Berlin
"Das große Sorgenkind ist Indien"

14.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:13 Uhr

Berlin (DK) Erneut ist der CO2-Ausstoß gestiegen, die Hoffnungen in Sachen Klimaschutz scheinen sich nicht zu erfüllen. Der Klimaforscher Joachim Schellnhuber fordert, dass Politik und Wirtschaft erheblich mehr tun müssen, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu begrenzen.

Herr Schellnhuber, eine Hiobsbotschaft hat die Klimakonferenz getroffen, der CO2-Ausstoß ist wieder gestiegen. Geht es beim Klimaschutz rückwärts?

Joachim Schellnhuber: Die Botschaft der Zahlen ist glasklar: Wir können uns nicht in Sicherheit wiegen, Bequemlichkeit ist fehl am Platze. Die globalen Emissionen haben drei Jahre nicht zugenommen. Da hat sich die Hoffnung breitgemacht, wir machen schon genug. Aus dieser Selbstgefälligkeit haben die neuen Zahlen nun hoffentlich uns alle aufgerüttelt. In der Wissenschaft hält sich die Überraschung in Grenzen. Wir Forscher haben vorher gesagt, dass Politik und Wirtschaft erheblich mehr tun müssen, um den Ausstoß von Treibhausgasen und damit die größten Klimarisiken zu begrenzen. Und wir sagen das weiterhin.

 

China wurde in jüngster Zeit sehr gelobt für die Klimaschutzanstrengungen. Ist Peking doch der Buhmann und kein Hoffnungsträger?

Schellnhuber: Nein, China hat tatsächlich mit großen Anstrengungen die Wende eingeleitet. Der Anstieg der CO2-Emissionen ist zum Teil einfach auf das hohe Wirtschaftswachstum dort zurückzuführen. Peking betreibt eine sehr ehrgeizige Klimapolitik, es will noch deutlich mehr Kohlekraftwerke stilllegen als bislang geplant. Der Ausbau der Solarenergie wird verdoppelt! Das große Sorgenkind ist Indien. Dort ist der CO2-Ausstoß sogar um sechs Prozent gestiegen, und es ist keine Wende in Sicht.

 

Heute kommt Angela Merkel (CDU) zur Klimakonferenz nach Bonn. Was erwarten Sie von der "Klimakanzlerin"?

Schellnhuber: Die Kanzlerin hat natürlich die schwierigen Sondierungsgespräche im Nacken, das macht es für sie nicht einfach. Aber sie muss hier in Bonn vor fast 200 Staaten schon zu ihrem Versprechen stehen, dass auch die nächste Bundesregierung energisch die globale Erwärmung bekämpft. Dazu gehört ein Bekenntnis zu den Klimazielen, welche von der FDP zuletzt infrage gestellt worden sind. Diese Ziele sind nicht beliebiges politisches Spielmaterial, sondern die nach Stand der Forschung erforderlichen Emissionsreduktionen, wenn wir Wetterextreme, Meeresspiegelanstieg, Gesundheitsgefahren und Migration im Griff behalten wollen. Merkel weiß das alles sehr genau.

 

Union und FDP bremsen in den Sondierungen den Klimaschutz-Ehrgeiz der Grünen. Ist das aus Ihrer Sicht nicht unverantwortlich?

Schellnhuber: Ich erwarte, dass die künftige Bundesregierung den Ausstieg aus der Braunkohle-Verstromung beschließt - um das Klima zu stabilisieren und Deutschland zu modernisieren. Das könnte eine zentrale Botschaft der Jamaika-Koalition werden. Angela Merkel sollte die Tribüne der Weltklimakonferenz in Bonn für eine klare Ansage nutzen. Der Umbau unseres Energiesystems mit Strom aus Sonne und Wind wäre doch auch eine Riesenchance für die Digitalisierung, von der Erzeugung über Netze und Speicher bis zu den Haushalten. Das sind Technologien für die deutschen Exporte von morgen. Das muss die FDP sehen, die sich doch für Digitalisierung starkmacht.

 

Was kommt auf Deutschland durch den Klimawandel zu?

Schellnhuber: Wenn der Klimawandel nicht gebremst wird, werden sich die klimatischen Verhältnisse in Deutschland massiv verändern, und die Extremwetter-Phänomene werden sich ganz klar häufen. Manche Meteorologen sehen dies noch nicht. Aber ich bin Physiker und betrachte die Prozesse. Wir pumpen immer mehr Energie ins Klimasystem, das kann gar nicht gut gehen. Eine wärmere Atmosphäre kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, die dann in Sturzregen wieder runterkommt. Und das bedeutet: Wir werden aus dem Paradies der gemäßigten Wetter- und Klimaverhältnisse herausgetrieben werden.

 

Ist es nicht längst zu spät, diese Szenarien abzuwenden?

Schellnhuber: Nein, es ist keinesfalls zu spät, den Klimawandel zu bremsen! Was mich quält: Die technischen Möglichkeiten sind längst vorhanden, aber wir nutzen sie nicht wirklich. Stattdessen bleiben wir fossil. Wir brauchen die Braunkohle nicht für unsere Versorgungssicherheit und auch nicht für den Arbeitsmarkt. Wer das als Argument vorschiebt, hat keine Ahnung. In Deutschland sollen im kommenden Jahr 600.000 Jobs entstehen. In der Braunkohle arbeiten noch 20.000 Menschen. Wer die Zukunft der in der Kohle arbeitenden Menschen wirklich im Blick hat, sollte für Umschulungen sorgen, damit sie fit werden für Jobs mit Zukunft. Soziale Härten durch die Stilllegung von Kraftwerken könnten abgefedert werden. Wenn wir später einmal zurückblicken und feststellen sollten, dass wir die Weichenstellung verpasst haben, dann kann niemand sagen: Es gab damals keine Alternative. Es gibt sie. ‹ŒDK

 

Das Interview führte Tobias Schmidt.

 

 

ZUR PERSON

Der Physikprofessor Joachim Schellnhuber ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.