Pütz und Sauer
Der Traum vom Kraftwerk im Container

Hans Pütz und Hanns-Jürgen Sauer wollen's nochmal wissen

19.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:32 Uhr
Wollen's nochmal wissen: Hans Pütz (links) und Hanns-Jürgen Sauer (rechts). −Foto: Auer

Hans Pütz aus Ingolstadt und Hanns-Jürgen Sauer aus Pfaffenhofen waren mal große Tiere bei MediaMarktSaturn beziehungsweise Audi. Jetzt im Ruhestand wollen sie noch einmal zeigen, was sie können. Sie entwickeln den Prototypen eines ökologischen Kleinkraftwerks. Seine Bühne ab April: die Landesgartenschau in Ingolstadt.

Ingolstadt (DK) Es gibt ein ganzes Hollywood-Filmgenre, in dem es um gesetztere Herren geht, die einfach nicht für den Ruhestand gemacht sind. Auf ihre alten Tage fliegen die dann zum Beispiel ins Weltall oder sie überfallen eine Bank. Oder sie reiten im Wilden Westen noch einmal ins Abenteuer. Diese Typen gibt es auch im richtigen Leben, und in unserem Fall heißen sie Hans Pütz (75) und Hanns-Jürgen Sauer (70). Die beiden waren mal zwei sehr wichtige Männer bei MediaMarktSaturn beziehungsweise bei Audi. Lange her. Aber von Technik und Marketing verstehen sie immer noch mehr als viele andere. Und im Alter ist wohl bei beiden das Umweltbewusstsein immer größer geworden. Deswegen haben sie sich für ein ehrgeiziges Projekt zusammengetan: Sie haben eine Firma namens Modulblue gegründet, die kleine, kompakte Anlagen zur 100-prozentig ökologischen und autonomen Stromversorgung auf dem Markt etablieren will. Nicht nur in Deutschland, sondern genauso auch in Entwicklungsländern.

Die beiden Spitzen-Manager sind schon lange befreundet. Die Männer hatte es schon vor Jahrzehnten aus dem Rheinland nach Ingolstadt verschlagen, Pütz aus Bonn zu Media-Saturn, Sauer aus Köln zu Audi. Eines Tages standen ihre Gattinnen hintereinander an der Supermarktkasse, die eine hörte den typischen rheinischen Tonfall der anderen: "Sie sind aber auch nicht von hier?" Die Frauen wurden Freundinnen, ihre Männer freundeten sich auch an. Pütz, der 2005 in Rente ging, wohnt immer noch in Ingolstadt, Sauer, der Audi 2012 verließ, lebt in Pfaffenhofen. Für Ruhestand im klassischen Sinn haben die beiden keinen Sinn: Pütz engagiert sich seit Jahren in der Hospizarbeit und als Mediator, Sauer ist unter anderem Vizepräsident der Schweizerisch-Bayerischen Wirtschafts- und Kulturförderung.

Jetzt lautet ihr Plan, Ökonomie, Ökologie und soziales Handeln unter einen Hut zu bringen, darunter machen sie es nicht. Pütz ist der Geschäftsführer von Modulblue, Sauer fungiert als Anteilseigner und Projektmanager.

Ihre gemeinsame Idee ist, drei Formen von Öko-Strom-Erzeugung zu einer kleinen, mobilen Anlage zu kombinieren: Biogas, Solarenergie und Windkraft, alles im Mini-Format, vernetzt und mit einem soliden Stromspeicher gekoppelt. So soll es - völlig autark - an jedem beliebigen Ort der Welt zu jeder Tages- und Nachtzeit Strom geben. Untergebracht wird all das in zwei Standard-Containern, wie man sie aus der christlichen Seefahrt kennt, ein großer Container und ein kleiner.

Das klingt auf den ersten Moment nicht so schwierig. Aber wenn die beiden Gründer erzählen, wird schnell klar, dass all das nichts für Anfänger ist. "Alles im Paket muss schon erprobt sein", erklärt Hanns-Jürgen Sauer. Da könnten Anfänger viel Lehrgeld zahlen. Aber "alte Hasen" wie Pütz und Sauer gehen das bedächtig an. Ingenieur Sauer, der früher bei Audi Marketing-Chef und Projektmanager war, verweist auf seine einstige Aufgabe, Milliarden-Etats zu managen: "Da wird man erzogen, die Dinge sehr grundsätzlich zu betrachten und die Technikfolgen abzuschätzen." Wer zum Beispiel ein neues Auto auf den Markt bringt, muss alles so organisieren, "dass das Gesamtprojekt auf Dauer überlebensfähig bleibt."

