf Kollisionskurs mit einem Stück Weltraumschrott waren. Wir waren damals sechs Mann an Bord. Normalerweise verändern wir in so einem Fall die Umlaufbahn der Station. Doch die Zeit war dafür zu knapp: das dauert mehrere Stunden. Also war das Einzige was wir tun konnten, alle Luken auf der Station zu schließen. Jeweils drei von uns setzten sich in eine der beiden Sojus-Kapsel - und warteten. Das Stück Schrott raste nur 300 Meter an der ISS vorbei - mit einer Geschwindigkeit, die die Station zerstört hätte. Es war ziemlich knapp.

Haben Sie etwas Persönliches mit in den Weltraum genommen? Einen Glücksbringer vielleicht?

Garan: In der Sojus-Kapsel durften wir 1,5 Kilo persönliche Gegenstände mitnehmen. Ich hatte beispielsweise Fotos von der Familie dabei. Man schafft sich sozusagen seinen eigenen kleinen Raum auf der Raumstation.

Wie ist das Essen im Weltall?

Garan: Es ist ist nicht schlecht, aber auch nicht überragend (lacht). Das ist wie Campingnahrung. Teilweise ist dem Essen das Wasser entzogen. Ab und zu haben wir aber auch frische Nahrung bekommen - etwas Obst und Gemüse beispielsweise. Es war immer ein besonderer Tag, wenn wir ein Versorgungsschiff mit solchem Inhalt entladen haben.

Wann wurde Ihnen klar, dass es Ihre Berufung ist, Astronaut zu werden?

Garan: Diesen Wunsch hatte ich seit dem 20. Juli 1969 (Anm. d. Red: In Deutschland der 21. Juli). Als kleiner Junge verfolgte ich - wie Millionen andere Menschen auf der Welt - vor dem Bildschirm die ersten Schritte auf dem Mond. Von da an wusste ich, dass ich Teil dieser Entdecker sein möchte, die den Planeten Erde verlassen und vom Weltall auf ihn herabblicken. Glücklicherweise bekam ich später die Gelegenheit dazu.

Wo haben Sie die Mondlandung damals angeschaut?

Garan: Das war auf der Goldenen Hochzeit meiner Urgroßeltern. Meine gesamte Familie war in einem Restaurant - und ein Teil davon verfolgte die Landung in einer Bar im Keller auf einem kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher.

Worauf kommt es an, wenn man Astronaut werden möchte?

Garan: Zunächst einmal muss man zur Schule gehen und lernen. Aber das Wichtigste ist: Niemals aufgeben. Viele sagen sich: Astronaut werden - das ist unmöglich. Warum soll ich für ein Ziel hart arbeiten, das ich nie erreichen werde? Und ich habe noch einen wichtigen Rat: Man muss eine Sache finden, für die man brennt und darin der Beste werden - egal was es ist. Astronauten haben die verschiedensten Lebensläufe.

Wie waren die Reaktionen, als Sie als Kind erklärt haben, Sie wollen Astronaut werden?

Garan: Immer wenn ich meinen Wunsch verkündet habe, haben mir die Erwachsenen auf den Kopf getätschelt und gefragt: "Aber was willst du wirklich werden? Du kannst doch kein Astronaut werden." Sie wollten einen Plan B.

Und wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass Sie in den Weltraum fliegen dürfen?

Garan: Ich war natürlich aufgeregt. Aber noch größer war für mich der Moment als ich dafür ausgewählt wurde, Astronaut zu werden und mit dem Training beginnen durfte. Denn ich hatte dafür sehr hart gearbeitet.

Was war der härteste Teil des Trainings?

Garan: Gute Frage. Es war eigentlich alles ziemlich herausfordernd. Man muss beispielsweise viel im Simulator üben und auch unter Wasser. Aber ich würde sagen, das Schwierigste ist, das Training über die lange Zeit durchzuhalten.

Vor Ihrer Laufbahn als Astronaut waren sie F-16-Kampfjetpilot und Russland war der Feind. Wie war die Erfahrung, plötzlich gemeinsam mit den Russen ins Weltall zu fliegen?

