Ingolstadt
"Die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu sterben, sinkt"

03.02.2019 | Stand 02.12.2020, 14:42 Uhr
Pflege auf der Intensivstation eines Krankenhauses. Der Bundestag will ein Gesetz für mehr Personal in der Pflege verabschieden. −Foto: Patrick Seeger

Im Jahr 2014 war jede vierte Todesursache in Deutschland Krebs. Am heutigen Weltkrebstag erklärt Birgit Hiller, Biologin des Krebsinformationsdienstes, neue Therapien, gesetzliche Änderungen und Risikofaktoren für eine Erkrankung.

Frau Hiller, der Weltkrebstag ist ein gern gesehener Anlass, um auf die Wichtigkeit von Vorsorge und Früherkennung hinzuweisen. Geht die Entwicklung in die richtige Richtung?
Birgit Hiller: Ob man mehr über Krebsrisiken wissen will, und ob man zur Krebsfrüherkennung geht, das bleibt natürlich eine ganz persönliche Entscheidung. Zumindest sollte man sich über die Möglichkeiten, die es heute gibt, informieren. Für die heute angebotenen Früherkennungsprogramme steigt aber das Interesse. Das kann auch daran liegen, dass Frauen ab dem Alter von 50 Jahren schon seit einigen Jahren zur Mammographie zur Brustkrebsfrüherkennung eingeladen werden. Das heißt, man muss sich nicht mehr aktiv um einen Termin kümmern und einen Arzt suchen, sondern erhält alle Unterlagen zugeschickt und kann sich in Ruhe selbst ein Bild machen. Für die Darmspiegelung zur Früherkennung von Darmkrebs sind solche Einladungen in Planung, das wird wahrscheinlich noch dieses Jahr passieren.

Die Forschung auf diesem Gebiet ergab auch, dass Männer früher Darmkrebs-gefährdet sind als Frauen. Bislang konnten sie ab 50 Jahren einen Stuhltest machen, und ab dem Alter von 55 eine Darmspiegelung.
Hiller: Bei der Früherkennung muss man klären, ob sie unter dem Strich wirklich nutzt. Das heißt, sie muss sich auf die Statistik auswirken, konkret auf die Überlebensraten. Durch entsprechende Studien konnten Wissenschaftler zum Beispiel belegen, dass der Nutzen einer Darmspiegelung den Aufwand und die persönliche Belastung überwiegt, und das Risiko etwa von Blutungen im Darm vertretbar gering ist. Und das Wichtigste, was wir aus solchen Studien heute auch wissen, ist: Wenn Darmpolypen als Vorstufe von Darmkrebs entfernt werden, dann kann Krebs gar nicht erst entstehen. Das heißt, es könnte sogar die Erkrankungsrate sinken. Voraussichtlich noch 2019 wird die Einladung zur Darmspiegelung für Männer schon ab 50 Jahren gelten. In vielen Studien wurde auch geprüft, ob die früher üblichen Stuhltests auf verstecktes Blut im Stuhl nicht verbessert werden können. Auch hier wurden die Ergebnisse dann im gesetzlichen Früherkennungsprogramm umgesetzt: Man nutzt inzwischen genauere Methoden.

Hat eine Darmkrebserkrankung genetische Gründe?
Hiller: Man weiß heute, dass Krebs immer durch Veränderungen im Erbmaterial einer Zelle entsteht, die sich dann weiter teilt. So etwas kann zufällig entstehen, etwa durch Fehler bei der Zellteilung im Laufe des Lebens. Oder die Veränderungen werden durch die heute bekannten Risikofaktoren verursacht. Es kann aber auch passieren, dass solche Fehler schon in Ei- oder Samenzelle angelegt sind. Dann sind sie vererbbar und können innerhalb einer Familie weitergegeben werden. Die meisten dieser erblichen Faktoren, die wir heute kennen, bedeuten aber nicht, dass man zwangsläufig Krebs bekommt. Sie steigern nur die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken. Dagegen kann man, abgesehen von Früherkennung, relativ wenig machen. Bei den meisten Menschen passieren diese krebsauslösenden Veränderungen im Erbmaterial aber erst später im Leben, und sie betreffen auch nur das Gewebe, in dem der Tumor entsteht. Spielen dabei äußerliche Risikofaktoren eine Rolle, bietet das die Chance vorzubeugen. Gerade Darmkrebs ist ein Beispiel dafür, dass Übergewicht und Bewegungsmangel eine große Rolle spielen. Auch Rauchen ist ein Risikofaktor für viele Krebsarten. Das gilt genauso für Alkohol. Es wird aber immer auch Krebserkrankungen geben, die man nicht durch einen gesunden Lebensstil verhindern kann.