Pütz, der gelernte Kaufmann und vormalige Geschäftsführer der Media-Saturn-Holding schildert, wie knifflig es war, die passenden Module für die Kompaktanlage zu finden. Einzeln gibt es ja schon alles zu kaufen. Aber taugen die Sachen auch etwas? Sauer sagt: "Es gibt auf diesem Gebiet sehr viel Unseriöses und vieles, das nicht zu Ende gedacht ist." Als sie sich zum Beispiel mit einer Luxemburger Firma für Kleinwindkraftanlagen befassten, stellte Kaufmann Pütz bald fest: "Da wird Geld verbrannt." Die beiden Ingolstädter hatten eigens einen Aerodynamiker eingeschaltet, der ihnen bescheinigte: "Diese Anlage funktioniert nicht, das ist physikalisch nicht möglich." Pütz und Sauer mussten dann feststellen, dass das kein Einzelfall ist: "95 Prozent der Kleinwindkraftanlagen sind unseriös", sagt Pütz. Nach langem Suchen fanden sie endlich doch eine, die ihren Erwartungen entsprach, von der Firma "Luvside" in München. Deren - geräuscharme - Modelle stehen zum Beispiel schon auf Shell-Bohrinseln in der Nordsee und haben da schon die heftigsten Stürme überstanden. Die Fotovoltaik kommt von der US-amerikanischen Firma Merlin. In den USA sind flexiblen Solarmodule zum Beispiel auf Lkw im Einsatz und versorgen Kühlaggregate mit Strom. Und die Mini-Biomasse-Anlage stammt aus Indien. Denn dort hat man schon viel Erfahrung mit dieser Technik. Die Steuerungstechnik soll aus Ingolstadt kommen.

Die Frage für die beiden Firmengründer war nun, wie sie ihr Produkt so präsentieren können, dass eine möglichst große Zahl von Menschen darauf aufmerksam werden kann. Die Antwort lautet: auf der Landesgartenschau in Ingolstadt ab kommendem April. Und damit rannten sie bei den Verantwortlichen offene Türen ein. Schon im Spätsommer, als es erstmals auf dem Gartenschaugelände einen Tag der offenen Tür gab, durften Sauer und Pütz ein kleines Modell ihrer Container-Anlage ausstellen. Das Interesse war groß, vor allem die Öko-Tüftler der ersten Stunde, die "Solar-Pioniere von einst", waren fasziniert von der Idee des Container-Kleinkraftwerks.

Von zentraler Bedeutung ist dabei die Möglichkeit, den erzeugten Strom zu speichern. Eine klassische Lithium-Ionen-Batterie wie sie etwa bei E-Autos eingesetzt wird, kommt für Hanns-Jürgen Sauer dabei nicht in Frage, und zwar aus Gründen der Nachhaltigkeit. "Es gibt bis heute kein Recycling-Konzept für Lithium", sagt er. Die Alternative? Ein "Vanadium-Redox-Flow-Speicher", der mit Vanadium-Salz funktioniert. "Das ist eine Technik, wie sie jeder Installateur beherrscht", sagt Sauer. Dass man dafür ein bisschen Platz braucht, fällt hier - im Unterschied zum Auto - nicht wirklich ins Gewicht. Partner in Sachen Speicher ist ein Start-Up aus München namens "Voltstorage", ein Unternehmen, das erst vor kurzem von der Technischen Universität München ausgegliedert wurde. Die Firma hat das Energie-Umwandlungselement "Stack", das bisher sündteuer war, weiterentwickelt, und darauf hatten die Ingolstädter Manager bloß gewartet. "Das ist unser Speicher!", sagt Sauer.

Man könnte also sagen: Es ist angerichtet. Bis zum Beginn der Landesgartenschau muss die Pilotanlage fertig sein und beweisen, dass sie funktioniert und in Serienproduktion gehen könnte. Auf 200000 Euro sind die Kosten für eine solche Anlage veranschlagt, der Löwenanteil von 120000 Euro entfällt dabei auf die Biogasanlage made in India. Die Inder verkaufen ihre Anlagen längst in alle Welt - etwa nach Brasilien, Japan oder Südkorea. Bloß von Deutschland lassen sie bisher wohlweislich die Finger: zu abschreckend sind hierzulande bislang die bürokratischen Hürden, die jede einzelne Anlage überwinden müsste.

