Als erster Mensch auf allen Achttausendern wurde er zum wohl bekanntesten Bergsteiger der Welt - und sogar Teil der Popkultur. Auch wenn es sich Reinhold Messner selbst und anderen nicht leicht macht.
Mehr als einmal im Leben glaubte Reinhold Messner nicht mehr daran, alt zu werden. Am schlimmsten war es 1970 am Nanga Parbat, dem „Schicksalsberg der Deutschen“. Beim Abstieg von dem Achttausender im Himalaya kam sein Bruder Günther ums Leben. Ihm selbst, damals gerade 25, erfroren in der Kälte sieben Zehen. Messner kroch auf allen Vieren nach unten, bis er nicht mehr konnte. Bauern fanden ihn leblos im Geröll.
„Das war meine erste Nahtoderfahrung, so intensiv wie nie wieder. Dir wird klar, dass du sterben wirst. Und dass das überhaupt nichts Schlimmes ist.“ Heute (17.9.), nachdem er als erster Mensch der Welt auch alle 13 weiteren Achttausender bestieg und auch von all den anderen oft gefährlichen Touren zurückkam, wird der Südtiroler nun tatsächlich 80 Jahre alt.
„Als alt empfinde ich mich nicht“
Wobei: So ganz will er das nicht stehen lassen. „Natürlich werde auch ich ungeschickter, langsamer, vergesslicher. Ab und zu verstolpere ich mich“, sagt Messner der Deutschen Presse-Agentur auf seinem Schloss Juval bei Meran. „Aber alt? Als alt empfinde ich mich nicht.“ Dann wird er still und schaut von seiner Bank runter ins Tal.
Die Stimme ist brüchiger geworden, aber fit ist er noch. Erst in diesem Sommer umrundete er mit seiner 35 Jahre jüngeren Ehefrau den Kailash, den Heiligen Berg der Tibeter, was die beiden bis auf nahezu 6000 Meter brachte. Er wäre noch höher hinauf, aber der Gipfel des Kailash ist aus religiösen Gründen tabu. Der „König der Achttausender“ will jetzt auch seinen Achtzigsten in den Bergen verbringen, nur zu zweit. „Diane und ich werden auf einer kleinen Almhütte auf 2000 Metern Höhe feiern.“
Bitterer Streit ums Erbe
Das hängt mit dem Streit um sein Erbe zusammen, den er sich mit seiner zweiten Ex-Frau und den vier Kindern gerade in aller Öffentlichkeit liefert. Mit einem Interview in der „Apotheken Umschau“ trug Messner den Ärger selbst in die Welt. Mittlerweile bereut er schwer, noch zu Lebzeiten einen Großteil seines Millionenvermögens der Familie vermacht zu haben. Die habe ihn danach entsorgt, rausgekickt, ohne Angaben von Gründen.
Auseinandersetzungen ging der Südtiroler, der mit acht Geschwistern im Villnößtal aufwuchs, nie aus dem Weg. Den Beruf als Mathelehrer ließ er nach einem Jahr sein, um sich aufs Klettern zu konzentrieren. Aber auch am Berg oder nach dem Abstieg gab es Streit. „Mein Vater hat immer gesagt: "Kannst du nicht still sein und dir ein schönes Leben machen? Warum musst du immer anecken?"“ Die Antwort: „Weil ich so veranlagt bin. Mich anpassen? Niemals.“
1978 das erste Mal auf dem höchsten Berg der Welt
Aus dem Hippie-Kletterer, der im Alleingang durch die großen Alpenwände stieg, wurde der bekannteste Bergsteiger der Welt. Den Mount Everest bezwang er das erste Mal 1978, zusammen mit Peter Habeler, ohne Flaschensauerstoff, obwohl die Ärzte den beiden davon sehr abgeraten hatten. Zwei Jahre später schaffte er den höchsten Berg der Welt allein.
