Hitler-Anwesen steht zum Verkauf

12.02.2020 | Stand 23.09.2023, 10:35 Uhr
Imposante Lage, stolzer Preis und eine braune Geschichte: das Hotel "Zum Türken" auf dem Obersalzberg. Nun gibt es die Befürchtung, dass am Ende "die Falschen" hier einziehen. −Foto: Kilian Pfeiffer

Auf dem Obersalzberg, wo einst Adolf Hitler in seinem Berghof residierte, wird eine historisch schwer belastete Immobilie zum Kauf angeboten - einschließlich der alten Bunkeranlagen und mit einem perfiden Werbeslogan.

 

Diese Immobilie hätte am besten niemals auf den Markt kommen sollen: Sotheby's, ein weltweit tätiger Makler für Edel- und Spitzenimmobilien, hat derzeit eine ganz besondere Liegenschaft im Angebot: Für 3,65 Millionen Euro soll das Hotel "Zum Türken" in Berchtesgaden verkauft werden.

Doch das Anwesen, angepriesen als "denkmalgeschütztes Hotel mit Nebenhaus und Kiosk" auf einem Grundstück in "traumhafter und ruhiger Lage am Obersalzberg" ist historisch kontaminiert: Es grenzt an den früheren "Berghof", jenem sagenumwobenen Alpendomizil, in dem einst Adolf Hitler residierte. Im "Türken" waren Wachmannschaften, SS, Gestapo und Reichssicherheitsdienst untergebracht. Die Bunkeranlagen, die zu dem Anwesen gehören, sind noch immer weitgehend intakt. Näher kann man Hitlers einstigem Privatbunker in der "Alpenfestung" nicht kommen. Bis in die jüngste Vergangenheit waren Hotel und Schutzräume ein Anziehungspunkt für Ewiggestrige.

 

Hitlers Berghof wurde gesprengt, das Hotel nicht. Nazigrößen wie Herrmann Göring, Martin Bormann und Albert Speer hatten sich damals in Hitlers Nachbarschaft niedergelassen, es entstand das sogenannte Führer-Sperrgebiet. Mit SS-Kasernen, Gästehaus sowie Wohn- und Verwaltungsgebäuden für den Hofstaat galt der Obersalzberg als "Kleine Reichskanzlei", weil Hitler zeitweise von dort aus die Geschäfte des Dritten Reichs führte, selbst Staatsgäste empfing er dort. Wo die Häuser und Bunker der Naziführer standen, wuchert heute Wald, Hitlers Berghof etwa hat der Freistaat 1952 sprengen und das Areal dann verwildern lassen, über den Ruinen anderer Nazi-Bauten hat der Freistaat ein Dokumentationszentrum und ein Sterne-Hotel gebaut. Doch das Anwesen "Zum Türken" gehört zu den wenigen Liegenschaften auf dem Obersalzberg, die nicht nur vergleichsweise unbeschädigt blieben, sondern die nach dem Krieg wieder in private Hände kamen.

Bis heute üben die Ruinen von Hitlers Alpendomizil eine schauerliche Faszination auf die Menschen aus. Die Bunkeranlagen des "Türken" waren immer wieder in den Medien - weil für kleines Geld Bunkertouren angeboten wurden, die sich offenbar gerade in rechten Gesinnungskreisen großer Beliebtheit erfreuten.

 

Dass das Anwesen nun überhaupt öffentlich zum Kauf angeboten wird, ärgert Karl Freller. Er ist Vizepräsident des Bayerischen Landtages und vor allem Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, die unter anderem auch Verantwortung für die KZ-Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg trägt. Erst kürzlich, angesichts des Holocaust-Gedenktages und des bevorstehenden 75. Jahrestages des Endes der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, hatte das Bayerische Kabinett angekündigt, in den nächsten zehn Jahren 200 Millionen Euro in Erinnerungsarbeit zu investieren. Dabei gehe es gerade auch um Opfer- wie Täterorte, also "Orte, an denen sich NS-Verbrechen ereignet haben oder an denen sie geplant und vorbereitet wurden" und die zu "Forschungs- und Gedenkstätten, zu Lernorten und Zentren der zivilgesellschaftlichen Debatte" geworden seien, wie es in einem Staatskanzlei-Papier heißt. Darin als "Täterort" ausdrücklich erwähnt: "Der Obersalzberg als zweiter Regierungsort des Regimes."