Genau hier setzen die Ingolstädter an: Hanns-Jürgen Sauer, der Automobil-Manager, weiß, auf was es wirklich ankommt. Eine solche, kompakte Anlage kann nur dann richtig Erfolg haben, wenn nicht mehr jedes einzelne Exemplar eine individuelle Abnahme braucht. Das A und O ist es, eine Typ-Prüfung zu erreichen, wie man das von Autos kennt. Ist die Anlage, also speziell die Biogasanlage, einmal abgenommen und bestätigt, könnte der ganze "bürokratische Wust" (Sauer) entfallen und die Anlage über etablierte Werkstätten verkauft und in Gang gesetzt werden. "Wie ein Traktor", sagt Sauer.

An diesem Punkt kommt die Technische Hochschule Ingolstadt ins Spiel: Die langwierige, komplizierte Typ-Prüfung am Prototypen, so lautet der Plan, soll direkt auf der Landesgartenschau über die Bühne gehen. Da könnten auch Studierende und Doktoranden viel lernen.

Momentan hakt es noch an der Finanzierung der Klein-Biogasanlage für den Prototypen, während für alle anderen Komponenten schon Partner gefunden sind. Die Ingolstädter Gründer sind aber zuversichtlich, dass das nur noch eine Frage der Zeit ist: In Holland seien solche Anlagen gerade ein großes Thema, schildert Sauer. Landwirte könnten damit ihre Gülle vor Ort "verarbeiten" und so das Nitratproblem lösen. Entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen laufen - in Zusammenarbeit mit einem niederländischen Konzern.

Die Biogasanlage, so wie sich Sauer und Pütz das vorstellen, soll ausschließlich mit Material aus der Biotonne und städtischem und privatem Grünschnitt "gefüttert" werden. Es gehe nicht darum, "Teller gegen Tank" auszuspielen, neue Maisfelder für Biogasproduktion anzulegen, sondern um die Verwertung vorhandenen Materials. Allein in der Biotonne landen heute in Deutschland jährlich 112 Kilo pro Kopf. Damit lässt sich was anfangen. Die Container-Variante wäre natürlich auch für Gartenbaubetriebe, Großküchen oder Großschlachtereien denkbar - und auch für Landwirte. Längst sind die beiden Firmengründer im Gespräch mit Wirtschaftsverbänden und der Politik. Beim Bayerischen Wirtschaftsministerium liegt ihr Projekt gerade bei den Referenten, ein Termin mit Wirtschaftminister Hubert Aiwanger (FW) steht an. Bei der Bayerischen Forschungsallianz haben sie auch schon vorgefühlt. Und sie haben sich auch an Bärbel Höhn gewandt: Die bekannte Grünenpolitikerin ist Energiebeauftragte des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Afrika. "In Afrika sind 600 Millionen Menschen ohne Zugang zu Strom", sagt Pütz. Da liege es nahe, solche Container-Anlagen zu installieren. Dezentral, einfach zu bedienen. Und auch die Herstellung könnte zum Teil in Afrika selbst stattfinden.

Dabei spielen den beiden Projektmanagern auch die politischen Verhältnisse in die Karten. Länder wie Tunesien oder Ägypten setzen seit einiger Zeit bei ihrer Stromversorgung auf dezentrale Anlagen, auf eine störsichere Energieerzeugung vor Ort. Da könnte die Container-Lösung eine Option sein. Dazu müssen freilich erst noch die Herstellungskosten deutlich sinken - aber das sollte sich im Laufe der Jahre von allein ergeben. Die Fotovoltaik-Branche habe das ja vorgemacht, sagen die beiden.

Wichtig sei bloß, dass es keine technischen Anlaufschwierigkeiten direkt nach der Installation gebe. Deswegen müsste beim Kauf auch gleich ein einjähriger Servicevertrag enthalten sein. Nur so sei zu garantieren, dass die Biogasanlage auch wirklich dauerhaft auf Touren bleibt und sich die Betreiber vor Ort nicht nach kurzer Zeit frustriert abwenden.

Sie bohren also dicke Bretter, die beiden. Alles muss perfekt vorbereitet sein, damit es nicht zum Flop kommt. Auf der Landesgartenschau im nächsten Jahr wird es sich entscheiden, ob die beiden Projektmanager mit ihren Containern den Durchbruch schaffen können oder nicht.

Sie beide sind fest überzeugt, dass sie bei der Wahl der Technik die "Spreu vom Weizen getrennt" haben - und so garantieren können, dass die Anlage auch wirklich für den Massenmarkt taugt. Hanns-Jürgen Sauer, ein ebenso erfahrener wie geduldiger Erklärer, ist da ganz zuversichtlich: "Das ist alles keine Raketentechnik."

Sie haben, so scheint es, an alles gedacht, die ruhelosen Ruheständler. An alles? Ja. Sauer sagt: "Es gibt sogar ein Crash-Management - falls einer von uns ausfällt."

Richard Auer