Berlin
Er hat das Bild der katholischen Kirche geprägt

11.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:42 Uhr

Berlin (DK) Brückenbauer, Reformer, Menschenfreund - der Tod des Mainzer Kardinals Karl Lehmann hat Betroffenheit ausgelöst. Der Geistliche starb nach Angaben des Bistums gestern im Alter von 81 Jahren.

Der Trainer war positiv überrascht und erinnerte sich noch elf Jahre später an die Begegnung: Er als Protestant gehöre eigentlich nicht zu den Leuten, die Hurra rufen würden, wenn sie nach der katholischen Kirche gefragt würden, sagte Jürgen Klopp. Doch der hohe Würdenträger, mit dem er einst über Fußball und seinen Verein Mainz 05 fachsimpelte, hatte auch ihn sofort für sich gewonnen. "Unfassbar intelligent, freundlich, zugewandt und empathisch" sei dieser Mensch hinterm Amt, schrieb Klopp zum 80. Geburtstag im Mai 2016 über Kardinal Karl Lehmann. Gestern ist der frühere Bischof von Mainz an den Folgen eines im Herbst erlittenen Schlaganfalls gestorben.

Mit ihm verliert die katholische Kirche einen ihrer bedeutendsten Vertreter der vergangenen Jahrzehnte, einen der beliebtesten dazu. Von 1987 bis 2008 hatte er das Amt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz inne. Nicht nur in dieser Funktion habe er "über viele Jahre das Bild der katholischen Kirche in unserem Land maßgeblich mitgeprägt", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über den Verstorbenen, der stets "ein Mann klarer Worte" gewesen sei, "einer der wichtigen Brückenbauer zwischen den Konfessionen und Religionen". Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke würdigt Lehmann als einen herausragenden Theologen, der die Beratungen der Bischofskonferenz mit seinem profunden Wissen enorm bereichert habe. Ein Kirchenrebell, ein großer Intellektueller und Reformer, "der prägende Kopf" der katholischen Kirche in Deutschland, sagte Kanzlerin Angela Merkel. "Er hat mich mit seiner intellektuellen und theologischen Kraft begeistert und war dabei immer auch ein Mensch voll bodenständiger Lebensfreude", erinnert sie sich. Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, würdigte Lehmann als Wegbereiter für die Annäherung beider Kirchen. "Er war ein treibender Vermittler im offenen und ehrlichen christlich-jüdischen Dialog", so die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch.

1936 im schwäbischen Sigmaringen geboren, studierte Lehmann nach der Schulzeit zunächst in Freiburg Philosophie und katholische Theologie. Später zog es ihn nach Rom an die Päpstliche Universität Gregoriana, wo er über das Denken Heideggers promovierte. Die Zeit im Herzen der katholischen Kirche, vor allem aber der Kontakt zu seinem Mentor Karl Rahners, sollte ihn für den Rest seines Lebens prägen. Rahners, einer der wichtigsten Verfechter einer Erneuerung der Kirche, führte den jungen Lehmann in Kreise ein, die schon bald eine kleine Revolution anführen sollten: Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil setzten sich Rahners und seine Mitstreiter durch, erkämpften erfolgreich eine Öffnung der Kirche, rückten den Menschen stärker in den Mittelpunkt des Glaubens. Es wurde die wohl wichtigste Wende der katholischen Kirche im 20. Jahrhundert. Der liberale Geist dieser Zeit beeindruckte Lehmann tief, ließ ihn nicht mehr los. In den Jahrzehnten, die auf das Konzil folgten, als das Pendel in Rom längst in die Gegenrichtung ausgeschlagen war, wurde Lehmann zu einer der wichtigsten Stimmen einer weltoffenen Kirche.

Er verlor sich nie in abgehobenen theologischen Debatten, kannte die Ängste, Nöte und Leidenschaften der Menschen, bezog Stellung auch zu politischen und gesellschaftlichen Themen und arbeitete dafür, dass die katholische Kirche mit Politik, Kultur und Gesellschaft stetig im Gespräch blieb und sich die Ökumene mit der evangelischen Kirche weiter entwickelte. Ob im vollen Ornat im Vatikan, im Jackett in Talkshows oder mit schwarzer Jacke und rotem Schal im Fanblock des FSV Mainz, bei dem er Ehrenmitglied war: Lehmann überzeugte die Menschen mit seiner offenen und authentischen Art, schaffte es, zum Gesicht einer Kirche zu werden, die mit der Zeit gehen, den Menschen zuhören, ihnen helfen wollte, nicht mit Regeln, Vorschriften und Verboten gesellschaftlichen Wandel blockieren. Er kämpfte für die Rechte von Frauen, sagte, er könne nichts Unnormales an Homosexualität finden, stritt mit dem Vatikan über seinen gemäßigt liberalen Kurs bei der Schwangerenkonfliktberatung. Jahrzehntelang versuchte er, Rom von einem neuen Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen zu überzeugen, dachte voraus, was nun unter Papst Franziskus möglich wird. Im Missbrauchsskandal bezog er als einer der Ersten selbstkritisch Stellung, sprach davon, dass zu lange weggeschaut wurde, während die Körper und Seelen von Kindern und Jugendlichen vergewaltigt worden seien. Lehmann verstand sich als Kirchenmann, dessen Aufgaben im Hier und Jetzt lagen, engagierte sich für ein Europa, das mehr sein sollte als eine Wirtschaftsunion.