Garan: Absolut faszinierend. Die ersten 15 Jahre meiner Berufslaufbahn trainierte ich, um die Russen zu bekämpfen. Ich war ein Kampfjetpilot im Kalten Krieg - und im damaligen West-Deutschland stationiert. Es war ein besonderer Moment als ich auf der Startrampe in der Sojus-Kapsel saß, um sechs Monate ins All zu fliegen. Ich startete von einer ehemaligen, streng geheimen, sowjetischen Militärbasis - zusammen mit zwei Russen. Später blickte ich während eines Raumspaziergangs auf die Station herunter und mich bewegte der Gedanke, dass 15 Nationen daran mitgebaut hatten. So ein komplexes Bauwerk, errichtet von Nationen, die nicht immer die besten Freunde waren. Manche bekriegten sich sogar. Da habe ich mich gefragt, wie die Welt wohl aussehen würde, wenn wir dieselbe Qualität an Zusammenarbeit auch hier auf der Erde an den Tag legen würden.

Wie hat Sie die Zeit auf der ISS verändert?

Garan: Meine Ansichten haben sich in vielerlei Hinsicht geändert. Eine besondere Erkenntnis ereilte mich bei der Rückkehr: Wir hatten diesen extrem turbulenten Rückflug, rasten mit fünf Meilen pro Sekunde durch die Atmosphäre. Die Fallschirme öffneten sich, wir krachten auf den Boden und überschlugen uns ein paarmal. Als die Kapsel zum Stillstand kam, zeigte mein Fenster Richtung Boden. Ich sah einen Stein, eine Blume und einen Büschel Gras - und ich dachte mir: Ich bin zu Hause. Dabei war ich ja in Kasachstan. Aber in diesem Moment war mein Zuhause nicht Houston, Texas, wo ich mit meiner Familie lebte. Mein Zuhause war die Erde. Ich glaube, die Menschen sollten nicht ins Weltall fliegen müssen, um das zu erkennen. Leider werden gerade auf der Welt die Ansichten der Menschen immer engstirniger.

Sie haben drei Kinder. Was für eine Welt möchten Sie Ihnen hinterlassen?

Garan: Zunächst einmal eine Welt, die nicht durch die Klimaerwärmung zerstört ist. Wir haben hier eine Krise und viele stecken einfach den Kopf in den Sand. Aber grundsätzlich erhoffe ich mir eine Welt, in der wir alle zusammenarbeiten, um die großen Probleme zu lösen. Wir müssen wegkommen von diesem ich-bezogenen Denken. Stolz auf die eigene Nationalität, Kultur oder Religion hat die Zahl derer stark limitiert, mit denen wir zusammenarbeiten wollen. Wir müssen aber erkennen, dass es die besten Leute aller Nationen und Ethnien braucht, um die Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich zu meistern.

DK



Das Gespräch führte Sebastian Oppenheimer.ZUR PERSONRon Garan ist ein ehemaliger Nasa-Astronaut. Nach seinem Studium ging er zur US-Air Force. Dort wurde er F-16-Pilot und flog Kampfeinsätze im Zweiten Golfkrieg. Im Jahr 2000 wurde er als Astronaut ausgewählt und startete am 31. Mai 2008 zu seinem ersten, zweiwöchigen Weltraumaufenthalt. Im Jahr 2011 durfte zum zweiten Mal ins All fliegen - diesmal blieb er ein halbes Jahr auf der Raumstation ISS. Aktuell ist Garan Chefpilot eines privaten Unternehmens, das mit Ballons kommerzielle Flüge in die Stratosphäre anbieten will. Außerdem betreibt er mit anderen Ex-Astronauten ein Netzwerk namens Constellation, das sich für eine nachhaltige Nutzung von Ressourcen einsetzt.
 AUDI MQ! SUMMIT Künstliche Intelligenz, Virtual Reality, autonome Autos und Elektromobilität – um diese   Themen geht es beim „Audi MQ!  Summit“, der am 8. und 9. November in Ingolstadt stattfindet. MQ steht für Mobility Quotient. Unter den Rednern sind neben dem ehemaligen Nasa-Astronauten Ron Garan auch   Apple-Mitgründer Steve Wozniak, Robotik-Expertin Andra Keay und Science-Fiction-AutorCory Doctorow. In Workshops können die Summit-Teilnehmer tiefer in die Themen einsteigen und erhalten Einblicke in konkrete Fragestellungen, an denen Audi arbeitet – beispielsweise geht es um ethische Herausforderungen beim autonomen Fahren.   Tickets für die zweitägige Veranstaltung kosten zwischen 290 und 390 Euro.DK