Die Tage der Augsburger "Task Force"

Keine Krisenstimmung in der Stadt

06.12.2018 | Stand 02.12.2020, 15:05 Uhr
Zwischen Idyll und Hiobsbotschaft: Die Augsburger Wirtschaft sorgte in diesem Jahr für viele Schlagzeilen. Mitarbeiter von Fujitsu demonstrierten vergeblich gegen die beschlossene Werksschließung (oben links), beim Lampenhersteller Ledvance türmt sich vor den Hallen bereits der Schrott zu Bergen (oben rechts). Währenddessen freuen sich die Menschen über den Christkindlesmarkt auf dem Rathausplatz. Sorgen macht man sich um die Zukunft des Roboterherstellers Kuka (unten links). Und das Weltbild-Logistikzentrum (unten rechts) ist längst leer. −Foto: Mirgeler/Puchner/dpa/Auer

Für viele Arbeitnehmer in der Fuggerstadt ist 2018 das Jahr des Schreckens. Osram-Nachfolger Ledvance und der Computerhersteller Fujitsu schließen ihre Werke. Doch in der Stadt geht man erstaunlich souverän mit den Krisenfällen um. Man hat hier schon Schlimmeres erlebt. Und der Wirtschaft geht es heute besser denn je.

In diesem Jahr kommt es für die Wirtschaft in Augsburg knüppeldick: Die Stadt und ihre Bewohner müssen eine Hiobsbotschaft nach der anderen verkraften. Der Leuchtenhersteller Ledvance schließt, ebenso zum September 2020 das Computerwerk von Fujitsu mit seinen 1800 Mitarbeitern. Der Roboterhersteller Kuka ist von chinesischen Investoren übernommen worden, deren Pläne schwer einzuschätzen sind, am gestrigen Donnerstag hat der Kuka-Vorstandsvorsitzende seinen Posten geräumt. Und doch kommt in der Stadt keine Krisenstimmung auf - denn die wirtschaftlichen Strukturen sind besser denn je.

Die Berliner Allee in Augsburg am Mittwoch: Zwischen der Straße und dem Lech erstrecken sich über Hunderte von Metern wie die Perlen an der Schnur die Fabrikgebäude des Glühlampenherstellers Ledvance, vormals Osram. Was man vom Gehweg aus sieht, wirkt gespenstisch: Hinter allen Fenstern brennt Licht, aber die Arbeitsplätze sind verwaist. Es sieht aus, als würde die Belegschaft gleich wiederkommen. Aber da kommt keiner mehr zurück. Ledvance hat das Augsburger Werk Mitte Oktober stillgelegt. In einem einzigen Büro stehen noch ein paar Mitarbeiter herum, die sich wohl um die Abwicklung kümmern müssen, sonst scheint nur noch das Pfortenhäuschen besetzt. Direkt dahinter, vor einer zentralen Produktionshalle, türmt sich bereits der Schrott zu riesigen Bergen. 600 Menschen haben hier in den vergangenen Wochen ihre Jobs verloren. Den 100 Mitarbeitern der Logistikabteilung bleibt noch eine Galgenfrist bis Ende nächsten Jahres.

Auf dem Weg Richtung Altstadt, zum Termin bei der Industrie- und Handelskammer und im Rathaus, hat man das ehemalige Textilviertel zu durchqueren. Textilviertel? Genau, Augsburg war jahrhundertelang ein Zentrum der deutschen Textilindustrie. Davon ist auf rund 13 Hektar kaum etwas geblieben - bis auf riesige, leer stehende Backsteingebäude, etwa das Areal der Augsburger Kammgarn-Spinnerei, die 2002 in Konkurs ging. Eine Umnutzung ist offenbar nicht ganz einfach, dafür sind die Flächen zu groß. In einem Komplex befindet sich das Deutsche Textil- und Industriemuseum. Davor grast künstlerisch wertvoll eine Herde von lebensgroßen Kunststoff-Schafen und täuscht Idylle vor.

Es ist also gerade 30 Jahre her, dass die Lechstadt vom Niedergang der deutschen Textilindustrie knallhart getroffen wurde. Von vormals 20000 Arbeitsplätzen in dieser Branche sind heute in der Stadt bloß noch 900 übrig, von 60 Textilbetrieben blieb noch ein Dutzend. Die Wunden sind noch frisch - und da stellt sich die Frage, ob die schlechten Nachrichten von Ledvance, Fujitsu & Co. vielleicht erneut ein Menetekel sein könnten.