"State in fide - Steht fest im Glauben", lautete sein bischöflicher Wahlspruch, der zu seinem Leitmotiv wurde, ihn beharrlich für seine Ziele kämpfen ließ, ohne es an Loyalität gegenüber seiner Kirche mangeln zu lassen. Sein Engagement, das Vertrauen, das er bei den Gläubigen genoss, brachte ihm bald den Titel "Spitzenmann des deutschen Katholizismus" ein. Er selbst fand solche Bezeichnungen immer "etwas lächerlich." Jene, die ihn kannten, preisen ihn als einen, der vermitteln, dessen tiefes, herzhaftes Lachen Menschen anstecken und zusammenführen konnte. Ein wertvolles Talent, das er nutzen konnte, um jenen Wandel voranzutreiben, von dem schon sein Mentor geträumt hatte. Beigesetzt werden soll Lehmann am 21. März in der Bischofsgruft des Mainzer Doms.

 

"Ein streitbarer Katholik mit einer wunderbar freundlichen Art"


Herr Sternberg, Trauer um Kardinal Karl Lehmann - was bedeutet sein Tod für die katholische Kirche?

Thomas Sternberg: Kardinal Lehmann war eine der ganz großen und wichtigen Persönlichkeiten der katholischen Kirche der Nachkriegszeit. Er war derjenige, der wesentlich und konstruktiv für die Umsetzung der Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils in der katholischen Kirche hierzulande stand. Er hat als Mitglied des Zentralkomitees der Katholiken die Würzburger Synode mitbegründet und geführt. Lehmann gehörte zu den bedeutenden 68ern der Kirche, die sich hoch motiviert an die Umsetzung der Beschlüsse des Konzils gemacht haben. Er war ganz sicher ein streitbarer Katholik mit einer wunderbar freundlichen und fröhlichen Art.

 

Er galt als Menschenfischer . . .

Sternberg: Jeder, der ihm begegnet ist, schätzte seine große Zuwendung. Kardinal Lehmann war ein Kommunikationsgenie. Er genoss eine immense Popularität. Mit seiner ausgesprochen sympathischen Art hat er viele Menschen gewonnen. Er verstand es, auf Menschen zuzugehen und war ein Menschenfreund. Er hat die Kirche konsequent in der modernen Gesellschaft gesehen und entscheidend mit dafür gesorgt, dass sich auch das Verhältnis zwischen Kultur und Kirche erheblich verbessert hat. Kardinal Lehmann hat in der Zeit, in der er Verantwortung getragen hat, immer wieder Künstlerinnen und Künstler mit Kirchenvertretern zusammengebracht, dafür gesorgt, dass es hier viele Begegnungen, Gespräche und einen engen Austausch gab. Er war auch ein großer Freund und Förderer des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

 

Der Zusammenhalt der Kirche hatte bei ihm höchste Priorität, oder?

Sternberg: Seine Rolle als Versöhner und Vermittler war eine seiner wichtigen Aufgaben. Er war ein Brückenbauer zeit seines Lebens. Dazu gehört die Arbeit an der eminent wichtigen Königsteiner Erklärung nach dem Debakel des Verbots der sogenannten künstlichen Empfängnisverhütung 1968. Später dann war es die Erarbeitung einer eigenen deutschen Beratungsregelung für die Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen. Dies wurde dann diskreditiert, von Kräften, die sich bis heute fragen müssen, für welches Zerwürfnis sie damit gesorgt haben. Darunter haben Lehmann und seine Mitstreiter sicher sehr gelitten.

 

War er ein Visionär?

Sternberg: Er hat sicherlich viele Entwicklungen und wichtige Fragen deutlich früher gesehen. Lehmann hat schon früh den drohenden Bruch zwischen offiziellem Lehramt und praktischem Leben der Gläubigen und in den Gemeinden erkannt. Das gilt auch für den Umgang mit Geschiedenen, die wieder geheiratet haben. Er hat sich sehr stark bis zuletzt für die Ökumene eingesetzt. Er hat weit vorausgeblickt.

 

Thomas Sternberg ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Die Fragen stellte Andreas Herholz.