Zwei große US-Fahnen im Hintergrund. Zwei verschiedene Socken an den Füßen der Darstellerin, einer mit Stars, der andere mit Stripes. Das T-Shirt signalisiert „I love New York“.
Doch das Bild hat Risse, denn die amerikanische Nationalhymne ertönt vielstimmig verzerrt und entgleist atonal,während George Washingtons Bill of Rights auf einem Video-Screen läuft. Dort liest man, dass ein Volks seinen Führer absetzen kann, so dieser schädlich für dieses sei. Die Premiere am Wahlabend in den USA – das bittere Ergebnis kennen wir ! – wirkt in manchem wie ein Menetekel, auch wenn sich der Schlusssatz „Er hat gewonnen“ auf einen jugendlichen Straftäter bezieht, den „Die zwölf Geschworenen“ durch ihr Votum vor dem elektrischen Stuhl bewahrt haben.
Das Zentraltheater ist spezialisiert auf Film-Adaptionen
Im Zentraltheater, spezialisiert auf Film-Adaptionen, hat Regisseurin Lea Ralfs Sidney Lumets Kino-Klassiker aus den späten Fünfzigern, von dem es auch mehrere Bühnenfassungen gibt, als intensives psychologisches Kammerspiel inszeniert.
Schwarz der klaustrophobische Raum, leer bis auf 12 schwarze Stühle. Hier sollen die 12 Juroren nach sechstägiger Verhandlung mit Anklage des Staatsanwalts, Zeugenauftritten und Verteidigung des jungen Puertoricaners, der seinen Vater erstochen haben soll, zum endgültigen, vor allem einstimmigen Schuldspruch kommen: guilty or not, also schuldig oder unschuldig. Und das möglichst schnell, denn es ist schwül und stickig, alle sind genervt voneinander und ein Baseballspiel lockt am Abend...
Eine einzige Figur auf der Bühne: Mara Widmann
11 : 1 lautet die finale Abstimmung – doch Nummer 8 macht Probleme. Obwohl er nicht von der Unschuld des Angeklagten überzeugt ist, rollt er das ganze Verfahren nochmals auf. In dieser Aufführung gibt es allerdings nur eine einzige tragende Figur auf der Bühne: Mara Widmann.
In manchen Momenten unterstützt durch Dennis Kharazmi als Stichwortgeber, seltener als Akteur, zweimal in tänzerischen Posen. Mara Widmann muss allein alle 12 Geschworenen spielen! Fast im Minutentakt springt sie mimisch und gestisch, in Sprachduktus, Körperbewegungen und Gangart von einer Figur in die andere.
Mehr noch, sie reißt deren Psychogramm an, so dass 12 Individuen spürbar werden, denn Widmann lässt sie intensiv miteinander diskutieren, über Details des Falls und die richterliche Beweisführung sprechen, über unglaubwürdige Zeugen streiten, mit Pro und Contra Argumenten überzeugen, so dass nach 70 spannungsgeladenen Spielminuten einstimmig „unschuldig“ steht.
Das macht sie mit mit differenzierten Stilmitteln und äußerster Präzision. Manchmal hilft ihr dabei der Wechsel der Position im Raum, dann wieder das blitzschnelle Wechseln der Stühle.
Auf der Bühne sorgt sie so für einen fesselnden Abend, denn ihr gelingt es, die Gruppendynamik innerhalb der äußerst unterschiedlichen Geschworenen pointiert darzustellen. Eine schauspielerische Mammutleistung!
DK
ZUR PRODUKTION
Theater:
Zentraltheater München
Regie:
Lea Ralfs
Vorstellungen:
bis 22. November 2024
Karten:
info@zentraltheater.de
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