In der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben gleich beim Bahnhof blättert Thomas Schörg, der Regionalgeschäftsführer für den "Wirtschaftsraum Augsburg" (Stadt plus Landkreis Augsburg und Aichach-Friedberg) in der brandaktuellen Konjunkturumfrage für den Herbst 2018. 63 Prozent der Unternehmer sehen ihre Geschäftslage "gut", 34 Prozent "befriedigend" - und gerade mal vier Prozent werten sie als schlecht. Die Zahlen sind sogar ein klein wenig besser als noch im Frühjahr. Von Tristesse keine Spur. Die Wirtschaft brummt - und Schörg hat keinerlei Zweifel, dass der Arbeitsmarkt die entlassenen Mitarbeiter problemlos aufnehmen wird. "Eigentlich wollen alle einstellen. Dem Standort geht es heute vielleicht so gut, wie es ihm noch nie ging."

In Augsburg habe man nach den schmerzhaften Erfahrungen mit der Textilkrise die Weichen konsequenter als anderswo in Richtung Zukunftsfähigkeit gestellt, sagt Schörg. Als Beispiel nennt er da gleich mal seine eigene IHK. Wie kaum eine andere Kammer in Bayern setzt die IHK Schwaben auf Fort- und Weiterbildung und ein professionelles Prüfungswesen. Ein großer Gebäudekomplex ist allein dafür frei geräumt. Der Regionalgeschäftsführer erzählt vom ungewöhnlich hohen Anteil des produzierenden Gewerbes im Raum Augsburg (etwa 23 Prozent), berichtet von der bewussten Entscheidung, weiter auf Produktion zu setzen und nicht so sehr auf Dienstleistung. Er schildert die enorm breit gefächerte Wirtschaftsstruktur aus kleinen, mittleren und großen Unternehmen "entlang der gesamten Wertschöpfungskette". Schörg: "Nur als Beispiel: Wir produzieren in Meitingen Stahl und haben im Industriepark Gersthofen eine Chemie-Grundproduktion." Von gefährlichen Monostrukturen wie einst zu Textilzeiten ist Augsburg heute meilenweit entfernt. Der Besucher aus der Automobilstadt Ingolstadt kann da durchaus ins Grübeln kommen. Erst recht, wenn dann die Rede auf die am 1. Januar anstehende Umwandlung der Augsburger Klinik eine eine Universitätsklinik mit den Forschungsschwerpunkten Medizininformatik und Umweltmedizin kommt. 6500 neue Arbeitsplätze soll die Uniklinik bringen - und innovative Gründer in die Stadt locken. Gerade im Moment entsteht auf 70 Hektar der Innovationspark Augsburg. Und dann gibt es da auch noch seit acht Jahren den Höhenflug des FC Augsburg in der Fußball-Bundesliga. Das ist das Bild, das dem IHK-Mann fast am besten gefällt: Die traditionsreiche Fuggerstadt gehöre in Deutschland auch im übertragenen Sinn, wirtschaftlich betrachtet, auf einen Stammplatz in der Bundesliga. Aber Schörg sagt auch: "Wir werden uns immer anpassen und verändern müssen."

Ein kleines Stück weiter: Idylle pur. Der Christkindlesmarkt, einer der ältesten Deutschlands, hat seine Budenstraßen auf dem Rathausplatz aufgebaut, eine riesige Weihnachtspyramide dreht sich. Die stellvertrende Bürgermeisterin Eva Weber (CSU), die Wirtschafts- und Finanzreferentin der Stadt, könnte von ihrem Bürofenster im dritten Stock des Rathauses hinabblicken auf das bunte Gewusel, aber für Beschaulichkeit hat Weber keine Zeit.

Muss man sich um Augsburg Sorgen machen? "Der Wirtschaftsstandort steht gut da", sagt Weber. Und die aktuellen Firmenschließungen? "Das sind Einzelereignisse, die jetzt leider auf einen Schlag kommen. Aber das sind keine Entwicklungen, die mit dem Standort oder mit einer ganzen Branche zu tun haben." Es sei bei den Entscheidungen von Ledvance und Fujitsu ausdrücklich nicht um den Standort Augsburg gegangen. "Das ist uns bei Fujitsu von den Verantwortlichen auch aus Japan nochmal bestätigt worden."

