New York/Ingolstadt
Pendeln in Zeiten des Corona-Virus

Die Ingolstädterin Elisa Sovocool lebt abwechselnd im US-Bundesstaat New York und in Bayern

10.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:34 Uhr
Die Syracuse University - hier das Crouse College - wurde 1870 gegründet. −Foto: Wikipedia

Syracuse/Ingolstadt - New York ist die Metropole schlechthin. Schmelztigel der Nationen und Kulturen, Welthauptstadt. Und der gleichnamige US-Bundesstaat im Nordosten der Vereinigten Staaten steht derzeit ganz besonders im Fokus der Weltöffentlichkeit. Über 160.000 Menschen haben sich dort inzwischen mit dem Coronavirus infiziert, über 7000 sind daran gestorben. Eine gebürtige Ingolstädterin kehrt am Samstag nach einem achtwöchigen Aufenthalt in Upstate New York, wie das Gebiet nördlich des Stadtgebiets von New York City genannt wird, zurück nach Deutschland.

Elisa Sovocool, 24, ist im Klinikum in Ingolstadt zur Welt gekommen und hat am Christoph-Scheiner-Gymnasium ihr Abitur abgelegt. Mit ihrem Mann Zach („Zäck“ ausgesprochen, 23) lebt sie in Syracuse. Fünf Autostunden von New York City entfernt, zwei Stunden von der kanadischen Grenze und mit seinen knapp 150.000 Einwohnern in etwa vergleichbar mit Ingolstadt.

„Bis auf Weiteres geschlossen“ oder „Take-out only“ steht auf den Schildern, die man in der Industrie- und Handelsstadt, die ob ihrer einstigen gewerblichen Salzgewinnung den Spitznamen „Salt City“ trägt, beim Betreten von Supermärkten oder Restaurants an jeder Tür vorfindet – vorausgestzt, die Läden sind noch geöffnet.

Keine Feierlichkeiten an der Uni

Zum 150. Jahrestag der renommierten Syracuse University – bekannteste Absolventen sind der 2013 verstorbene Musiker Lou Reed („Walk On The Wild Side“), Sängerin und Model Grace Jones („Slave To The Rhythm“) und US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden – fand kein riesiger Festakt statt, so wie es ursprünglich geplant war. Nur wenige Menschen verschlägt es derzeit auf den sonst so belebten Campus. Hier und da sieht man einen Polizisten oder Austauschstudenten auf den verwaisten Straßen des University Hills, wo sich im Normalfall rund 23.000 Studenten tummeln. In der vergangenen Woche hat die Privatuni (die Studiengebühren liegen pro Semester bei 35.000 US-Dollar ohne Wohnen und Lebensmittel) alle Studenten gebeten, den Campus so schnell wie möglich zu verlassen und aus ihren Unterkünften auszuziehen. Ausnahme: Innerhalb der ersten vier Semester müssen alle Studenten in Wohnheimen der Uni leben, sofern sie nicht aus Syracuse stammen und zu Hause leben können.

Für internationale Studenten, die sich aufgrund der aktuellen Lage nicht einfach in ein Flugzeug setzen und in ihre Heimat fliegen können, gibt es Notunterkünfte. Aus diesem Grund sind die Studentenwohnheime wie leergefegt. Kent Syverud, Präsident der Universität, hat sich mehrmals an die Studenten gewandt und ihnen mitgeteilt, dass in diesem Semester keine Präsenzveranstaltungen mehr stattfinden werden. Auch die Abschlussfeier für Absolventen im Mai, die in den Vereinigten Staaten oft sehr groß gefeiert wird, wurde für dieses Jahr gestrichen.

Das Ausbleiben der Studenten bedeutet für die Stadt auch im Normalzustand schon wirtschaftliche Einbußen, sind sie es doch, die Bars, Restaurants und das riesige Shoppingcenter „Destiny USA“ beleben. Doch vom Normalzustand ist man in Syracuse in diesen Tagen weit entfernt. Supermärkte, die in der Regel sieben Tage die Woche und rund um die Uhr geöffnet haben, reduzierten ihre Öffnungszeiten. Sie brauchen Zeit, um die Verkaufsfläche zu reinigen und die leeren Regale wieder aufzufüllen. Wenn sie morgens ihre Pforten öffnen, ist die erste Stunde meist für Senioren, Schwangere oder andere besonders vom Virus gefährdete Personen reserviert. Der Hype um Toilettenpapier, der auch hier stattgefunden hat, ist inzwischen abgeflacht – was auch daran liegt, dass die Menschen es Leid sind, mehrere Läden nacheinander ohne Erfolg abzuklappern. Die Fleischtheken waren bis vor einer Woche komplett leer. Bedürftige mit sogenannten Foodstamps (Essensmarken) können nur bestimmte Produkte kaufen. Der Rest der Bevölkerung wird gebeten, so gut es geht auf den Kauf dieser Produkte in den Supermärkten zu verzichten.