Und er machte weiter, Achttausender für Achttausender. Am 16. Oktober 1986 stand Messner schließlich auf dem Gipfel des Lhotse, dem Nachbarn des Everest, der ihm als letzter der 14 gefehlt hatte. Eine Bestmarke für die Ewigkeit. Als es für den Solitär in der Höhe keine Ziele mehr gab, durchquerte er Antarktis, Grönland und die Wüste Gobi.
Besonders große Fangemeinde in Deutschland
In Deutschland ist seine Fangemeinde besonders groß - was auch an seiner Gabe liegt, im Unterschied zu vielen anderen Kletterern packend von seinen Erfolgen zu erzählen und von den Niederlagen auch. Der Mann mit dem Himalaya-Stein um den Hals - gekauft beim Abstieg vom Everest, für 1000 Dollar - machte aus dem Alpinismus Philosophie.
Als Samstagabend-Shows noch wichtig waren, gehörte Messner zu den Dauergästen. Bei „Verstehen Sie Spaß?“ gelang den Fernsehleuten ein TV-Klassiker, indem sie einen Kiosk mit Souvenirs und sogar einigen seiner Bücher aufs Matterhorn flogen. Messner steigerte sich in einen heiligen Zorn hinein über den Massenkonsum in den Bergen, bis er endlich verstand.
Auch Teil der Popkultur
Inzwischen sind es fast 100 Bücher geworden. Das jüngste heißt „Gegenwind“. Zudem tingelt Messner weiterhin durch Talkshows, hält Vorträge, dreht Filme. Nach Werbung für Autos, Wanderstöcke und Uhren macht er nun in Outdoor-Kleidung - was ihn nicht abhält, über die Leute in Fußgängerzonen zu spotten, die angezogen sind wie auf dem Weg zum Everest.
Tatsächlich ist die Generation der Messner-Bewunderer mit ihrem Idol in die Jahre gekommen. Dass er für die italienischen Grünen eine Wahlperiode im Europaparlament saß, haben die meisten vergessen. Der Deutsch-Rapper Soho Bani machte ihn kürzlich auch einer neuen Generation bekannt. Dessen Hit „Bergsteigen“ beginnt mit der Zeile: „Und ich fühl mich so wie Reinhold Messner. Ich geh nach oben mit den Leuten von gestern.“
Bergtouren mit Merkel und Managern
Da ist etwas dran. Wenn Angela Merkel in Südtirol ist, geht Messner mit der Ex-Kanzlerin immer noch auf Tour. Auch seine alte Seilschaft mit früheren deutschen Top-Managern, die „Similauner“, gibt es noch. Mit dem Klettern hat er allerdings abgeschlossen, nicht nur wegen der Bilder vom Stau am Everest, für dessen Besteigung Unsummen gezahlt werden.
„Klettern ist heute ein Sport, der in klimatisierten Räumen stattfindet, an 15 Meter hohen Plastikwänden“, klagt Messner auf der Bank vor seinem Schloss. „In jedem größeren Dorf gibt es eine Kletterhalle. Das ist eine völlig andere Welt. Das hat mit Bergsteigen null zu tun. Ich hatte Glück damals: Meine Art Bergsteigen hätte heute keine Bedeutung mehr.“
Der Tod als Lebensthema
Und dann kommt er wieder auf das Thema zu sprechen, das ihn jetzt schon seit mehr als einem halben Jahrhundert beschäftigt, seit dem Drama mit seinem Bruder am Nanga Parbat. „Das große Bergsteigen ist im Grund nur dort möglich, wo es Todesgefahr gibt. Der klassische Bergsteiger geht dorthin, wo alle anderen nicht sind. Es gibt Leute, die beschreiben den Absturz als den schönsten Tod.“
Und danach? „Für mich gibt es kein Leben nach dem Tod“, sagt Messner. „Wir verschwinden spätestens dann, wenn niemand mehr an einen denkt. Dann ist nichts mehr da.“ Bei den italienischen Behörden hat er schon angemeldet, wo später seine Asche liegen soll: auf Schloss Juval, in einem buddhistischen Grabmal aus Stein. Gleich neben seiner Bank.
© dpa-infocom, dpa:240917-930-234587/1
Zu den Kommentaren