Fünf Jahre nach einer Krebserkrankung werden bei den meisten Krebsarten Rückfälle weniger wahrscheinlich. Wie steht es derzeit um die Heilungschancen von Krebspatienten?
Hiller: Mehr als die Hälfte aller Krebspatienten können mit einer langfristigen Heilung rechnen. Bei Kindern liegen die Zahlen sogar noch weit höher. Aber es gibt nach wie vor Krebserkrankungen, bei denen es nicht so rosig aussieht. Bei Bauchspeicheldrüsenkrebs sind die Heilungsraten zwar besser geworden, aber nach wie vor nicht so gut. Auch bei Lungenkrebs ist das Risiko relativ groß, dass die Krankheit zu spät erkannt wird und durch eine Operation nicht mehr vollständig geheilt werden kann. Aber auch da greifen heute neue Therapien, die die Lebenserwartung verlängern.

Was sind das für Therapien?
Hiller: Es gibt neue Formen von zielgerichteten Medikamenten, da werden derzeit fast jeden Monat neue Arzneimittel zugelassen. Sie richten sich derzeit vor allem an Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen. Der Unterschied zur Chemotherapie ist, dass hier auf die genetische Veränderung der Tumorzelle gesetzt wird. Weiß man, was an Tumorzellen besonders ist oder welchen Stoffwechselvorgang sie benötigen, um zu wachsen, kann man genau dort angreifen und zum Beispiel genau diesen Stoffwechselweg blockieren. Das bedeutet allerdings auch, dass nicht allen Betroffenen mit dem gleichen Medikament geholfen werden kann. Voraussetzung ist, dass diese bestimmten Merkmale der Tumorzelle nachgewiesen werden. Das heißt aber nicht, dass die Chemotherapie an Stellenwert eingebüßt hat. Und auch die Strahlentherapie ist durch neue technische Möglichkeiten wieder in den Vordergrund gerückt. Wir wissen heute, dass man einige Krebserkrankungen durch die Kombination aller dieser Therapien zwar nicht heilen, aber die Krankheit ganz lange in Schach halten kann.

2014 sind 223000 Menschen an Krebs gestorben, 1980 waren es mit 193000 deutlich weniger.
Hiller: Die Sterbefälle gehen - und das ist wichtig - altersbereinigt zurück. Krebs wird hauptsächlich deshalb häufiger in Deutschland, weil die Leute immer älter werden - der Anstieg geht vor allem auf den Zuwachs bei der Lebenserwartung zurück. Die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu sterben, sinkt insgesamt eher. Etwas ausgenommen sind eben Lungenkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs und einige Formen von Hirntumoren, aber auch hier tut sich viel.

Nicht nur der Tumor ist gefährlich, sondern auch die Metastasen. Was passiert da im Körper?
Hiller: Bevor es zu Metastasen kommt, muss es ganz viele biologische Veränderungen in einer Zelle geben, dass sie sich aus dem Ursprungstumor ablösen kann. Außerdem müssen die gestreuten Tumorzellen über die Blutbahn oder das Lymphsystem wandern können, in anderes Gewebe eindringen, dort überleben und anwachsen. Je instabiler das Erbmaterial einer Krebszelle ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Tumorzellen alle diese Eigenschaften entwickeln und es zu einer Metastase kommt.

Sind gestreute Metastasen gefährlicher als der Tumor selbst?
Hiller: Das kommt auf die Tumorart an. Beim Darmkrebs zum Beispiel waren manche Formen von Metastasen früher ein Todesurteil. Das ist es heute nicht mehr zwangsläufig. Aber es stimmt: Die Heilungschance hängt bei den meisten Tumorarten davon ab, wie früh der Krebs erkannt wird. Es ist eine - wenn auch sehr pauschale - Faustregel: Bei einem kleinen Tumor, der noch nicht gestreut hat und sich gut operativ entfernen lässt, ist das Rückfallrisiko geringer als bei einem sehr großen Tumor mit abgesiedelten Tumorzellen im sonstigen Körper.

Kann man mit Metastasen im Körper weiterleben?
Hiller: Bei Fernmetastasen müssen praktisch alle Patienten auf Dauer eine Behandlung bekommen. Bei einigen Krebsarten kann man das Tumorwachstum höchstens bremsen. Aber es gibt einige Krebsarten, bei denen die Betroffenen durch eine Therapie zumindest lange mit ihrer Erkrankung leben können, wie bei anderen chronischen Erkrankungen.

Das Gespräch führte Christian Missy.

Der Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums ist täglich von 8 bis 20 Uhr unter 08004203040 und per Mail (krebsinformationsdienst@dkfz.de) erreichbar.