Gut jeder vierte Anruf bei der Telefonseelsorge dreht sich in diesem Jahr um das Thema Einsamkeit.
„Das ist besonders seit dem Beginn der Corona-Pandemie ein immer wieder genanntes Problem, das alle Altersgruppen betrifft“, sagte der Vorsitzende der bundesweiten Telefonseelsorge-Arbeitsgruppe Statistik, Ludger Storch, der Deutschen Presse-Agentur. „Während der Lockdowns war das natürlich besonders deutlich. Inzwischen haben die Rahmenbedingungen sich zwar verändert, aber das grundsätzliche Problem ist noch da“, sagte Storch.
Die Stiftung Patientenschutz bezeichnete Einsamkeit als „die größte Volkskrankheit in Deutschland“. Vorstand Eugen Brysch sagte, dass nicht nur hochbetagte Menschen von Einsamkeit betroffen seien. Es greife zu kurz, wenn Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) an Betroffene appelliere, sich aus eigenem Antrieb Hilfe zu suchen und zu nutzen.
„Etwas gegen die wachsende Einsamkeit in der Gesellschaft zu tun, kann auch nicht nur institutionellen Anbietern überlassen bleiben“, sagte Brysch der Deutschen Presse-Agentur. „Viel wichtiger ist es, dass sich jeder von uns für dieses Volksleiden sensibilisiert.“ Es komme darauf an, persönlich Verantwortung zu übernehmen und „Mut zur Ansprache“ zu fassen.
„Schwierigkeiten, mit anderen Menschen wieder in Kontakt zu kommen“
In der Telefonseelsorge berichten laut Storch viele Anrufer, „dass sie Schwierigkeiten hätten, mit anderen Menschen wieder in Kontakt zu kommen“. Lockere Beziehungen seien im Laufe der Corona-Zeit eingeschlafen und man wisse nicht, wie man sie wiederbeleben oder neuen Anschluss finden könne.
Insgesamt hätten 2022 rund 1,2 Millionen Menschen bei der Telefonseelsorge angerufen, etwa so viele wie im Vorjahr. „Damit setzt sich die hohe Nachfrage fort, die wir seit Beginn der Pandemie verzeichnen“, sagte Storch, der auch Leiter der Telefonseelsorge Bochum ist. Die rund 7700 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beantworteten zudem rund 43.000 Mails und 37.000 Chats.
Kurz nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine im Februar habe der Anteil älterer Anrufer auffallend deutlich zugenommen, sagte Storch. „Viele von ihnen äußerten Ängste, weil sie sich an ihre eigenen Kriegserfahrungen erinnert fühlten.“ Auch in den folgenden Monaten ging es nach Angaben von Storch bei einem Drittel der Gespräche mit Menschen über 80 um dieses Thema.
Die Energiekrise und steigenden Kosten schlagen sich ebenfalls in den Gesprächen der Telefonseelsorge nieder. „Vor allem Menschen, die ohnehin ein knappes Budget haben, machen sich Sorgen, wie sie mit ihrem Geld auskommen und Nachzahlungen vermeiden können“, sagte Storch.
Häufigste Themen unter allen Anrufen seien unverändert Beziehungsstress, Probleme durch psychische Erkrankungen sowie andere persönliche Krisensituationen.
− dpa
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