Viele Bewohner in Syracuse fürchten um ihre Jobs, sie warten auf klare Ansagen ihrer Arbeitgeber. Die Regierung ihrerseits hat rasch gehandelt. Beschäftigte, die in den vergangenen beiden Jahren im Land ihre Steuererklärung gemacht haben, erhielten eine „Stimulus Check“, eine Soforthilfe in Höhe von 1200 US-Dollar. Die Beantragung von Arbeitslosengeld wurde unbürokratisch geregelt. „Der Vermieter meines Mannes hat eine Nachricht an alle Mieter verschickt, dass er die Miete für April und Mai um je 100 US-Dollar kürzen wird“, sagt Elisa Sovocool. Zach kümmert sich im „Department of Public Safety“ um die Sicherheit einiger Studentenwohnheime am Uni-Campus. Er hat 20 Leute unter sich und muss von seinen Angestellten täglich mit einem Lasergerät Fieber messen. Wenn die Temperatur erhöht ist, muss zusätzlich im Mund gemessen werden. „Darüber bin ich nicht so begeistert“, sagt Elisa Sovocool. Seit ein paar Tagen trägt ihr Mann deshalb beim Fiebermessen eine von ihr genähte Maske.

Wie bei uns, sind auch in den USA die Benzinpreise in den Keller gerauscht, was an der niedrigen Nachfrage liegt. Ein Tankstellenbetreiber versucht, sein Geschäft mit einem an der Straße aufgestellten Schild anzukurbeln. Darauf steht: „Eine Rolle Klopapier mit jedem Benzinkauf“. Zahlreiche Restaurants und lebensnotwendige Einrichtungen haben es etwas leichter. Ein Drive-in-Fenster findet man nicht nur bei Schnellrestaurants, sondern auch bei Banken und Apotheken. Auch die Corona-Testatstion kann bequem vom eigenen Auto aus erreicht werden.

In New York, mit über 19 Millionen Einwohnern nach Kalifornien und Texas der drittbevölkerungsreichste Bundesstaat der USA, gibt es auch Zeichen der Zuversicht. Die Menschen sind herzlich und hilfsbereit. Auf dem Asphalt hat jemand mit Straßenkreide „We‘re all in this together“ ("Wir sitzen alle im selben Boot") geschrieben. Die Leute hängen Plakate mit aufmunternden Worten oder von Kindern gemalten Regenbögen in ihre Fenster.

Vier Polizeistreifen binnen zehn Minuten

„Es macht für uns mittlerweile keinen Sinn mehr, die Pressekonferenzen mit Donald Trump anzuschauen“, sagt Sovocool, „weil hier jeder Bundesstaat für sich entscheidet“. Stattdessen verfolge man die Ausführungen der lokalen Sprecher wie NY Governor Andrew Cuomo und Ryan McMahon von Onondaga County. Sie hat sich an die Ausgangsbeschränkung gewöhnt, war vor eineinhalb Wochen zuletzt beim Einkaufen. Die Polizei ist sehr präsent in Syracuse, während der etwa zehn Minuten langen Strecke zur Uni begegneten ihr kürzlich vier Streifenfahrzeuge. Um dem Koller zu entkommen, geht die gebürtige Ingolstädterin spazieren. „Jeder sagt ‚hallo‘ und winkt, wechselt dann aber die Straßenseite“, sagt sie. Dass das Coronavirus auch in Syracuse näher kommt, hat sie registriert. „Mitarbeiter eines Supermarkts, in dem wir regelmäßig einkaufen, sind infiziert. Angestellte eines Krankenhauses ebenfalls.“