Auch die Wirtschaftsreferentin Weber verweist auf die "sehr breit aufgestellte Wirtschaftsstruktur" in ihrer Stadt, auf die vollen Auftragsbücher bei praktisch allen Unternehmen, sodass selbst die notorisch zurückhaltenden Schwaben sich die Einschätzung "gut" abringen ließen. Aber: "Die Wirtschaft selbst dreht sich viel schneller, als sie das noch vor zehn, 15 Jahren getan hat. Die Unternehmen müssen heute viel schneller reagieren, wenn sich der Markt verändert." Das bedeute dann auch, dass die kommunale Wirtschaftsförderung "nie einen Haken dahinter machen kann nach dem Motto ,So, das war's jetzt. Jetzt können wir die Hände in den Schoß legen'".

Davon kann auch keine Rede sein in Augsburg: Wie schon IHK-Geschäftsführer Schörg verweist Bürgermeisterin Weber auf den Augsburger Innovationspark: "Die ersten verfügbaren Flächen sind komplett verkauft oder optioniert. Das sind alles Zeichen dafür, dass wir am Puls der Zeit sind und erkannt haben, was die Unternehmen heute brauchen."

Pläne für Innovationsparks gibt es auch andernorts - in Ingolstadt zum Beispiel. Aber eine Sache gibt es, die die Fuggerstadt Augsburg anscheinend exklusiv hat und seit 15 Jahren mit großem Erfolg betreibt: die "Augsburger Allianz für Arbeit". Diese "Allianz" besteht aus Vertretern von Stadt, IHK, Handwerkskammer, Agentur für Arbeit und Gewerkschaft. Es ist ein schlagkräftiges Bündnis der kurzen Wege und raschen Entscheidungen, das sich mindestens zweimal im Jahr trifft, um wichtige Weichen für den Arbeitsmarkt zu stellen. In Krisenzeiten aber, wenn eine Firma Massenentlassungen ankündigt, trifft die Allianz als "Task Force" zusammen, um den Betroffenen rasch helfen zu können. Weber ist unverkennbar stolz auf diese Konstruktion. "Es hat natürlich jeder seine Rolle. Aber es gibt ein abgestimmtes Vorgehen und eine offene Kommunikation, die auch für die Beschäftigten die richtige ist. Es ist wichtig, dass sich die Mitarbeiter nicht allein gelassen fühlen in solchen emotional sehr herausfordernden Situationen."

Mit im Boot sind dann immer auch die Gewerkschaften, die in Augsburg in letzter Zeit weiß Gott viel zu tun hatten. Die Zeitungen sind voll mit Fotos von demonstrierenden IG-Metall-Mitgliedern vor verschiedenen Werkstoren. Die Augsburger Regionsgeschäftsführerin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Silke Klos-Pöllinger, sagt auf Anfrage: "Es ist natürlich immer schlimm, wenn in Unternehmen Stellen abgebaut werden." Aber gerade für die hochqualifizierten Beschäftigten etwa von Fujitsu sehe es nicht schlecht aus. "Was uns Sorgen macht, sind die ungelernten Kräfte, die bei ihren bisherigen Firmen Vorteile hatten." Es seien im Raum Augsburg in den vergangenen Jahren viele Tausend Arbeitsplätze entstanden, aber man müsse schon hinsehen, in welchen Branchen: etwa im Logistikbereich. Da gebe es ein anderes Einkommensniveau als bei Betrieben, die nach IG-Metall-Tarif bezahlten. Auch die Gewerkschafterin ist voll des Lobes für die "Allianz für Arbeit" - und für die dynamische Wirtschaftsentwicklung in Augsburg. Aber: "Man muss noch mehr auf die Rahmenbedingungen schauen, was Verkehr und Wohnen angeht."

Es wird in Augsburg mit seinen vielen Firmen wohl weiter Höhen und Tiefen geben. Und so endet die Geschichte mit einem kurzen Eindruck von der Heimfahrt, vorbei an florierenden internationalen Unternehmen wie MAN und Renk. Gedankenschwer folgt man den Wegweisern gen Norden - da taucht plötzlich im Stadtteil Lechhausen auf der linken Seite ein riesiges, dunkles Gebäude auf. Hinter großen Glasscheiben: endlose, leere Regalreihen. "Verlagsgruppe Weltbild Logistikzentrum" steht groß auf der Fassade. Der Komplex, einstmals Arbeitsplatz für 1000 Menschen, steht seit Frühjahr 2017 leer. Die Wirtschaft, Eva Weber hat es gesagt, dreht sich schnell in Augsburg und anderswo - so schnell wie der Globus.