Mediziner schlagen Alarm. Nicht nur saisonal wird in Deutschland zu wenig Blut gespendet. Vor allem kommen zu wenig junge Spender nach. So seien mittelfristig medizinische Standards nicht mehr zu halten.
Transfusionsmediziner sehen angesichts rückläufiger Blutspenden die Versorgung mit Blutprodukten in Deutschland mittelfristig gefährdet. «Es droht ein eklatanter Mangel in den Blutbanken», sagte der Direktor des Instituts für Klinische Hämostaseologie und Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum des Saarlandes, Hermann Eichler, in Homburg der Deutschen Presse-Agentur. Grund sei der demografische Wandel: «Die Generation der Baby-Boomer kommt jetzt ins Rentenalter und fällt allmählich aus dem Spenderpool heraus.» Ausreichend junge Spender, die das ausgleichen könnten, kämen aber nicht nach, sagte Eichler.
«Die Blutversorgungslage ist prekär. Nicht nur in der Urlaubszeit, nicht nur wegen Corona, sondern grundsätzlich prekär», sagte der Professor. Wenn man nicht gegensteuere, könnte es sein, dass künftig medizinische Standards nicht mehr zu halten seien. «Das Blut haben wir dann einfach nicht mehr.»
Wenig Blutspenden, leere Blutbanken: Das sind auch Themen auf der 55. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI), die vom 21. bis 23. September in Mannheim zusammenkommt. Die Fachgesellschaft ruft Bürger, die infrage kommen, dringend zu Blutspenden auf. In Deutschland werden nach Unfällen, bei Operationen, auf Intensivstationen und in der Krebstherapie jeden Tag rund 15.000 Blutspenden benötigt.
Blutbedarf zuletzt wieder gestiegen
Der tägliche Bedarf könne schwanken, wie sich in der Corona-Pandemie gezeigt habe, sagte DGTI-Altpräsident Eichler. So sei der Verbrauch am Anfang der Pandemie um rund 30 Prozent gesunken, weil planbare Operationen verschoben wurden. Nach dem Wegfall der Corona-Beschränkungen wurden Eingriffe nachgeholt und der Blutbedarf ist wieder gestiegen. Da aber viele Menschen im Sommer unterwegs und auf Reisen seien, sei die Zahl der Blutspenden gesunken.
Solche saisonale Schwankungen habe es auch früher schon gegeben. «Aber dass wir diese demografische Überlagerung haben, dass man das mit Aufrufen einfach nicht mehr hinkriegt, das ist neu», sagte der Experte. Ein Gegensteuern sei mit kurzfristigen Maßnahmen nicht mehr möglich. Also nicht nur ein Spendenaufruf, zu dem 100 Leute kämen, die dann danach wieder weg seien. «Wir müssen dafür sorgen, dass der Anteil der Menschen, die regelmäßig spenden, steigt.»
Wie die Lage aktuell in den Bundesländern aussehe, sei schwer zu sagen. «Es gibt keinen bundesweiten Pegel, den man abrufen kann», sagte der Mediziner. Es sei regional unterschiedlich. Das Saarland beispielsweise sei «ein Blutmangelgebiet: Seit Jahren schaffen wir es nicht, für das Bundesland den regionalen Bedarf durch Spenden zu decken». Auch während Corona konnte die Eigenversorgung nicht geschafft werden. Unterstützung kam aus Rheinland-Pfalz.
Wer spendet eigentlich?
Nach einer Untersuchung im Saarland mit laut Eichler bundesweiter Aussagekraft sei ein Viertel der Spender - knapp ein Prozent der spendenfähigen Bevölkerung - für fast die Hälfte des insgesamt gespendeten Bluts verantwortlich. «Und dieses eine Prozent der spendenfähigen Bevölkerung zwischen 18 und 65 Jahren ist im höheren Lebensalter, zwischen 45 und 65 Jahren. Und droht jetzt aufgrund der Demografie nach und nach rauszufallen.»
Die DGTI mit Vereinssitz in Offenbach am Main und Sitz der Geschäftsstelle in Köln ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft im deutschsprachigen Raum, in der alle Aspekte rund um die Behandlung von Patienten mit Blut, Zellen und Geweben bearbeitet werden.
© dpa-infocom, dpa:220913-99-739260/3
Artikel kommentieren