In der Tatsache, dass nun ausgerechnet ein derartig prominenter Täterort offen auf dem Markt angeboten wird, könnten viele einen Skandal sehen. Gleichwohl: Das Anwesen "Zum Türken" steht zum Verkauf - weltweit im Internet abrufbar, beworben sogar mit dem geradezu perfiden Slogan: "Eine Zeitreise mit traumhafter Kulisse." Kann es sein, dass man bei Sotheby's nicht erkannt hat, wie doppeldeutig dieses Motto ist? Oder sollte sogar das Feld potenzieller Käufer bewusst um, sagen wir einmal, historisch Interessierte erweitert werden?

 

Freller jedenfalls hegt die Befürchtung, dass "die Falschen" das Anwesen kaufen und den Ort missbrauchen könnten. "Ich sehe das Risiko, dass es in falsche Hände gerät. Deshalb halte ich es für geboten, dass der Freistaat sich das Anwesen sichert", sagt Freller. "Es darf keine Wallfahrtsstätte auf dem Obersalzberg entstehen." Dieses Areal zu kaufen, sei viel wichtiger als andere Maßnahmen, spielt er auf den 30 Millionen Euro teuren und umstrittenen Erweiterungsbau des Dokumentationszentrums an. Wie der Freistaat das "Türken" nutzen könne, sei "zweitrangig", findet Freller. Wenn es jetzt die Chance zum Erwerb gebe, müsse gehandelt werden.

Der Verfassungsschutz hat bisher keine ErkenntnisseDoch selbst wenn der Freistaat wollte - er müsste sich dem Markt beugen: Denn von einem Vorkaufsrecht des Freistaats, der das Anwesen immerhin einst verkaufte, weiß man seitens der Staatsregierung in München nichts. Und auch die Kommune vor Ort hat keines: "Es gibt kein Vorkaufsrecht", teilt Bürgermeister Franz Rasp (CSU) mit. Damit hat jeder, hinreichende Solvenz vorausgesetzt, die Möglichkeit, sich an prominentester Stelle des Obersalzbergs einzukaufen und exakt denselben Blick auf das Massiv des sagenumwobenen Untersbergs zu genießen, den auch Hitler einst als traumhafte Kulisse so genoss. Auch "die Falschen" könnten nun in diesen Genuss kommen.

 

Beim Bayerischen Verfassungsschutz, der sich nach eigenem Bekunden stets bemüht, einen scharfen Blick darauf zu haben, wenn Extremisten eine Immobilie erwerben wollen, wusste man bisher nichts vom geplanten Verkauf des historisch so sehr belasteten Anwesens "Zum Türken". "Uns war bisher nicht bekannt, dass ein Verkauf stattfindet", sagte ein Sprecher. Entsprechende Fachstellen des Verfassungsschutzes gaben allerdings Entwarnung - vorerst: "Es liegen derzeit keinerlei Erkenntnisse vor, dass Rechtsextreme eine Kaufabsicht kommuniziert hätten." Das Innenministerium wiederum weist darauf hin, dass man ohnehin keine Handhabe habe, rechtlich gegen potenzielle Käufer einzuschreiten - auch nicht, wenn es sich um "Ewiggestrige" handle.
Zuständig für staatliche Liegenschaften ist in Bayern das Finanzministerium. Dort heißt es immerhin, die Verkaufsabsicht bezüglich des Hotels "Zum Türken" sei bekannt, man befinde sich in intensivem Kontakt mit Gemeinde und Landkreis. Und: "Ein Verkauf der historisch belasteten Liegenschaft sollte nur an verantwortliche Hände erfolgen." Finanzminister Albert Füracker (CSU) persönlich versichert: "Der Freistaat, die Gemeinde und der Landkreis Berchtesgadener Land sind sich der historischen Belastung der Immobilie bewusst und setzen sich für eine verantwortliche Lösung ein." Allerdings sei eine Kontaktaufnahme mit dem Eigentümer bislang nicht erfolgreich gewesen, jetzt prüfe man das weitere Vorgehen, so sein Haus.

Bisher hat sich der Freistaat durchaus erfolgreich bemüht, historisch kontaminierte Immobilien gar nicht erst auf den Markt kommen zu lassen - damit aus alten Nazi-Immobilien keine Wallfahrtsstätten werden: So residiert beispielsweise in Hitlers früherer Stadtwohnung (in der sich Hitlers Nichte Geli Raubal das Leben nahm) am Münchner Prinzregentenplatz heute ein Polizeirevier. In der Villa des früheren Reichspressechefs Max Amann (dem Hitler große Teile von "Mein Kampf" diktiert hatte) in St. Quirin am Tegernsee ist heute das Bildungswerk der Bayerischen Staatsregierung untergebracht. Und das ehemalige Wohnhaus von Reichsjugendführer Baldur von Schirach in Kochel am Kochelsee fand seine Bestimmung als Tagungsstätte der SPD-nahen Georg-von-Vollmar-Akademie.