In den vergangenen Wochen galt es für die 24-Jährige, gesund zu bleiben – ihre Krankenversicherung war ausgelaufen. Der Versuch, diese zu verlängern, wurde vom ADAC abgeschmettert. Hätte sie medizinische Hilfe in Anspruch nehmen müssen, wäre es teuer geworden. Für eine Fahrt im Krankenwagen hat sie in Syracuse einmal 1500 US-Dollar berappen müssen, der fünfstündige Aufenthalt in einer Klinik schlug mit zusätzlichen 800 US-Dollar zu Buche – obwohl sie dort nur im Bett lag. Viele Amerikaner haben keine Krankenversicherung. „Das ist der Grund, warum die meisten Menschen in den Staaten nur zum Arzt gehen, wenn es absolut nötig ist.“ Denn selbst, wenn man eine Krankenversicherung hat, ist immer auch eine Selbstbeteiligung fällig. Nicht die besten Voraussetzungen in Corona-Zeiten.

"Mir entzieht es die Energie"

Die quirlige 24-Jährige leidet unter der Situation. „Mir entzieht es die Energie, wenn ich keine sozialen Kontakte habe.“ In ihrer letzten Woche in den Staaten hat sie an einem Home-Workout bei Youtube teilgenommen und in einem neu eröffneten kleinen Supermarkt um die Ecke die letzte Packung Biohackfleisch ergattert – das einzige Hackfleisch, das ob seines höheren Preises noch in den Regalen zu finden war.

Normalerweise ist Elisa Sovocool sehr aktiv auf Instagram, füttert ihre gut 3300 Follower mit Neuigkeiten. Doch derzeit gebe es nichts zu berichten, sagt sie. Ihr letzter Beitrag datiert vom 7. März. Über Facetime hält sie Kontakt mit ihren Eltern im Ingolstädter Stadtteil Haunwöhr, zu ihren Großeltern und zu ihrer besten Freundin.

Sovocools ursprünglicher Plan sah vor, für vier Wochen in den USA zu bleiben, vom 15. Februar bis zum 14. März. Am 20. April ist Semesterstart in Ansbach, wo sie eine kleine Wohnung hat – es wird Onlinelesungen geben. Da noch Linienflüge verfügbar waren, hat für die 24-Jährige das Rückholprogramm des Auswärtigen Amtes nicht gegriffen. Also musste sie aktiv werden und einen neuen Flug buchen. Ihr Flugzeug hebt am Freitagabend in Newark (US-Bundesstaat New Jersey) ab und landet am Samstagmorgen in Frankfurt, bezahlt hat sie dafür 460 Euro. Ob sie das Guthaben ihres ursprünglichen Rückflugs gutgeschrieben bekommt, weiß sie noch nicht.

Zu Hause zunächst in Quarantäne

Daheim freut sie sich am meisten auf die Terrasse ihrer Eltern, lange Spaziergänge mit ihrer Mutter und ein Essen vom Griechen. Das wird sie sich abholen lassen müssen, und die Spaziergänge werden zunächst noch ohne sie stattfinden: Personen, die ab dem 10. April aus dem Ausland nach Deutschland einreisen, müssen zunächst für 14 Tage in häusliche Quarantäne. Dies ist auch der Grund, warum sie ihre wichtige, für den 16. April terminierte Zahn-OP, ein zweites Mal verschieben musste.

 

Im Rahmen ihres Bachelor-Studiums, das Elisa Sovocool (gebürtige Oberst) an der Hochschule der Medien in Stuttgart in den Bereichen Journalismus und Public Relations absolvierte und das sie für ein Auslandssemester an die Syracuse University führte, lernte sie ihren Ehemann Zach im Spätsommer 2017 kennen. Die beiden besuchten sich abwechselnd, sahen sich drei-, vier Mal im Jahr. Im September 2019 heiratete das Paar. Elisa Sovocool befindet sich seit Januar dieses Jahres im sogenannten Visumsprozess, da eine Heirat mit einem US-Amerikaner nicht automatisch eine Aufenthalts- bzw. Arbeitserlaubnis oder die US-Staatsbürgerschaft nach sich zieht. Dieser Prozess dauert ungefähr ein Jahr. Die 24-Jährige studiert in Ansbach Public Relations und Unternehmenskommunikation und hofft, im Sommer 2021 mit der Masterarbeit abzuschließen. Anschließend will sie endgültig in die Vereinigten Staaten umziehen.

Uwe Ziegler