Der Preis, zu dem das geschichtsträchtige, allerdings deutlich in die Jahre gekommene Haus "Zum Türken" mit seinen 23 Zimmern und 6728 Quadratmetern Grund nun aufgerufen wird, ist mit 3,65 Millionen Euro ziemlich stolz. Dennoch: "Es gibt zahlreiche Interessenten", versichert man bei Sotheby's. Dabei wird im Exposé noch nicht einmal erwähnt, dass zum Anwesen auch die sich im Untergrund befindliche Bunkeranlage als Teil des unterirdischen Führerhauptquartiers gehört. Derlei Hinweise finden sich eh zuhauf in den einschlägigen Seiten im Internet. Der ehemalige mehrstöckige Bunker, im zentralen Bereich rund um Hitlers Berghof gelegen, hätte im Notfall allen dort Schutz bieten sollen. "Von hier aus sollten das Reich regiert und der Krieg geführt werden können, falls die Gebäude an der Oberfläche zerstört würden oder der Obersalzberg vorübergehend in Feindeshand fallen sollte", heißt es auf der Homepage der Dokumentation Obersalzberg, die vom Institut für Zeitgeschichte betrieben wird. Der dem Hotel "Zum Türken" angeschlossene Bunker wird ausschließlich privat betrieben und kommt - anders als der Bunker der Dokumentation Obersalzberg - ohne Infotafeln und einordnende Hintergründe zum Nationalsozialismus daher.

Ewiggestrige schauen offenbar häufig vorbeiWer in diese alten Bunkeranlagen einsteigt, begibt sich auf eine regelrechte Zeitreise. Kritik daran wurde schon mehrfach laut - unter anderem vom Institut für Zeitgeschichte. Ein Problem, das ein ehemaliger Mitarbeiter der Dokumentation Obersalzberg bestätigt: "Immer wieder tummeln sich im Bunker und rund um den Berghof Besucher rechter Gesinnung." Mehrfach geisterten Gerüchte durch den kleinen Ort, eine rechte Gruppierung bekunde Interesse am Objekt. Das darunter liegende Bunkersystem ist indes weit verzweigt. Die feuchten Wände zieren immer wieder rechte Sprüche und Schmierereien - und mussten in der Vergangenheit mehrfach neu gestrichen werden. Der Bunker stand bis zuletzt von April bis Oktober der Öffentlichkeit offen - gegen Eintrittsgebühr.

Die Grundsteinlegung des Haupthauses des heutigen Anwesens reicht zurück ins Jahr 1911. 1933 erfolgte, wie bei so vielen Liegenschaften am Obersalzberg, die Enteignung durch die Nazis. Und wie alle Liegenschaften dort erlitt auch das Anwesen "Zum Türken" in den letzten Kriegswochen Schäden durch die alliierten Bombenangriffe. Nach "einem unsäglichen Hickhack mit den Behörden" konnte Therese Partner im Dezember 1949 das Anwesen für 69000 Deutsche Mark vom Land Bayern zurückkaufen. Der Anfang der neuerlichen Hotelgeschichte begann dann "beschwerlich mit vier Fremdenzimmern", wie es auf der Hotel-Webseite heißt. Seit 2013 führt Monika Scharfenberg-Betzien, die Enkelin von Therese Partner, den Betrieb, mittlerweile in vierter Generation.

"Der Betrieb ist im Moment geschlossen", heißt es allerdings heute nur. Weitere Auskünfte zum Verkauf möchte sie nicht geben. Von Hotel-Luxus ist am Obersalzberg keine Spur - weil ein Restaurant fehlt, wurde es nur als "Hotel garni" betrieben. Die Hotel-Webseite wirbt mit jahrzehntealten, museumsgleichen Bildern. Es gibt Gemeinschaftsbäder auf der Etage und eine Hotelbar, in der sich Gäste selbst bedienen müssen. "Kein Internetzugang möglich", heißt es auf der Hotel-Webseite. Einzelzimmer mit Dusche gibt es ab 95 Euro pro Nacht. Florian Beierl, ausgewiesener Obersalzberg-Experte und Verfasser mehrerer Bücher zum Thema, sagt: "Das Haus hat einen großen Renovierungsstau. Wer das übernimmt, muss zusätzliche Millionen in die Hand nehmen, um es rentabel zu machen." Die Heizung stammt aus dem Jahr 1938. Der Wunsch der Noch-Eigentümerin: Einen Käufer zu finden, der das Hotel als solches weiter betreibt. Man darf gespannt sein, ob es am Ende "die Falschen" sind.

DK

Kilian Pfeiffer, Alexander Kain